Schreiben

16
Apr
2014

Aus 2041 / 5

Ungefähr aus der Mitte der Geschichte. Ob das die Spannung erhöht?

Das mobile Telefon von Wei Liu leutete. Die Nummer des Anrufers war sichtbar, doch es wurde kein Eintrag in der Kontaktliste dazu gefunden. Das war sehr seltsam, denn die Telefonnummer von Wei Liu war nur einer Handvoll Leute bekannt. Es waren Leute aus seinem engsten Kreis, welche die Nummer auch nur für Notfälle hatten. Notfälle waren es, wenn eine Razzia angesagt war. Oder wenn eine andere Gang gerade eine bemerkenswerte Aktion gesetzt hatte, die für das Imperium von Wei Liu Gefahr bedeutete.
Selbst in solchen Fällen wurde die Nummer nur äußerst selten benützt. Wei Liu war in der Öffentlichkeit nicht bekannt. Er verließ praktisch nie sein Haus, welches durch einen weitläufigen Garten mit hohen Begrenzungsmauern von außen nicht eingesehen werden konnte. Darüber hinaus gab es eine Vielzahl an Überwachungskameras, die nicht offen sichtbar sondern getarnt waren. Im engeren Umkreis des Hauses waren Bewegungsmelder angebracht. Wenn sie ansprachen, leuchteten Scheinwerfer das gesamte Umfeld des Hauses tageshell aus. Das war aber bisher nur zweimal der Fall gewesen. Beide Male waren es Tiere gewesen. Offensichtlich konnten die meisten Tiere die Gefahr, die von dieser Zone ausging riechen.
Das Innere des Hauses war durch die zwei Stockwerke funktionell geteilt. Im Erdgeschoss wohnte das Personal, wobei jede Person eine Doppelrolle spielte. Ob Koch oder Gärtner, wer immer dort beschäftigt war, war in mehreren Kampfdisziplinen ausgebildet und war rund um die Uhr bewaffnet.
Der erste Stock hingegen strahlte Gemütlichkeit aus. Die Bibliothek war als Arbeitszimmer eingerichtet, in dem Wei Liu sich für gewöhnlich aufhielt. An Elektronik war lediglich eine Stereoanlage vorhanden und das besagte Telefon. An der Wand hing ein Van Gogh, ein Tizian und ein Gorgione, neben einer Reihe von chinesischen Schriftrollen.
Neben der Bibliothek befand sich ein Besprechungsraum mit einem Tisch, an dem gerade sechs Personen Platz fanden. Hier gab es eine Videoabspielanlage, aber keine Verbindung zur Außenwelt. Der Raum war für die Besprechungen ausgelegt, die montags, mittwochs und sonntags jeweils um sieben Uhr früh angesetzt waren und in der Regel nicht länger als eine halbe Stunde dauerten. Einer der Besprechungsteilnehmer, Chen, war ein Hausbewohner. Er war für die Sicherheit verantwortlich. Und er war von den anderen Teilnehmern gefürchtet. Wenn einer durch eine fehlerhafte Aktion oder durch merkwürdiges Verhalten in Ungnade fiel, war es die Aufgabe von Chen für Ordnung zu sorgen.
Wei Liu selbst war von ausgesuchter Liebenswürdigkeit, doch alles was er sagte, strahlte Autorität und Macht aus.
"Guten Morgen." - "Guten Morgen, Mr. Liu"
Schweigen.
Wei Liu klingelte nach Chen.
"Sie brauchen nicht nach Mr. Chen klingeln. Schicken Sie ihn wieder weg. Was ich Ihnen zu sagen habe, geht nur Sie etwas an."
Wei Liu dachte nicht daran, Chen weg zu schicken. Ein derartiger Einbruch in seine Privatsphäre war noch nie vorgekommen. Entweder war Chen ein Verräter oder er würde ihn aufspüren. Jedenfalls sollte Chen wissen, dass da etwas vollkommen Unerhörtes passiert war.
"Mr. Liu. Wenn wir Sie richtig eingeschätzt haben, wird Mr. Chen bald erscheinen. Sie werden ihn nicht wegschicken. Doch es ist in Ihrem eigenen Interesse, wenn er nicht hört, was ich Ihnen jetzt sagen werde. Ich werde Sie nämlich erpressen. Sie wissen, wie das geht. Und Sie werden nicht wollen, dass irgendjemand weiß, dass Sie erpressbar sind." In dem Moment trat Chen ein. Wei Liu winkte ihm ab. "Es hat sich erledigt. Vielen Dank, ich brauche Sie nicht mehr." Chen verschwand, ohne sich besonders zu wundern. Wei Liu pflegte manchmal solche Kontrollrufe zu tätigen, es gehörte zu seinem Sicherheitsritual.
Wei Liu war interessiert. Er konnte sich nicht vorstellen, dass jemand ihn erpressen könnte. Man hatte schon versucht ihm oder Mitarbeitern in seinem Imperium zu drohen. Das war aber bisher immer sehr schlecht für die Angreifer ausgegangen.
"Mr. Liu. Sie sind ein sehr effizienter Mann. Wir bewundern die Art, wie Sie ihre Leute im Griff haben. Wir wollen daher, dass Sie mit uns zusammenarbeiten." Wei Liu runzelte die Stirn. "Wer sind Sie? Was bedeutet zusammenarbeiten?" - "Nun, lassen Sie mich das kurz erläutern oder sollte ich sagen demonstrieren."
Der unbekannte Sprecher fuhr fort: "Sehen Sie, wir denken, dass sie Kyu Wang exekutieren lassen wollen, was angesichts seiner Loyalitätsvergehen durchaus angebracht ist. Sie haben aber noch keinen Befehl dazu gegeben. Wir werden diese Exekution für Sie durchführen, damit Sie sehen, dass wir keine leeren Aussagen machen. Wir beenden jetzt dieses Gespräch. In der nächsten halbe Stunde wird Mr. Chen zu Ihnen kommen und Ihnen vom Ableben von Kyu Wang berichten. Danach werde ich Sie wieder anrufen."
Die Verbindung wurde unterbrochen.
Wei Liu fühlte sich plötzlich unwohl. Obwohl er bequem in seinem Schreibtischsessel saß, fühlte er plötzlich so, als hätte er keinen Boden unter den Füßen. Er zwang sich zu ein paar Yoga-Atemübungen, als er durch einen Anruf von Chen unterbrochen wurde. "Ja, was gibt es?" -"Mr. Liu, Kyu Wang ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Sein Fahrer verlor die Kontrolle. Wang und alle Insassen des Fahrzeugs sind tot. Wer wird sein Nachfolger sein?" - Obwohl Wei Liu vorgewarnt war, hatte er Mühe, die übliche Ruhe zu bewahren. "Wir klären das morgen früh. Danke für die Mitteilung."
Kaum hatte er aufgelegt, läutete erneut das Telefon. Wei Liu zwang sich, es lange läuten zu lassen. Doch schließlich hob er ab.
"Nochmals guten Tag, Mr. Liu. Sie haben vermutlich nachgedacht, ob es sich um einen Zufall handeln könnte. Schließlich könnte sich der Unfall ja bereits vor unserem Telefonat zugetragen haben. Aber Sie sind wohl zur Überzeugung gelangt, dass wir uns nicht mit billigen Tricks abgeben würden.
Wir wissen, dass wir nicht unmittelbar an Sie herankommen können. Wir können Sie also nicht direkt bedrohen und das wollen wir auch gar nicht. Aber Sie wissen auch, dass wir über das Leben Ihrer Enkelkinder entscheiden können. Niemand weiß von ihrer Verbindung zu Ihnen. Sie wollen Sie geschützt und unbeeinträchtigt aufwachsen sehen."
Wei Liu begann seine Ruhe und Geduld zu verlieren: "Was wollen Sie denn von mir?"
"Wie Sie sich vorstellen können, Mr. Liu, wollen wir kein Geld. Wir wollen auch nicht, dass Sie etwas in Ihrem Leben ändern. Mit einer kleinen Ausnahme. Sie werden nur mehr Leute umbringen lassen, die wir Ihnen nennen werden. Es werden nicht zu viele sein. Und sie werden die armen Leute in Ruhe lassen. Sie werden das Glückspiel behalten und Teile der Prostitution, allerdings werden Sie den Mädchenhandel einstellen.
Sie werden nach wie vor die Polizei bestechen, doch das wird vermutlich gar nicht mehr notwendig sein. Es wird eine kleine Weile dauern, bis ein Gesetz zur Legalisierung der Prostitution in geschützten Häusern eingerichtet wird. Sie werden die Einnahmen davon für soziale Zwecke verwenden. Es bleibt Ihnen genug vom Glückspiel."
Wei Liu war fassungslos. Das klang so, als hätte er schlagartig jede Kontrolle verloren.
"Mr. Liu, noch etwas. Das klingt jetzt für Sie so, als hätten Sie keine Kontrolle mehr. Vielleicht würde der geänderte Führungsstil Verdacht bei Ihren Mitarbeitern erwecken und Sie könnten Macht verlieren. Das wird nicht passieren. Wir werden Sie mit Informationen ausstatten, die Ihnen erlauben, ganz gezielte Massnahmen anzuordnen. Ihre Mitarbeiter werden sich wundern, wieso Sie immer die richtigen Entscheidungen treffen."
Wei Liu schüttelte ungläubig den Kopf.
"Darf ich Ihnen noch einen kleinen Bonus nachreichen. Es werden sich Ihnen sämtliche andere Gruppen in China, Taiwan, Hongkong und Singapur unterordnen. Das wird nicht heute passieren, aber in einer Zeit, die Sie davon überzeugen wird, dass unsere Macht sehr weit reicht."
Schweigen.
"Mr. Liu, sind Sie einverstanden?"
Wei Liu antwortete müde: "Ich scheine keine andere Wahl zu haben. Dürfte ich wenigstens wissen, mit wem ich es zu tun habe?"
"Ich bedauere, das ist eine Information, die ich Ihnen vorenthalten muss. Ich kann Ihnen aber versichern, dass wir Ihnen nicht schaden werden. Und wir wünschen ausdrücklich, dass Sie mit niemandem darüber sprechen, dass Sie auf Anweisung handeln. Wenn wir Sie aber richtig einschätzen, würden Sie das selber nicht gerne zugeben wollen. Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Tag."
Wei Liu bezweifelte, dass er einen angenehmen Tag haben würde. Er bestellte sich einen Tee und dachte nach. Dann machte er sich an die Arbeit. Er musste seine gesamte Organisation neu ausrichten. Wen könnte er da zur Hilfe nehmen. Er verwunderte sich, dass er auf ein nächstes Telefonat wartete.
Er versuchte die Nummer zurück zu rufen. Eine freundliche Frauenstimme auf Band sagte: "Guten Tag Mr. Liu. Wir werden uns mit Ihnen in Verbindung setzen. Warten Sie jeden Tag um sechs Uhr auf unseren Anruf. Auf Wiederhören."
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15
Apr
2014

Aus 2041 / 4

Möglicherweise ist das das unüberarbeitete Ende der Geschichte. Vielleicht folgt aber auch noch ein Epilog.

Der Bildschirm ging an:
"Guten Abend. Sie werden neugierig sein. Ich darf Ihnen mitteilen, dass Ihre Einschätzung richtig war. Das Projekt war ein Erfolg." Hartmut lächelte. Er selbst hatte keine Ahnung, womit er wirklich hilfreich gewesen war. Irgendwie ging es um ein Gefühl, dass er nicht beschreiben konnte, aber offensichtlich auch niemand der Organisation. Deswegen hatten sie ihn gebraucht.
"Werden Sie mich noch weiter benötigen?" - "Nun, wir werden sehr froh sein, wenn Sie uns weiter zur Verfügung stehen. Die nächste Fragestellung wird vielleicht erst in 3 bis 5 Jahren auftauchen. Aber wir werden alles tun, um Ihre Gesundheit zu erhalten."
Es entstand eine Pause. Hartmut sinnierte. Offensichtlich war die Person am Bildschirm auch nicht gewillt, das Gespräch zu beenden.
"Wissen Sie jetzt, mit wem Sie zusammen arbeiten?"
Hartmut schmunzelte. "Ja, ich kann es mir denken."
"Haben Sie irgendwelche Bedenken über die Fortsetzung unserer Zusammenarbeit?"
Hartmut setzte sich auf: "Nein, absolut keine."
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Aus 2041 / 3

"Würdest du etwas ändern wollen?" Hartmut blickte auf die Waffe, die Peter auf ihn gerichtet hatte.
"Ich denke nicht. Ich glaube nicht, dass ich mit dem heutigen Wissen irgendetwas verändern würde. Warum auch? Alles ist besser, wie es jetzt ist. Und an die Geschichte mit dem freien Willen habe ich nie geglaubt. In einer gewissen Weise bin ich amüsiert. Dass du dabei so eine Rolle spielst, hätte ich mir nie vorstellen können. Ein Edelhenker!"
Peter erwiderte ruhig: "Ich muss dich nicht umbringen. Es liegt kein Auftrag vor. Und wenn kein Auftrag vorliegt, wäre es ein Fehler vorauseilenden Gehorsam zu zeigen. Vermutlich wirst du heute noch angesprochen werden. Ich habe keine Ahnung, was du machen sollst. Vielleichts sollst sogar du mich umbringen. Auf alle Fälle wäre es ein Fehler, sich gegen das System zu richten."
"Warum sollte ich dich umbringen sollen? Was wäre der Nutzen davon?" Hartmut stellte die Frage und wusste dabei schon, dass es um die Frage der Loyalität und Unterordnung ging.

Am Abend meldete sich der Bildschirm. Eine Person, die Hartmut noch nie zuvor gesehen hatte, erschien am Schirm. "Guten Abend! Sie wissen, warum ich Sie anrufe?" - "Ich kann es derzeit nur vermuten." "Gut. Keine Sorge, Sie müssen niemanden unbringen. Auch nicht ihren Freund. Wir wollen nur, dass sie wieder arbeiten. So weit Sie das wollen."
Es entstand eine Pause, die von Hartmuts Verblüffung herrührte. "Aber was soll ich arbeiten?"
Die Person sagte: "Wir brauchen ihre Fähigkeiten, um sie als irrationales Moment in unsere Berechnungen einbinden zu können. Sie wissen bereits mehr als die meisten Menschen und haben sich dieses Wissen selbst erarbeitet. Wir glauben, dass wir mit ihrer Hilfe schneller an bestimmte Lösungen herankommen können."
"Und wozu verpflichte ich mich da?" - "Also zur Beruhigung. Nichts was sie machen verschlechtert das Schicksal irgendwelcher Menschen. Dafür benötigen wir sie nicht. Wir brauchen ihren Instinkt bei der Auswahl verschiedener Forschungsprojekte."
"Bleibe ich in meiner Wohnung?"
"Sie könnten bleiben, doch mit Ihrer Neugier wird das nicht vereinbar sein. Die Simulationen, die sie für Ihre Beurteilungen brauchen, können nur an einem bestimmten Ort durchgeführt werden. Das bedeutet, dass wir Sie zuerst in ein Krankenhaus bringen, in dem Ihr Körper auf Bestzustand gebracht wird. Dann werden Sie mit einem Raumfahrzeug in eine Station auf der Umlaufbahn um den Mond gebracht werden. Dort befindet sich unser Planetarium, dass auf Weltraumbedingungen angewiesen ist, um entsprechende Genauigkeit aufzuweisen. Gesundheitlich werden Sie nichts riskieren. Sie sind zu wertvoll um zu riskieren, dass Sie einen Auflug in den Raum nicht überstehen. - Sie werden von den Darstellungen im Planetarium so überrascht sein, dass Sie gar nicht mehr weg wollen. Doch nach zwei Wochen kommen Sie wieder auf die Erde zurück und können dort weiterarbeiten. Nach unseren Berechnungen ist das ein Angebot, dass Sie kaum ausschlagen können."
"Und wenn ich nein sage?" - "Kein Problem, es macht keinen Sinn, wenn wir Sie unter Druck setzen. Damit würden wir genau das in Ihnen auslöschen, was wir gerne haben wollen. Das einzige, was passieren wird, ist eine Wiederholung des Angebots in regelmäßigen Abständen."

"Wie lange habe ich Bedenkzeit?" - "Solange wie sie brauchen. Allerdings werden Sie niemanden haben, mit dem Sie die Frage besprechen können. Ihren Freund haben wir zu einem Auftrag abberufen. Er ist nicht mehr in seinem Haus. Und es ist wohl selbstverständlich, dass Sie niemanden anderen davon unterrichten werden."
"Und meine Frau. Was weiß sie, was darf sie wissen?" - "Sie sollte nichts wissen. Wir sorgen für einen entsprechenden Hintergrund. Und wenn Sie auf die Erde zurückkehren, wird Ihre Frau bei Ihnen wohnen können."
"Ich darf vermutlich nicht fragen, wer ihre Organisation ist?" - "Sie können fragen, doch Sie erwarten wohl keine Antwort. Ich kann Ihnen nur soviel verraten: wenn Sie einige Zeit mit uns arbeiten, werden Sie es erraten können."
Hartmut benötigte keine Bedenkzeit. "Ok, ich bin bereit!"
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Aus 2041 / 2

Es hatte eine Revolution gegeben. Allerdings war sie nicht zu erkennen gewesen. Damals nicht und rückblickend auch nicht. Es war 2041 gewesen, als plötzlich alle schwelenden Konflikte auf diplomatischem Wege beseitigt schienen. Territoriale Grenzen behielten ihre Gültigkeit, militärische Einheiten wurden von strategischen Punkten zurückgezogen, ohne dass die bisherigen Gegner davon Vorteil hätten ziehen können.
Am Interessantesten zu beobachten waren die typischen Konfliktzonen wie der Nahe Osten, Nordkorea und einige afrikanische Staaten. Die ehemaligen GUS-Staaten hatten sich zu einer Wirtschaftsunion zusammengefügt, wobei die einzelnen Staaten mehr Autonomie und Selbstverwaltungspotential als früher zu haben schienen. Europa schien sich in eine Bauhysterie hinein zu steigern. Plötzlich wurde überall gebaut, es entstanden neue Städte buchstäblich auf der grünen Wiese.
Die Städte schienen architektonisch so wie die Städte aus einem alten Computerspiel geplant zu sein. Bei SimCity hatte der Spieler die Aufgabe, lebensfähige Städte mit Infrastruktur und allem dem zu entwerfen, was Bürger benötigten um friedlich zu bleiben. Der Städtebau, der sich auch außerhalb Europas breit machte, war geplant, um Arbeitslose mit Grundeinkommen ruhig zu halten. Die Freigabe bestimmter Drogen half hier genauso mit wie ein ausgeklügeltes Medienprogramm. Zeitungen gab es nicht mehr, doch jeder hatte in der Wohnung einen Intranet-Zugang. Es gab Sportplätze und organisierte Wettkämpfe. Die schienen allerdings keinen internationalen Charakter mehr zu haben.
Nirgendwo gab es irgendwelche Gruppen, welche sich in den Vordergrund spielten. Die regierenden Politiker, egal ob in einer Demokratie oder in einem diktatorischen Regime, schienen plötzlich vernünftig geworden zu sein. Man müsste mit einem dieser Personen sprechen können.
Hartmut überlegte, ob nicht jemand der damals Feder führenden Personen noch leben würde, den man befragen könnte. Er erinnerte sich an bestimmte Studien, die er in der Anfangszeit seiner Arbeit durchführen sollte. Da tauchten vereinzelt noch Namen auf. Allerdings würde ein Name gar nichts helfen. Es war doch merkwürdig, man wusste nicht, wo jemand lebte, es sei denn man hätte wirklich irgendwann einen persönlichen Kontakt gehabt. Hartmut versuchte es in seinen alten Unterlagen. Es gab tatsächlich einen Politiker, mit dem er verwandt war. Er könnte also ganz offiziell eine Anfrage über dessen Adresse stellen.
Es stellte sich heraus, dass der Politiker ganz in der Nähe wohnte, das bedeutete 500km entfernt, durchaus noch mit dem regulären Verkehrssystem machbar. Hartmut versuchte, eine Verabredung zu vereinbaren, doch er bekam eine Ablehnung, die von einem der Haussysteme des Politikers übermittelt wurde. Wolfram war vor zwei Tagen in eine Klinik eingeliefert worden und nicht zuhause. Die Klinik zu erreichen, war etwas komplizierter. Doch am nächsten Tag stand Hartmut beim Empfang und wies sich als Verwandter des Politikers aus. Man gestattete ihm einen Besuch von zehn Minuten, wobei man ihn informierte, dass der Politiker im Sterben lag.
Wolfram lag in einem der Luxusbetten, die in den Krankenhäusern für Patienten der obersten Klasse vorgesehen war. Wolfram war wach, er war aber sichtlich durch Medikamente ruhig gestellt.
"Na so etwas! Verwandtenbesuch. Das gibt es doch heute nicht mehr." Die Stimme war leise aber noch sehr bestimmt. "Was willst Du denn?" - "Ich möchte dich über etwas befragen, was ich in keinen offiziellen Aufzeichnungen finde." Hätte Wolfram die Möglichkeit gehabt, aufzuspringen, wäre das wohl seine Reaktion gewesen. "Bist du wahnsinnig? Was willst du denn wissen? Sei froh, dass du nichts weisst. Das sichert dir ein angenehmes Leben. Und es ist doch angenehm?" Die Stimme war leise, aber der Tonfall ließ genügend Spielraum, um die Verärgerung von Wolfram aus zu drücken.
"Was war 2041 los? Warum wurden alle Politiker plötzlich vernünftig? Es gab doch einen plötzlichen Wechsel im Verhalten. Wer oder was hat das bewirkt?" Hartmut dachte sich, dass er ohne direkte Fragen wohl keine Zeit hatte, um eine Antwort zu erhalten.
Wolfram schwieg eine Zeit lang. Danach fragte er: "Bist du dir im Klaren, dass eine Antwort von mir dich in höchste Gefahr bringen kann?" Hartmut nickte, obwohl er sich überhaupt nicht vorstellen konnte, worin die Gefahr bestand.
"Für mich ist es gleichgültig, ob ich in einer Woche oder heute sterbe. Daher werde ich dir antworten. Doch ich warne dich, es jemanden weiter zu erzählen."
Hartmut nickte.
"Wir wurden erpresst. Alle. Allerdings auf eine ganz merkwürdige Weise. Man versprach uns, dass unsere persönliche Sicherheit und die unserer Angehörigen geschützt bliebe, wenn wir kooperierten. Man stellte Verbindungen her, sodass wir mit den jeweiligen Kontrahenten sprechen konnten. So erfuhren wir, dass sie ebenfalls angesprochen worden waren. Wir bekamen bestimmte Programme vorgeschlagen. Ebenso wurden wir angehalten, öffentlich unsere Absichten als friedvoll darzustellen. Einige spielten nicht mit. Sie kamen bei Autounfällen, Helikopterunfällen oder Flugzeugunfällen ums Leben. Bodyguards konnten nichts ausrichten. Die Schäden waren immer technische Schäden. Einige Länder in Afrika, deren Führer meinten, dass sie jetzt Territorium gewinnen könnten, wurden durch gezielte Raketen ausgeschaltet. Doch die Raketen waren nicht von einer Partei. Einmal waren es amerikanische Raketen, dann wieder russische. In Südafrika spielte sich das gleiche ab, dort gab es chinesische Raketen. In der Regel wurden die Aktionen nach spätestens zwei Tagen abgewürgt."
Wolfgram machte eine Pause. Das lange Sprechen hatte ihn sichtlich noch mehr erschöpft. "Aber wer hat er euch erpresst? Wenn man das so überhaupt nennen kann." Wolfram hub an zu reden, doch bevor er was sagte, deutete er Hartmut an, sich näher zu ihm zu beugen. Ganz leise flüsterte er: "Es waren Unbekannte. Niemand kannte sie. Niemand traf sie persönlich. Der gesamte Austausch geschah über Telefonkonferenzen." Eine weitere Pause. "Natürlich probierten die Geheimdienste heraus zu bekommen, wer hinter den Anrufenden steckte. Und das Erschreckende war, dass niemand nur im Geringsten entdecken konnte, woher die Gespräche kamen. Aber die Aktionen, die sie ankündigten, trafen alle ein."
Hartmut schüttelte ungläubig den Kopf. Er meinte: "Aber es kann doch nicht sein, dass eine Organisation die Kontrolle über die gesamte Erde erreichen kann. Das schafft nicht einmal die Mafia, selbst wenn sich alle Mafiaorganisationen der Welt vereinigen."
Wolframs Gesicht verzog sich zu einem gequälten Lächeln. "Die Mafia hatte ihre Gewalt schon vor uns verloren. Und sie hatte auch die wesentlichen Führer verloren. In Asien hielt sie sich länger, allerdings verlor sie dort den Einfluss über Glückspiel und Drogen. Gelder konnten nicht mehr gewaschen werden, sie verloren sich auf dem Weg zu den Banken. Ohne Geld verliert auch der Mächtigste seine Macht, weil er am Ende allein dasteht." - "Und die Kirchen?" - "Für die war alles ganz in Ordnung. Denn unsere Politik war ja plötzlich ziemlich sozial engestellt. Sie konnten zwar nicht mehr im Krieg gewinnen. Und sie mussten sich darauf einstellen, dass sie nicht mehr mit dem Leben danach hausieren konnten, denn das Leben gestaltete sich nach zehn Jahren für jeden lebenswert."
Hartmut wusste nicht, was er denken sollte. "Und warum sollte das gefährlich für mich sein, wenn ich das weiß?"
Wolfram flüsterte ganz ernst: "Das einzige, was wir herausbekommen haben, ist der Wunsch nach absoluter Anonymität jener Organisation. Alle Fragen danach, jede Recherche, wurde in der Vergangenheit im Ansatz erstickt. Wir haben erfahren, dass die Personen, die sich hier auf die Suche begeben hatten, umkamen. Darüber gab es auch keine Zeitungsberichte. Nur mündlich erfuhren wir manchmal, dass 'es irgendjemanden nicht mehr gab'. Und darüber und über die Person wurde dann geschwiegen. Ich fürchte, dass dir deine Neugier keine Ruhe lassen wird und du weitere Nachforschungen anstellen willst. Und das ist lebensgefährlich."
Hartmut nickte. Irgendwie hatte er so etwas vermutet.
Eine Schwester kam ins Zimmer. "Ihre zehn Minuten sind um. Bitte verabschieden Sie sich." Er neigte sich noch einmal zu Wolfram und flüsterte: "Danke! Hab' es leicht." Wolfgram antwortete mit der Andeutung eines Lächelns.
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Aus 2041

"Sag einmal, ist es nicht komisch, dass es keine Religionskriege mehr gibt?" Hartmut stellte die Frage in den Raum, obwohl er keine Antwort von Peter erwartete. Er bekam auch keine. Peter kannte seine eigene Rolle in dem Spiel und er hütete sich, hier irgendeine Information preiszugeben.
Hartmut war sich inzwischen klar geworden, dass in den verschiedenen Religionen die Fundamentalisten an Bedeutung verloren hatten. Sie schienen abhanden gekommen zu sein, was teilweise auch stimmte. Es hatte keiner großen Überzeugung bedurft, die großen Hassprediger und Wahrheitsverkünder von ihrem Fanatismus zu befreien. Sie schienen in den Vierzigerjahren allesamt von großen Schicksalsschlägen getroffen worden zu sein. Und statt wie früher dadurch noch mehr in ihre Borniertheit oder den Wunsch der Massenbeeinflussung getrieben zu werden, hatten sie nunmehr aufgegeben und ihre Machtansprüche abgegeben.
Peter ließ aufhorchen: "Bist Du nicht zufrieden, wie es jetzt läuft? Du musst doch feststellen, dass wir aus der Geschichte gelernt haben. Alles das, was wir früher trotz unserer Geschichtskenntnis noch angestellt haben, vermeiden wir jetzt. Das ist doch gut, oder nicht?" Hartmut konnte dem nichts entgegen setzen. Eigentlich sah er das genauso. Aber die Erkenntnis, die er in der Zwischenzeit durch seine Forschungen gewonnen hatte, sagte ihm, dass sich etwas am menschlichen Wesen verändert hatte. Es schien keine wirklich bösen Menschen mehr zu geben.
Er hatte in alten Büchern recherchiert. Eigentlich konnte er nur auf seine eigenen zurückgreifen, denn die öffentlich erhältlichen Bestände reichten nur bis ins Jahr 2000 zurück. Damals waren allerdings philosophische Veröffentlichungen eher selten. Hartmut war von der Idee der Theodizee fasziniert. Ob man jetzt den religiösen Gesichtspunkt betrachtete: Gott ist anscheinend auch für das Böse verantwortlich, wie kann das sein, oder den physikalischen Aspekt, wie er in Stepen Hawkings "der große Entwurf", dargestellt wurde; stets gab es die Dichotomie zwischen gut und böse oder zwischen plus und minus. Erst durch die Gegenüberstellung konnte alles funktionieren.
Und nun schien sich das Böse in Luft aufgelöst zu haben, wenn man von den Naturkatastrophen absah. Manchmal verschwanden einige Politiker von der Bildfläche, von denen man nie mehr etwas hörte. Doch war die Ablöse jeweils rasch zur Stelle und bewies Umsicht und Organisationsvermögen, sodass der Vorgänger niemandem abging.
Die Parteiprogramme hatten sowieso schon lange keinen Biss mehr gehabt. Sie zeigten mittlerweile nur mehr Absichtserklärungen über zukünftige Bauabsichten und kulturelle Veranstaltungen. Die Programme der einzelnen Parteien waren kaum zu unterscheiden, selbst die Programme von Parteien unterschiedlicher Länder wiesen wenige Unterschiede auf.
"Es läuft alles wie am Schnürchen." Dieser Satz geisterte durch Hartmuts Kopf und erweckte Verdacht. Wenn etwas zu gut lief, musste irgendwann einmal der Rückschlag erfolgen. Doch ein solcher war in den letzten vierzig Jahren nicht erfolgt und es hatte keinen Anschein, dass er bevorstünde.
Die Wissenschaft wurde gefördert. An den technischen Universitäten gab es ausreichend Gelder für Forschungsprojekte, wobei speziell Chemie und Materialwissenschaften gefördert wurden. Physik hatte seine Schwerpunkte von der Kernphysik auf die Astrophysik verlagert. Der Weltraum schien besonders interessant geworden zu sein.
Die Informatik hatte sich kaum mehr weiter entwickelt. Sie war einfach da. Jedes Gerät hatte bereits einen Computer eingebaut, der für möglichst einfache Bedienung sorgte. In den Vierzigerjahren hatte es noch einen Informatikschub gegeben. Ein gewisser Alistair Sokolov hatte ein System für selbstreparierende Programme entworfen. Die neue Computersprache hieß COMFORT. Die Programmierung damit übertraf an Leichtigkeit noch das einstige BASIC, im Prinzip konnte man es als Mischung von BASIC, JAVA und PROLOG sehen, obwohl dies ja nicht möglich sein sollte. Seit es COMFORT gab, lernten die neuen Studenten nichts mehr anderes. Damit erschöpften sich aber auch die Forschungsthemen.
Alles funktionierte. Wie konnte es dazu gekommen sein?
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15
Mrz
2014

keine Fortsetzung

Nur ein Bericht:

jetzt hab ich's. Jetzt weiß ich, wie die unblutige Revolution stattfand. Das hat mich in den letzten Tage ziemlich beschäft: welche glaubwürdige Erklärung kann es geben, dass die Politiker plötzlich vernünftig wurden.
Jetzt weiß ich es. Wird in einer der nächsten Folgen enthalten sein. Allerdings nicht unmittelbar.
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13
Mrz
2014

Fortsetzung

Als Hartmut am nächsten Tag aufwachte, war er verkatert. Obwohl er nicht so viel getrunken hatte, wirkte der unruhige Schlaf sehr nachteilig nach. Eigentlich war es ja egal, er hätte auch den ganzen Tag im Bett oder im Schlafrock verbringen können. Seine Frau brachte ihm das Frühstück ans Bett und machte sich ein bisschen lustig über ihn. Er selbst grübelte noch immer über die konstatierte Unstimmigkeit nach. Was stimmte denn nicht?
Hartmut gehört zu der Klasse der Privilegierten, die einen Beruf gehabt hatten, der ihren Fähigkeiten und Qualifikationen entsprach. Es musste zwar niemand arbeiten, doch Arbeit verschaffte einem gewisse Vorteile wie das Wohnen in angenehmen Umgebungen. Zwar hatte jeder Bewohner ein Grundeinkommen, doch damit konnte man sich keine Wohnung außerhalb des Stadtinnenbereichs leisten. Die Wohnstädte hatten alle eine ähnliche Architektur und sahen keinesfalls wie die historischen Städte aus, die aus musealen Gründen erhalten blieben. Dort wohnte fast niemand, wenn er nicht unmittelbar mit der Erhaltung einer historischen Stadt zu tun hatte. In den Zentren der Wohnstädte befanden sich sehr praktisch angelegte Wohneinheiten. Sie waren mit Infrastruktur und Vergnügungszentren ausgestattet. Die Straßen waren mit Laufbändern ausgestattet und es fehlten Autos. In den Wohneinheiten lebten vornehmlich Freie. Da es nicht notwendig war, einer Arbeit nachzugehen, war die Mehrzahl der Menschen nicht mehr interessiert, überhaupt zu arbeiten. Damit war unmittelbar auch das Schulwesen betroffen. Nur ein geringer Prozentsatz der Kinder von Freien waren an der Schule interessiert, da ihre Eltern ja auch keine Kenntnis zu haben brauchten. 100 Jahre früher hätte man die Freien als Arbeitslosen bezeichnet.
Die Schulen waren mehr oder weniger wie Bibliotheken ausgestattet. Es gab sogar noch echte Bücher, doch in erster Linie gab es Räume mit Multimedia-Ausstattung. Dort konnte man sich über die Dinge der Welt aufklären lassen. Einige Aufsichtspersonen beobachteten das Verhalten der Kinder. Diejenigen, die für Raufereien und Stänkereien gegenüber den anderen Kindern auffielen wurden gruppiert und durften in entsprechend ausgestatteten Räumen jede Form des Kriegsspiels simulieren.
Es stellte sich heraus, dass in diesen Räumen nach einer gewissen Zeit nur mehr ganz wenige Kinder übrig blieben. Entweder die anderen blieben zuhause, weil sie regelmäßig verprügelt wurden oder sie wurden das Opfer wirklich schwerer Attacken, bei denen sie ihr Leben lassen mussten. Da sie selbst als asozial klassifiziert worden waren, erfolgte keine Bestrafung oder Beeinträchtigung der Überlebenden. Ab und zu kamen fremde Personen in die Schule betrachteten das Verhalten der Überlebenden. Anscheinend beurteilten sie die Kinder. Manche verließen die Stadt mit den Fremden. Die Zurückbleibenden machten weiter wie bisher und starben an merkwürdigen Krankheiten. Es ging das Gerücht, dass die Räume selbst infizierend wirkten, aber das kümmerte niemanden. Kinder, die ihren Eltern abgegangen wären, kamen im Normalfall nicht in diese Räume.
Hartmut kannte dieses Schulwesen nicht aus eigener Erfahrung. Er hatte eine ganz normale Erziehung genossen und letztlich Statistik studiert. Er hatte eine recht interessante Doktorarbeit abgeliefert und bekam daraufhin ein Angebot, für ein staatliches Unternehmen zu arbeiten. Sein Gehalt war nobel, seine Vorgesetzten bekam er praktisch nie zu Gesicht. Nach drei Jahren wurden ihm die Aufgaben nur mehr über Mail mitgeteilt. Dass man mit ihm zufrieden war, sah er an jährlichen Gehaltsaufbesserungen und Listen, in denen die verdientesten Mitarbeiter des Unternehmens angeführt waren. Zu dieser Gruppe gehörte er auch.
Hartmut war schon einmal verheiratet gewesen, aber seine Frau hatte keine Kinder bekommen können. Sie war früh verstorben. Seine zweite Frau wollte keine Kinder mehr und ihm schien es auch zu spät, mit fünfzig noch Vater zu werden. Das Kennenlernen seiner zweiten Frau schien wie ein statistischer Unfall. In seinem Unternehmen wurde er informiert, dass die Räumlichkeiten der Büros anderweitig genutzt werden sollten. Da er seine Arbeit auch an einem beliebigen Ort durchführen konnte, hatte man ihm eine schöne Villa in der "Landschaft" angeboten. Er würde dort wohnen und arbeiten können.
Die "Landschaft" war ein Vorstadtbereich, der sich über mehrere tausend Quadratkilometer rund um eine Wohnstadt erstreckte. Die dort befindlichen Häuser oder besser Villen waren über ein Tunnelsystem mit Infrastruktur versorgt. Es gab eine Schienenstruktur, die einerseits eine Verbindung zur Stadt und andererseits eine Verbindung zum Flughafen aufwies. An der Oberfläche gab es nur Wiesen, Wälder, Teiche und einige Sportbereiche. Der Transport von größeren Gütern zu einer Villa geschah mit Hilfe von Hubschraubern, die allerdings nur einmal im Monat in Anspruch genommen werden durften. Autos und Motorräder gab es keine, wenn man von den Sportstätten absah, wo man auch reale Autorennen bestreiten konnte. Die Bevölkerungsstruktur war die einer früheren Vorstadt, auch was die nachbarschaftlichen Beziehungen anging. Nur mussten die Bewohner nicht an einen Arbeitsplatz pendeln. Fast alle, die in der "Landschaft" wohnten, konnte ihre Arbeit von zuhause durchführen. Hartmuts Nachbar und Freund Peter allerdings war recht oft unterwegs. Als Hartmut eines Abends im Freien spazieren ging, sah er seinen Nachbarn mit einer sehr attraktiven Frau auf einer Bank neben einem Teich sitzen. Da er Hartmut schon kennen gelernt hatte, begrüßte er ihn und danach ganz formell die Frau. "Du brauchst nicht so affektiert tun. Das ist Tessa, eine Kusine von mir, die mich heute einmal besucht hat. Das letzte Mal war es vor 12 Jahren." Hartmut nickte noch einmal. Er hatte eigentlich kein Bedürfnis nach einer Frauenbeziehung. "Das ist Hartmut, mein Nachbar. Er muss ziemlich gescheit sein, dass er hier wohnen kann. Und er ist verwitwet!" Das "verwitwet" sprach er mit einer besonderen Betonung aus.

Hartmut war intelligent, damals so auch heute. Jetzt ärgerte er sich, weil er das Gefühl hatte, ein ganz wesentliches Detail vergessen zu haben. Er versuchte sich zurück zu erinnern. Was war früher anders gewesen? Natürlich hatte er die Errichtung von Wohnstädten in seiner aktiven Zeit erlebt, damals hatte er ja noch in einer historischen Stadt gelebt und das Leben dort durchaus genossen. Wien war schon eine tolle Stadt gewesen. In Wettbewerben hinsichtlich der Lebensqualität war sie häufig die begehrteste Stadt auf der Welt gewesen. Die Wohnstädte wurden von der Einführung des Mindestgrundeinkommens begleitet. Zuerst gingen die Arbeitslosen hin, später auch eine Reihe von Menschen, die einfache Jobs verrichtet hatten. Die einfachen Jobs wurden nach und nach durch Maschinen ausgeführt. Hartmut hätte sich sein Studium nicht ohne den Kassierjob bei einem Supermarkt finanzieren können. Diese Jobs gab es jetzt nicht mehr. Und die Lebensmittel wurden elektronisch bestellt, verrechnet und angeliefert.
Wer war verantwortlich für die Einführung des Grundeinkommens gewesen?
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12
Mrz
2014

daraus

Ob dies der Anfang ist, bezweifle ich noch. Er könnte es sein, aber wären dann die Ansprüche an einen ersten Satz erfüllt?

"Uns geht es so gut, aber irgendetwas stimmt nicht." Hartmut hatte gerade von seinem Pinot Noir gekostet und eine befriedigte Miene aufgesetzt, die so gar nicht zu seiner Äußerung zu passen schien. Sein Freund Peter betrachtete ihn aufmerksam, als könnte er aus dem Gesichtsausdruck etwas herauslesen.
"Was meinst Du damit? Was soll nicht stimmen?" hinterfragte er den ungefähr sechzigjährigen Hausherrn, der, leger gekleidet, auf seinem Gartenmöbel wie aus einer Zeitschrift für "Schöner Wohnen" aussah. Die beiden saßen in einem kleineren Garten mit gepflegtem Rasen auf der steinernen Veranda. Das Gesamtbild strahlte Gemütlichkeit und Wohlstand aus. "Womit bist Du denn unzufrieden?" setzte Peter nach. Hartmut schmunzelte und winkte ab: "Ach ist nichts weiter. Wahrscheinlich nur eine Laune des Übermuts. Es geht uns zu gut. Ich frage mich, wo der Haken liegt."
"Es gibt keinen Haken. Die Politiker haben es endlich gelernt. Im Prinzip hätte das schon viel früher funktionieren können. Zum Beispiel im 20. Jahrhundert nach dem größeren Krieg. Alles hätte man daraus lernen können. Es hat halt einfach seine Zeit gebraucht." Wenn man Peter genauer ansah, passte sein ganzer Körperausdruck nicht zu der beruhigenden Aussage. Peter wirkte durchtrainiert, seine Augen schienen aufmerksam alles in seiner Umgebung zu beobachten und es ließ sich eine Anspannung in seinem gesamten Habitus erkennen, selbst wenn er sich ebenfalls im Sessel zurücklehnte.
Aus der Terassentür trat eine hübsche Frau, deutlich jünger als die zwei Männer es waren, die man zwischen sechzig und siebzig Jahren schätzen konnte. "Es hat wieder eine Flutwelle gegeben. Ich habe es gerade in den Nachrichten gehört. In Indien. Achthunderttausend Tote soll es geben." Die Meldung erzeugte keine besondere Regung bei den beiden Männern. Derartige Meldungen waren in den letzten zwei Jahrzehnten mehrmals im Jahr zu erwarten. Manchmal waren es Erdbeben, dann wieder Wirbelstürme, die Flutwellen waren im Prinzip nur die Folgen von Erdbeben, die nicht am Land auftraten. Die Regelmäßigkeit war erschreckend, doch hatten sich die Völker damit abgefunden, dass die Umwelt ihren Tribut forderte. Es konnte verwundern, dass die Naturkatastrophen über einen Anstrich von Gerechtigkeit verfügten. Es blieb kein Land verschont. Die Todeszahlen waren unterschiedlich, man hätte allerdings eine Korrelation zwischen der Bevölkerung eines Landes und den jeweiligen Auswirkungen der Katastrophen feststellen können. Allerdings tat dies keiner. Was hätte es denn gebracht?
"Kommt herein und seht euch das an. Der Präsident wird gleich sprechen." Hartmut winkte ab. "Wir wissen schon, was er sagen wird. Er wird sein Bedauern ausdrücken und unsere Hilfsbereitschaft verkünden. Ebenso wird er uns ermahnen, für derartige Fälle gerüstet zu sein." Hartmut hatte nicht unrecht mit seiner Behauptung. Naturkatastrophen hatten zugenommen und mittlerweile waren die Militärs aller Länder damit beschäftigt, die Schäden zu beseitigen, den Müll wegzuräumen und Hilfsquartiere für Obdachlose zu errichten. Es gab eine internationale Gruppe, die in jedem Einzelfall von den Militärorganisationen der geographisch naheliegenden Regionen bemannt wurde. Die Aufräumungsarbeiten dauerten in der Regel drei Wochen. Was wirklich sehr gut funktionierte, war die unmittelbare Einsatzbereitschaft innerhalb von zwölf Stunden nach dem Auftreten eines solchen Ereignisses.
Der gute Wein konnte nicht mehr so recht genossen werden.
"Sag mal, was machst Du eigentlich? Du bist so oft unterwegs." wollte Hartmut von Peter wissen. "Du weisst doch, dass ich darüber nicht sprechen darf. Ich bin halt noch aktiv. Ein paar Jahre und ich werde mich so wie Du im Lehnstuhl fadisieren." Hartmut wollte noch nach den Aufgabenstellungen fragen, doch dann erinnerte er sich, wie ausweichend Peter schon früher auf diesbezügliche Fragen geantwortet hatte.
Er konnte auch keine weitere Frage mehr stellen, denn der Kommunikator von Peter hatte eine Meldung empfangen. Dieser stand auf, verabschiedete sich und hatte es plötzlich sehr eilig. Der Grund war, dass er ein Flugzeug erreichen musste. Auch darüber durfte er nicht sprechen. So bemerkte er bei der Verabschiedung nur, dass er in einer Woche wieder kommen würde.
Hartmut schmunzelte in sich hinein. Er vermutete sehr stark, dass Peter für eine Art Geheimdienst arbeitete. Er lag damit nicht einmal ganz falsch, doch er wäre entsetzt gewesen, wenn er nur im Entferntesten geahnt hätte, was Peter wirklich machte.
Als Hartmut zwei Stunden später im Bett lag, fragte er sich, was er wohl selbst mit dem "Etwas stimmt nicht." gemeint hatte. Er konnte es nicht festmachen und der Schlaf dieser Nacht gestaltete sich etwas unruhig.

Wien, 13.3.2014
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11
Mrz
2014

Prolog

Der Titel dieses Buches "2041" ist nicht besonders originell, die Anbiederung an "1984" ist zu deutlich wahrnehmbar. Auch die Bedeutung des Zahlenverdrehens kann genauso wie bei 1984 verstanden werden. Allerdings wird es einen Unterschied geben. Im Jahr 2041 wird man diesen Text nicht mehr lesen können. Obwohl die hier beschriebenen Vorkommnisse rein fiktionalen Charakter haben, werden sie den realen Zuständen in 2041 viel zu ähnlich sein, dass sie nicht einer bestimmten Zensur zum Opfer fallen müssten. Gäbe es nämlich jemanden, der an den realen Umständen zu rütteln versuchte, oder gar danach trachtete sie zu ändern, wäre die Kenntnis der zugrunde liegenden Entwicklungen ein möglicher Ansatzpunkt, an einer bestimmten Stelle anzugreifen.
Die dargestellten Entwicklungen könnten Aufschluss über Schwachstellen des Systems geben. Nicht dass dieses System zu viele Schwachstellen hätte, aber es ist immer leichter anzugreifen als zu verteidigen. Möglicherweise gibt es einen "single point for failure", der ein stabiles System wie ein Kartenhaus zusammenfallen lassen kann.
Glaube ich heute, dass die Kenntnis der Vorgänge im Vorhinein etwas verhindern könnte? Die Antwort ist von meiner Seite ein klares Nein. Aber ich kann nicht schweigen, ich kann nicht verschweigen, dass die Route bereits klar vorgezeichnet ist. Ob ich die systematischen Denkfehler der menschlichen Wissenschaft wirklich richtig erkannt und analysiert habe, ist weniger wichtig als die Strömung zu beschreiben, die uns mitreißt. Diese Strömung ist von teilweise positiven Anlagen und teilweise von verantwortungslosigkeit der Menschen getrieben. Es hilft auch nicht, wenn wir uns klar werden, dass wir aus der Geschichte nichts gelernt haben.
Die Entwicklung, die bereits begonnen hat, lässt sich nicht mehr aufhalten. Vielleicht werden nur Masochisten meine Ausführungen lesen, vielleicht kann ich aber auch etwas zum Verständnis beitragen, wieso alles so kommen wird.
Der Ausgangspunkt ist ein geschichtliches Vorkommnis, dass sich 2014 zugetragen hat. Die Besetzung der Krim durch russische Truppen. Ich schreibe das ohne Vorverurteilung zu betreiben. Es geht nur um den historischen Zeitpunkt, der ursprünglich durch die Ereignisse am Majdan in Kiew zeitlich verankert werden kann.
Des Weiteren gab es am 9. Juni 2013 eine einschneidende Mitteilung, welche die allgemeine, weltweite Bespitzelung durch einen amerikanischen Geheimdienst verlautbarte. Für den Laien war dies gleichermaßen alarmierend wie unglaubwürdig. Die Überwachung als solche ist böse, kann aber in Wirklichkeit gar nicht so stattfinden, weil das viel zu viele Daten wären, die verarbeitet werden müssten. In der gleichen Zeit warben allerdings die großen Mitspieler in der Informationslandschaft mit ihrer Beherrschung von "bigdata". Bigdata beschreibt Datenmengen, die über das normale Erfassungsvermögen der Menschen hinausgehen. Ein klassisches Beispiel wäre hier zum Beispiel die Erfolgsmeldung eines dreibuchstabigen Konzerns, welcher mit einem seiner Groß-Computer menschliche Intelligenz herausforderte und in einem durchaus anspruchsvollen Spiel gegen die menschlichen Kontrahenten gewann. Die Grundlage für diesen Gewinn war die Speicherung von zweihundert Millionen Milliarden Daten, die einige Jahre vorher den aktuellen Inhalt dessen darstellten, was im Internet gespeichert war. Innerhalb weniger Sekunden konnt der Rechner aus irreführenden Beschreibungen den erfragten Begriff herausfinden.
Im Jahr 2014 wussten wir also von der Bespitzelung, wir konnten uns ausrechnen, dass die Daten auch wirklich verarbeitet werden konnten. Und wir sahen, dass das weltpolitische Machtspiel mit den gleichen Methoden weitergeführt wurden, wie sie schon die alten Römer beherrscht haben.
Dann interessiert auch noch das Jahr 2029. Das allerdings soll nicht hier im Prolog besprochen werden. Ein bisschen Neugier soll erhalten bleiben.
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9
Mrz
2014

Die Vergangenheit

In diesem Jahr oder besser in dem ersten Halbjahr 2014 habe ich mehr Vorträge und Workshops zu halten als gewöhnlich. Das ist teilweise einer vermehrten Aktivität in Serbien geschuldet, aber auch in Österreich und Deutschland komme ich dran.
Eigentlich habe ich ja mittlerweile eine Schreib- und auch Präsentationshemmung. Für ein neues Publikum muss ich ja immer bei Eva und Adam anfangen, und das wird auf die Dauer langweilig. Doch jetzt habe ich ein ziemlich unterschiedliches Publikum zu unterhalten und da muss jede Präsentation etwas Anderes (nicht unbedingt etwas Neues) bieten. Und daher macht es mir jetzt wieder Spass, die entsprechenden Vorbereitungen zu treffen.
Recht berührt hat mich aber ein Treffen in der vergangenen Woche mit dem Chef eines konkurrenzierenden Unternehmens. In der Informatik gibt es nicht so viele vernünftige Menschen, daher kennen sich die oberen -zig Personen recht gut und können sich auch leiden.
Er hat mir erzählt, dass er sich an eine Präsentation vor mehr als 10 Jahren erinnern konnte, die auf ihn einen großen Eindruck gemacht hat. Ich hatte nicht gewusst, dass er damals überhaupt anwesend war. Es war ein Vortrag über die Gleichartigkeit des Testens von Software und des Testens von Konzertflügeln. Ich hatte damals zwar nur ein Pianino auf der Bühne, aber das reichte, um die Parallelität aufzuzeigen.
Natürlich freut es mich, dass ich auf diese Weise in Erinnerung geblieben bin. Im April werde ich diesen Vortrag, den ich vollkommen neu ausarbeiten muss, in der Gallerie der Akademie der Wissenschaften (und Kunst) an einem Flügel halten. Vielleicht spiel ich dann als Abrundung eine kleinere Beethovensonate. (Wobei klein nicht die Bedeutung sondern die zeitliche Länge beschreiben soll)
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Ich liebe meinen Induktionsherd. Brauchst auch den...
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wenn Sie der Lehrer meiner...
würde ich mich wundern, dass Sie nicht auf meinen Kommentar...
abohn - 7. Mai, 09:56
Gut gewagt!
Ein sehr ansprechender Text! So etwas würde ich auch...
abohn - 25. Apr, 15:30
Eigentlich habe ich deinen...
Eigentlich habe ich deinen Sohn erkannt. Der ist ja...
lamamma - 27. Mär, 12:44
Überrascht
Ich bin wirkliich überrascht, dass gerade Du lamentierst....
lamamma - 26. Mär, 15:30
Wobei nähen sich ja viel...
Wobei nähen sich ja viel direkter geboten hätte.
Schwallhalla - 26. Feb, 10:30

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