19
Dez
2010

Vogelfrei

Ursprünglich bedeutete das Wort „vogelfrei“ lediglich „frei wie ein Vogel, ungebunden“. So wird das Wort in den älteren Quellen verwendet.[1] Auch Luther und Zwingli verwendeten das Wort noch in seiner ursprünglichen Bedeutung.

Viel später kam es zu der Verknüpfung mit der Ächtung. Sie ergab sich aus den Formeln:

„als du mit urteil u. recht zu der mordacht erteilt worden bist, also nim ich dein leib u. gut aus dem fride und thu sie in den unfrid und künde dich erlös u. rechtlos und künde dich den vögeln frei in den lüften und den tieren in dem wald und den vischen in dem waßer und solt auf keiner straßen noch in keiner mundtat, die keiser oder künig gefreiet haben, nindert fride noch geleit haben; …“

– Artikel 241 der Bamberger Halsgerichtsordnung, zitiert nach Jacob Grimm, Bd. I, S. 58.

und

„sein leib soll frei und erlaubt sein allen leuten und thieren, den vögeln in den lüften,[2] den vischen im waßer, so daß niemand gegen ihn einen frevel begehen kann, dessen er büßen dürfe“

– Wigand, Das femgericht Westphalens. Hamm 1825. S. 436 zitiert bei Grimm S. 59.

Mit dieser Ächtung war auch verbunden, dass dazu verurteilten Personen keine Behausung gewährt wurde.[3] Im Todesfall wurde seine Leiche nicht bestattet, sondern den Vögeln zum Fraß[4] überlassen.

Nach heutiger Auffassung ist dort nicht die Ursache für die Verbreitung der pejorativen Bedeutung zu suchen, sondern in der Sprache der Landsknechte und Soldaten dieser Zeit. Dafür spricht auch das in diesem Zusammenhang auftretende Lehnwort „Preis“ (italienisch presa, französisch prise), hier gleichbedeutend mit dem Wort „Beute“. Landschädliche Leute werden „preis gegeben und vogelfrey“ erklärt.[5]

[aus Wikipedia]
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"vogelfrei" hat nicht unbedingt eine schlechte Ausdünstung, so wie Scheiße etwas. Trotzdem hat mich als Kind schon der Ausdruck mit Mitleid und gleichzeitig Hass gegen jene, die jemanden für "vogelfrei" erklären, erfüllt.
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Ähnlich verhält es sich mit den Worten "fair", wie man sie aus "fair trade" kennt, oder "game", was heute doch state-of-the-art ist. Alles ist nur ein "game".
Wenn man die Bedeutung von "game" als Wild kennt, könnte man aus dem Ausdruck "fair game" noch so etwas wie Abschuss in der erlaubten Jagdzeit interpretieren.
Im Kontext wird dann schon eher klar, dass "fair game" nichts anderes als vogelfrei bedeutet.
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Das haben ja jetzt Palin, wie auch andere ultrapatriotische Amerikaner in den Nachrichten- und Unterhaltungsmedien in Bezug auf Assange gefordert.
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Gestern habe "Fair Game" im Kino in der Originalfassung gesehen. Dass ich G. W. Bush für ein Unglück fur die USA halte, habe ich schon früher kundgetan. Der Eintritt in den zweiten Irak-Krieg bedeutet für mich den Abstieg der USA zur Bedeutungslosigkeit. Während ich allerdings früher noch eine zeitliche Spanne von "in 40 Jahren" bis "in 400 Jahren" angegeben habe, beschränke ich diese Aussage jetzt auf "in 40 Jahren" bis "in 200 Jahren", wobei ich denke, dass 200 die optimistischste Zeitangabe darstellt.
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Es mutet nur seltsam an, dass sich ein Land über Wiki-Leaks aufregt, dessen Machthaber die eigenen Geheimagenten und deren Zuträger verraten.
Wahrscheinlich haben die Amerikaner aber auch dafür ein eigenes Wort. Vielleicht "high truth" or "white truth", abgeleitet, wenn "die Wahrheit" aus dem weißen Haus kommt.
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18
Dez
2010

Was früher einmal

geschrieben wurde.
Es ist fast immer lustig, etwas zu finden was jahrelang aus den Augen verschwunden war. Seit Computer für mich erschwinglich waren, habe ich versucht, Dinge zu speichern. Das Ordnungsprinzip dabei ist allerdings nicht ganz durchsichtig und so kommt es schon vor, dass ich etwas überhaupt nicht finden kann, von dem ich sicher weiß, dass es da ist.
Das meiste ist ja ziemlicher Mist, was da einmal zusammengeschrieben oder gereimt wurde.Nicht einmal originell. Ich war damals scheinbar von Frosts Stil beeinflusst.Aber manchmal ist es besser als eine Tagebuchaufzeichnung.


der erste Eindruck ist von einem Bild beeinflusst, das über meinem Schreibtisch hängt. Eine Kopie (vermute ich) eines Aquarells, 270 * 30 cm, das den Ausblick vom Kahlenberg auf Wien zeigt.

Title: WATER

(Vienna 1800)

The freedom of the river danube
two centuries ago, was genuine.
A crossing of the stream at Vienna
not a majestic endeavor it was
but hopping over islands that were formed
by manifold of rivlets when the river tried
to find its easiest way.
My loves were like the rivlets, steady and
as true of me as were the little muddy streams
that can be found today as remnants of those ages.
Was not I true to myself letting nature split
my powers.
But split they were and I was bound and all
my freedom was just following a trivial call.

(Vienna 2000)

The river has become a public ressort, now.
And everybody can enjoy the one or other stream
that calmly passes by the city.
There is more power to the streams although
So tamed they seem.
And if one tried to swim across the closer stream
one would encounter force and power and detouring,
one would not reach the point you had intended to.
And when from all the loves emerged a single one
that tamed my wildness and had me found my goal
in knowing what I wanted.
And like the river I was split in two, a life
of former affiliations and the new that promised
giddiness and joy and true and never felt emotions.

Waterfall

Unlike the ressort places that invite for rest and
peaceful entertainment the stream of my true love
approached a waterfall.
The edges and the rocks made little swirls and if
the river was my love so I was shaken in my boat.
And every move I made to fight me off the cutty edges,
threw nearer me to just another riff.
And then I felt how strong that love would be.
It would transport me where I would not like to go,
the flow however had already taken me.
So just before the big fall came,
so came the knowledge and conviction that
Right this stream it was, that I had wanted
whereever it would take me, -- even to the fall.

Dam

My love is dammed now, all the freedom's gone?
Every drop in my abundant sea has memories
of forests, rocks and squirling speed.
It's loaded with enriched forces that are to be of use,
whenever one decides to open gates and let the water flow.
No forests anymore, no sky, no moon or sun.
The water will be pressed in tubes and will drive engines,
yielding power, light. A little trickle can be seen
when all is over.
The love when pressed in tubes might yield for knowledge,
peace or wisdom. Who is there to know?
But what I know and that I know for sure
that love has not been lost and not so has been lost its power.



The bad impacts of dams (8.8.2002)


If I learn from nature than I have to see
that dams can be of harm. So let me take this as reminder.
Open the gates, open the gates, open them.

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Mathematik ist nicht-linear

Es gibt eine sehr nette Darstellung dieses Themas. Für manche wird die Art der Darstellung neu sein.*
Ist leider auf englisch, aber es zahlt sich aus, durch die Präsentation durchzugehen. Meine ich, jedenfalls.


Unter "MORE" finden sich "AUTOPLAY" und "FULL SCREEN". Full screen würde ich stark empfehlen.
*) Wenn ich es schaffe, werde ich einige der neuen Vorlesungen so gestalten. Ich empfinde es als weitaus besser als Powerpoint.
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16
Dez
2010

Feesbug lustig

Facebook ist jetzt schon mindestens 10 Minuten down. Jetzt weiß ich nicht: sind die pro Wikileaks oder contra. Nachdem da ja doch ziemlich viel amerikanisches Gedankengut vermarktet wird, tippe ich auf contra.
Vielleicht ärgert die, dass soviele pro-Wikileaks-Stimmen auf facebook zu finden sind.
Ich bin gespannt, was es da wieder für Erklärungen geben wird.
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15
Dez
2010

Zur Erinnerung

Manche werden sich an die Bilder erinnern können. Zwei Beispiele, die ich auch mit "friedlich" attributieren würde.



Es wäre vielleicht sinnvoll gewesen, die Frischhaltefolie zu entfernen. Aber als sie dann einmal weg war, hat es nie mehr wieder so friedlich ausgesehen.

2010Jeanluc

Den JeanLuc rührt das natürlich überhaupt nicht.
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froh oder was

Frau Columbo schreibt zwar von sehr ungern bis gar nicht, kann aber recht störrisch werden, wenn ich eine Mitteilung in unserer beiden Namen verfasse. Ich sehe das recht locker, denn es gehört zu meinem Berufsbild dazu, etwas zu korrigieren - und damit auch selbst korrigiert zu werden.
Bei einem Wort habe ich allerdings gestreikt und auf meiner Version beharrt. Ich wünsche ein "beschauliches" Weihnachtsfest, sie wollte das auf "froh" ausbessern.
Zu "Frohe Festtage" könnt ich mich noch zwingen lassen, denn Chanuka unterstellt Freude. Weihnachten ist in unserer Zeit derart "konsumiert" worden, dass die Freude, die ein Peter Rosegger noch bei der Weihnachtsbesorgung empfinden konnte, der Hektik und dem Getriebensein weichen musste.
Der Begriff "froh", an dem es an sich nichts auszusetzen gibt, es heißt ja auch "Frohbotschaft", wurde verdorben. So ähnlich wie das Wort "geil", das heute ja kaum mehr mit dem angenehmen Vorgang des Vögelns verbunden wird, sondern nur mehr daran erinnert, wie uns große Pseudo-Diskonter verar.....
Wenn ich etwas wünschen will, dann ist das Beschaulichkeit. Das Wort drückt für mich notwendige Ruhe zum Schauen, zum Schauen zum Nächsten und zum Schauen auf sich selbst aus. Das Schauen muss auch verarbeitet werden, d.h. es verbindet damit auch die Forderung nach Ruhe und Besinnlichkeit.
Und das wünsche ich jedem, egal welcher Konfession er angehört. Ein Stoiker kann vermutlich auf meinen Wunsch verzichten:)
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Irgendwie glaube ich auch, dass es letzten Endes auch dieser Wechsel war - aus der Ungeduld des kindlichen Herzens, was bringt das Christkind für Geschenke - zur Freude an den Minuten, wenn alles fertig war und man den Augenblick der Bescherung gerne verzögert gesehen hat, um die Vorfreude zu vermehren der mich die Beschaulichkeit hat schätzen lassen.
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Dieses Nachlassen einer extern erzeugten Anspannung in die Beherrschung eines festlichen Ablaufs ohne den Streit, der in manchen Familien regelmäßig zu Weihnachten ausbricht, das wünsche ich denen, die sich das selbst auch wünschen.
Ein beschauliches Weihnachtsfest eben.
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13
Dez
2010

7. Fortsetzung 1784

Was zuvor geschah

Seite 17,18 von 33


VIII.

Abermals war es Spätherbst, Seferle sass mit der Mutter am Spinnrade, und summte Lieder aller Gattung, wozu letztere den „Dischkant“ brummte. Da trat der Vater ein, er kam eben von Wien. Nach dem herzlichen Willkomm war seine erste Frage: „Nu Seferle, mögst nicht auch mal mit nach Wien fahren, Deinen Geschwisterer geht’s ganz gut, und haben mir versprochen, für Dich gerne zu sorgen, wennst mitkommscht.“
Ueberrascht von diesem Antrage, war Seferle gleich dazu bereit, als aber der Abschied vom Muatterle und Brüaderle kam, da wollte schier das Herzel brechen. Weinen lagen sich Mutter und Tochter lange in den Armen, erste ermannt sich zuerst: „Sei brav Kind, in der grossen, grossen Stadt. Gott habe zuerst vor Augen, dann Deine Mutter, was Du glaubst, dass die Zwei gut heissen, das kannst Du unbedingt thun, bete fleissig, und vergiss keinen freien Augenblick auf die Kirche, arbeite streng, damit Deine Schwestern mit Dir zufrieden sind.“
Noch ein Paar herzhafte Küsse, der Vater drängte, sie eilten fort. Da kam ihnen eine alte Witwe aus dem Dorfe nachgehumpelt, deren einzigen Sohn man eben zum Militär genommen hatte.
„Ach,“ klagte sie zu Haas, „wenn Ihr nach Wien kommt, so sagt dem Koiser, „‘s Drille vom Schwihof (Gertrud vom Schwimhof) lasst ihn vielmalt bitten, ihr ihren Sohn wiederzugeben.“
Haas versprach lächelnd, sein Möglichstes zu thun.
Des andern Tages sass Seferle in einem Schiffe auf der Donau.
Städte, Dörfer, Wälder und Felder flogen am Ufer vorbei. Die neuen Gegenstände, die Freude, Wien und ihre Schwestern zu sehen, zerstreuten sie bald, als sie nun gar die Residenz erreichten, da wollte das Schauen und Wundern kein Ende nehmen. Liebreich nahmen die Schwestern das Mädchen auf; bald sass Seferle am Stickrahmen, und begriff die neue Arbeit mit wunderbarer Schnelligkeit. Sie brachte es durch Fleiss in Kurzem dahin, sich ebenfalls so viel als ihre Schwestern zu verdienen. – Da kam der Vater nach einem halben Jahre wieder und sagte: „Wenn’s Dir hier nicht g’falle thut, so nimm ich Dich schon wieder heim zum Muatterle.“
Nichts Anderes hätte sonst das Mädchen dazu bewogen, dieser Nahme hatte jedoch magische Gewalt.
Ihre Mutter wieder zu sehen, dieser Gedanke lässt sie freudig und unüberlegt das Anerbiethen des Vaters annehmen, und nicht auf die Vorstellungen ihrer Schwestern achten. „Sie kann ja wieder mit mir nach Wien kommen,“ setzte der Vater hinzu.
Nun kommt die Heimreise.
Ein Bekannter aus Weiler, der ebenso wie Haas seiner Ahasverusartigen Herumzieherei wegen bekannt war, hatte in einer Vorstadt eine Ladung Branntwein gekauft, um diese nach Weiler zu führen.
Auf einem sogenannten Leiterwagen lagen zwei ungeheure Branttweinfässer, auf welchem nun Herr Heim, so hiess der Mann, mit seiner Frau, fünf schlimmen Buben, Seferle und deren Vater die neunzig Meilen zurückzulegen im Begriffe stand. Der letztere machte den Rosselenker, wofür er auf so angenehme Weise umsonst nach Hause kommen konnte.
Wohl waren der Stosseufzer viele, die es Seferle herauspresste, oft sog sie vor neben dem Wagen zu marschiren, wenn der Körper schon längere Zeit auf so unsanfte Art hin und her geschüttelt worden war, doch der Gedanke an ihre Mutter söhnte si e einiger Massen mit dem polternden Fuhrwerk aus. Die Buben purzelten inzwischen hinter ihrem Sitze über die Fässer, da – es war gerade ein abschüssiger Hügel, sah sie, wie der ältere Knabe einen Fehltritt machte, und rücklings vom Wagen hinabstürzte. Ein Schrei – sie hatte nicht mehr die Zeit, dem Vater ein Halt zuzurufen – das Rad war dem Armen bereits über beide Beine gefahren.
Ein Aufenthalt von mehreren Wochen war die Folge davon, man kann sich denken, wie lang die Karawane brauchte, bis sie Weiler erreichte.
Schon von ferne pochte Seferle das Herz, als sie den wohlbekannten grünen Kirchthurm unverändert in die Lüfte ragen sah; dann kamen andere Gedanken, die von der Eitelkeit zeigten, die allen Mädchen in diesem Alter anzuheften pflegt.
„Ich werde,“ sagte die kindische Kleine zu sich, „Aufsehen zu Hause machen, wenn ich mit meinen städtischen Kleidern ankomme, wie werden mich die Leute angaffen und bewundern, und meine veränderte Sprache anhören.“
Dieses war auch in der That der Fall, das ärmliche Dorfkind kam als Stadtjüngferchen mit Stöckelschuhen, langem Kleide und frisirten Haar zurück.
„Gucket, gucket!“ sagten Sonntags in der Kirche zu Weiler die ältern Mädchen zueinander, und stiegen auf die Bänke, um besser sehen zu können, „gucket, mit sidene Bändle und silberne Schnalle hat sie ihre Schuhe verzierathat.“ Der Neid blendete ihre Augen, und liess Stahl für Silber, Wolle für Seide schauen. – Einige Zeit gefiel der kleinen Eitlen dieses Bewundern ihrer selbst von denen, die sie früher verachteten, bald jedoch stellte sich bei dem schon an bessere Arbeit gewöhnten Mädchen die Langeweile ein, nebstdem kamen ihr die Dorfleute in Vergleiche mit den Städtern unbehülflich, ungeschickt, dumm vor; als sie einst erzählte, in Wien gäbe es 3 bis 4 Stock hohe Häuser, lachten ihr ihre Zuhörer ungläubig in’s Gesicht.
So sehnte sie sich weiter nach einer Arbeit, die mehr den Geist beansprucht, als Flachs spinnen und Kartoffel klauben.
Frühere Jahre hatte sie mit ihren Schwestern zu Weihnachten und Neujahr im Pfarrhause und den reicheren Gehöften geistliche und weltliche Lieder gesungen, und mit ihrer frischen Stimme die Zuhörer entzückt, was manche blanke Silbermünze eintrug, jetzt fehlten aber die zweiten Stimmen, und so hatte Seferle nur den einen Wunsch, bald wieder nach Wien zu kommen, und erwartete mit Ungeduld die Rückkunft des Vaters.


wird fortgesetzt
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Lesen - Was ist das

Über das Lesen haben berufenere Leute als ich bereits deutliche Worte gefunden. Ein Blogger hat sich die Mühe gemacht, Hermann Hesses Text über das Lesen ins Internet zu stellen.
Wer den Text nicht kennt, sollte ihn einmal lesen, egal, wie er sonst über Hesse denkt.
Mein Vater hat mir einmal gesagt, das Lesen ein Verschwendung ist. Eine Verschwendung an Leben. Diese Aussage könnte leicht missverstanden werden. Wurde sie aber von mir nicht, weil ich ja wusste, wie viel mein Vater gelesen hatte. Und nicht nur einfach gelesen. Manchmal schrieb er auch Leserbriefe und die Antwort eines berühmten Autors, Heimito von Doderer, ist bezeichnend, wie intensiv mein Vater gelesen hat. In einem Antwortbrief schrieb Doderer: "Selten erfährt ein Autor das Glück, sich von seinem Leser so verstanden zu wissen."
Was hat mein Vater also gemeint? Er hat das auch in der Folge erklärt. Durch das Lesen kann man sich verlieren, man kann versäumen, das richtige Leben zu leben, schlichtweg zu leben. Denn Lesen kann zur Droge werden.
Und so, wie es Kettenraucher gibt, die 95 werden, und Weinbauern, die mit 80 noch ihren täglichen Liter Wein genießen, so wie es eine ganze Reihe von alten Menschen gibt, die sich nur einseitig ernähren, so kann man auch das Lesen wie eine Droge genießen, ohne dass man sich deswegen dem Leben versagen muss.
Während man aber beim Abstinenzler nicht unbedingt Mangelerscheinungen feststellen wird, stellt man schon manchmal überrascht fest, dass jemand Lungenkrebs bekommt, obwohl er nicht geraucht hat. Neben dem Passivrauchen gibt es ja auch noch andere verursachende Faktoren.
Vielleicht sollte man das Lesen daher besser mit der Milch vergleichen. Während die Milch für das Kind eine ganze Reihe wertvoller Ingredienzien mitbringt, kann sie für den Erwachsenen sogar schädlich sein. Ganze Menschengruppen vertragen sie nicht einmal.

Warum, und in welchem Alter, sollte der Mensch nun das Lesen brauchen?
Die Antwort ist: ziemlich früh. Zuerst in passiver Form des vorgelesen Bekommens, danach möglichst rasch in aktiver Form des selber Lesens.
Das Lesen ist der Schlüssel und die Nährsubstanz für die Fantasie. Die Fantasie kommt in unterschiedlichen Ausprägungen daher. Fabulieren, Tagträumen, Vorstellungsvermögen, Empathie und Verständnis, Verständnis und Einfühlungsvermögen in andere Menschen. Es gibt auch negative Aspekte wie Albträume, allgemeine Paranoia, die in gemäßigter Form vielleicht für das Überleben notwendig ist.
Die positiven Aspekte überwiegen allerdings.
Jetzt ist die Fantasie aber etwas, was vom Leser aus dem Inneren erbracht werden muss. Das Lesen ist Erfahren von äußeren "Tatsachen" (gilt auch für Märchen). Um diesen Erfahrungsprozess durchleben zu können, muss ich in der Lage sein, selbst das Tempo zu bestimmen. Wird mir vorgelesen, moniere ich "das kenn ich schon" oder "noch einmal, ich möchte das noch einmal hören". Ich mache das, um das Tempo des Vorlesenden dem Zeitmaß meiner Vorstellungswelt anzupassen.
Wenn ich dann einmal selbst lesen kann, bestimme ich das Tempo ohnehin selbst.
Das ist der große Unterschied, den das Lesen zu allen anderen Arten der Aufnahme neuer Inhalte hat. Die notwendige Menge an Zeit bestimme ich selbst. Dadurch können meine Gedanken bei jedem Satz schweifen und neue Assoziationen bilden, ich kann mich zu einem gestaltenden Menschen entwickeln.
Jetzt höre ich schon die Argumente, dass es auch Musiker gibt, die keine Noten lesen können. Ja, das stimmt. Ich selbst habe einmal einen berühmten und auch sehr berühmten Musiker in Manila (del Rosario) kennengelernt, der mir erzählt hat, dass er nicht Noten lesen kann. Ähnliches lässt sich sicher auch bei Malern als Gegenbeispiel anführen. Die Frage ist nur, wie schreibe ich eine Symphonie ohne auf Noten zurück zu greifen. Ich kann mir auch vorstellen, dass es berühmte Köche gibt, die nie ein Kochbuch gelesen haben, doch wieviele Menschen können ohne Kochbuch kochen?
Kommen wir zurück zum Lesen. Brauche ich bewusstseinserweiternde Drogen, wenn ich wirklich lesen kann? (Das ist ein anderes Thema, das ich jetzt hier nicht weiter ausführe.)
Lesen kann durch vielerlei ersetzt werden, aber vermutlich sind alle anderen Erfahrungsmaßnahmen entweder sehr zeitaufwändig, gefährlich oder vielleicht sogar unethisch. Ist es notwendig, jemanden umzubringen, um sich in die Situation zu versetzen, ob man sich danach schuldig fühlen soll, muss oder überhaupt kann?

Lesen ist überbewertet! So, wie auch die Mathematik! So, wie viele andere Dinge überwertet sind, wieviel PS mein Auto hat, nicht wahr?
So viele Dinge sind überbewertet. Menschenleben, Menschenwürde, Armut (die ist vielleicht unterbewertet) und so fort. Wie soll denn jemand überhaupt mit einem Armen Mitleid empfinden, wenn er nicht die Welt des Armen kennt. Wenn er nur den Bettler kennt, von dem er annimmt, dass er zu einer organisierten ausländischen Bande gehört.
Wie soll den jemand erkennen, dass er im Krieg genau auf die Person schießt, die möglicherweise genauso gut sein Nachbar hätte sein können?
Wie soll jemand verspüren, dass ein Bruderkrieg noch eine Spur gemeiner ist - und unheilbare Narben hinterlässt - als "der normale Krieg", bei dem man dann halt einmal zwei Atombomberln abwirft, um ihn zu beenden?
Natürlich ist es möglich, sich das alles erzählen zu lassen - in der Schule - oder das einmal in Filmen geschildert zu bekommen, wobei dort fast immer die Liebesgeschichte der unzureichende Träger ist, damit überhaupt Emotionen geweckt werden.
Wenn die Vorstellungskraft eines Menschen einmal verkümmert ist, helfen alle anderen Darstellungen nichts mehr.
Es gibt eine Ausnahme: es gibt Menschen, die sich sowieso nicht unserer Zeit anpassen, Menschen, die einfach der Natur verbunden sind, Menschen aus anderen Kulturkreisen, die wir als zurückgeblieben ansehen. Menschen, die komischerweise sehr viel Mitgefühl entwickeln können. (Die Erklärung ist einfach: die Leute lesen vielleicht nicht, aber ihnen wurden jede Menge von Geschichten, Sagen, Mythen in ihrer Kindheit eingetrichtert. Zwar auswendig überliefert, aber ganz in Vertretung des Vorlesens.)
-
Für uns andere, die wir in unsere Zeit geboren sind, ist für die große Mehrzahl von uns das Lesen die Eintrittskarte in das Gebiet der Fantasie. Wer sich da einmal wirklich austoben möchte, sollte das Buch von Michael Ende die unendliche Geschichte
lesen.
-
Falls es noch nicht klar ist: die zeitliche Eigenbestimmung ist es, was das Lesen sämtlichen anderen Erfahrensmöglichkeiten voraus hat. Deswegen ist der Fernseher als Babysitterersatz mit noch zu entzückenden Tierfilmen kontraproduktiv, wenn er zu einem Zeitpunkt verwendet wird, bevor das Kind lesen kann oder entsprechend viele Geschichten vorgelesen bekommen hat.
-
Aber es mag sein, dass ich die Fantasie, das Vorstellungsvermögen überbewerte. Allerdings werden wir ohne Vorstellungsvermögen, dass es auch anders funktionieren kann, kaum eine Verbesserung der derzeitigen Zustände erreichen können.
-
Mathematik ist natürlich genauso überflüssig wie Lesen!
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Was Österreich weiss

Das Blatt weiss ja im Allgemeinen schon einen Tag früher, bevor etwas passiert. Da ich allerdings das Blatt nicht einmal fladere, (ich lese es nur dann, wenn ich ein Exemplar neben mir auf dem U-Bahnsitz vorfinde) hätte ich auch nicht wissen können, dass der Zug, auf den ich 25 Minuten gewartet habe, (der Zug hatte Verspätung, der davor nicht, welcher mir vor der Nase davon gefahren ist) nicht bis Gänserndorf sondern nur bis Liesing fährt. Irgendwo scheint ein Lastwagen auf der Bahnstrecke zwischen Liesing und Meidlung zu liegen.
Das ist nun traurig, aber solche Dinge passieren halt.
Was vermeidbar wäre, ist die Umstellung des Ticket-Einkaufs übers Handy. Es ist mir als nicht unbedingt IT-feindlichem Benutzer unmöglich, eine Handlung zu wiederholen, die ich schon Jahre zuvor recht locker handhaben konnte. Ein Ticket von Brunn nach Liesing, Vorteilskarte. Ein Anruf bei 051717 ergab, dass letzte Woche ein e-Mail hereingekommen war, wo die neue Syntax beschrieben ist. Gleichzeitig wird betont, dass das Antreffen ohne Fahrkarte eine gehörige Geldbuße nach sich ziehen kann.
Was ich über ÖBB-interne Umstellungen erfahren habe, lässt mich keinesfalls hoffen, dass sich da in naher Zukunft viel ändern wird.
Aber in Zukunft werde ich das Österreich-Magazin doch bereits am Sonntag aufmerksam lesen, um zu wissen, ob meine öffentliche Zugverbindung auch tatsächlich zustande kommt.
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abohn - 7. Mai, 09:56
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Ein sehr ansprechender Text! So etwas würde ich auch...
abohn - 25. Apr, 15:30
Eigentlich habe ich deinen...
Eigentlich habe ich deinen Sohn erkannt. Der ist ja...
lamamma - 27. Mär, 12:44
Überrascht
Ich bin wirkliich überrascht, dass gerade Du lamentierst....
lamamma - 26. Mär, 15:30
Wobei nähen sich ja viel...
Wobei nähen sich ja viel direkter geboten hätte.
Schwallhalla - 26. Feb, 10:30

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