5
Apr
2011

MILF oder Fussball

Über das Akronym MILF wurde vor wenigen Tagen noch gerätselt. Es ist keine Bildungslücke, wenn man als Frau noch nicht der Abkürzung von "Mothers I'd like to fuck" begegnet ist. Sie hat ihre Bedeutung vor allem auf Pornoseiten, wo sie eine Kategorie von bestimmten Streifen bezeichnet.
Jetzt gibt es aber auch Fussball. Und der angeblich beste Fussballer Österreichs ist in die Schlagzeilen gekommen, weil er einen Kollegen mit "jebem ti mater" beschimpft hat, was mit ungefähr "Ich ficke deine Mutter" zu übersetzen ist.
Heute wurde ich in der U-Bahn-Station Zeuge eines ähnlichen Wortwechsels und ich fing zu grübeln an.
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FICKEN war zu meiner Zeit ein absolut böses Wort. Ich habe es auch bis zum Alter von zirka 40 Jahren nie verwendet. Interessant war die Klassifizierung von bösen Worten im Englischen, die als Four-letter-words bezeichnet wurden. Dazu gehörte auch FUCK. "Fuck yourself" ist eine der Phrasen, die man in nicht gerade freundlicher Gesinnungslage hervorstößt. Ich bin noch nicht ganz drauf gekommen, ob es anständiger zu sagen ist: "this bloody " oder "this fucking ".
Im Deutschen wird manchmal entsprechend zu "Fuck you", was grammatikalisch m.E. nicht ganz richtig ist, der Ausspruch "Fick dich ins Knie" verwendet, der bei mir immer einen Nachdenkprozess auslöst. Was ist damit eigentlich gemeint?
Jetzt ist FICKEN mittlerweile ja salonfähig geworden. Man kann durch seine Verwendung durchaus auch literarische Preise ergattern. Das Wort bezeichnet eine an sich angenehme, erfreuliche und wie ich denke auch erstrebenswerte Handlung. Allerdings wird dieselbe etwas abgewertet, wenn es sich nur um einen Fick handelt, - weil eben das Wort ganz eindeutig mit einer negativen Konnotation belegt ist. Ich habe auch Interpretationen gehört, wonach Ficken etwas "Ehrliches" an sich hat. So in der Art, dass ein bekanntes Freudenmädchen ein bisschen ehrlicher als ehrbare Damen ist, die sich in Wirklichkeit auch nur verkaufen, um den Schmuck dann auf den Opernball auszuführen.
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Wenn ich das jetzt aber alles zusammenfasse, MUSS FICKEN etwas Schlimmes sein. Es kann doch nicht anders sein, wenn in den meisten Sprachen in Verbindung damit die ärgsten Beschimpfungen gebildet werden. (Auf russisch könnte ich das auch noch belegen.)
Und was sind wir für eine verkorkste Spezies, wenn wir das, was wir eigentlich am liebsten möchten, zu nichts Besserem verwenden als jemanden zu beschimpfen. Im Wienerischen gibt es da viel bessere Beschimpfungen. Bei Hirschbolds Sprachpolizei gab es einmal eine Abhandlung, wie man gut schimpft. Man nehme ein Hauptwort, möglichst unverfänglich und unschuldig, füge ein Attribut dazu, welches das Hauptwort als ungünstige Ausprägung erscheinen lässt, und bildet den Superlativ.
Also nehmen wir "Fernsehantenne". - Unschuldig.
Die wird mit einem geeigneten Attribut zur Beschimpfung.
"(Sie) windschiefe Fernsehantenne". - das ist schon böse, wenn man es zu jemandem sagt.
Und jetzt kommt der Superlativ. Er wird durch ein Postfix gebildet, nämlich durch das Wort "übereinand".
"SIE WINDSCHIEFE FERNSEHANTENNE ÜBEREINAND!" - Das muss das Gegenüber in den Grundfesten erschüttern und es vor Wut zerplatzen lassen.
Wie fantasielos ist dagegen: "Fick dich ins Knie".
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Vielleicht ist es auch nur unser Neid auf Menschen mit Tourette-Syndrom. Die dürfen alles sagen, weil es eine Krankheit ist. Und am liebsten würden wir sowieso schweinigln, wie Mozart es gemacht hat. Weil wir das aber nicht dürfen, heben wir es uns für die Augenblicke des gerechten Zorns auf.

"What a fucking posting this is!"
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virtualmono - 5. Apr, 00:32

... was mich daran erinnert, daß ich ja dieses Jahr weniger fluchen wollte, verfickte Sch... aber auch ;-)

MILF -> guckst Du "American Pie" *hihi*... (dadurch dürfte es dann Einzug in den alltäglichen Sprachgebrauch erhalten haben)

steppenhund - 5. Apr, 09:02

Nein, von American Pie habe ich es nicht:) Kam das damals schon vor oder hat sich das inzwischen zur Serie entwickelt?
virtualmono - 5. Apr, 09:40

Ja - auf Stiflers Party, als die Jungs vorm Bild seiner Mutter stehen *g*...
rinpotsche - 5. Apr, 00:36

Mir wurde 'fick dich ins Knie' auf polnisch, auch Fußballer (kann es nur lautmalerisch wiedergeben: Nije pirrdol) bekanntgemacht. Gottlob im angeregten Gespräch, und nicht als Straßenkommentar. 'Ficken' ist mir bis heute ein nahezu unaussprechliches Wort zum Gebrauch geblieben, hier wirken die Altlasten aus restriktiven Ermahnungen Erwachsener zu Kinderzeiten. Es hat einen mechanischen, despektierlichen Beigeschmack, obschon es mir, im Vertrauen geflüstert, schon das Rechte war. Wie bei allem, wirken auch Obszönitäten zur richtigen Zeit Wunder. Bei 'ficken' bestimmt vor allem die Tonlage die Musik.

steppenhund - 5. Apr, 09:01

Ich verstehe schon die Wirkung von Worten zum richtigen Zeitpunkt. Allerdings würde ich es dann trotzdem bevorzugen, dass die Frau lieber auf Sastremenaja oder Perestrojka abfährt, wie man es im "Ein Fisch namens Wanda" lernt.
rinpotsche - 5. Apr, 12:14

Ein schöner Seilakt im Film. Ich kann mir gut vorstellen, wie sich Frau Curtis dabei amüsiert haben muss. Das Zweitwichtigste, nach Perestroika.:)
steppenhund - 5. Apr, 15:05

Wissen Sie, was Sastremenaja bedeutet? Das hat mit dem Abschied zu tun, wenn der Held aufs Pferd steigt, sich noch einmal zur Geliebten (oder Frau) hinunterbeugt, sie küsst und dann den vorletzten Abschiedstrunk zu sich nimmt. (So hat man mich es zumindest gelehrt. Angeblich Steigbügelhalterchen)
walhalladada - 5. Apr, 00:49

Passt schon...


steppenhund - 5. Apr, 09:00

:)
Ist das jetzt blogistisches Tourette oder touristisches Blog?
Falkin - 5. Apr, 08:21

Ich denke,

dass sind die Auswüchse jener sexualfeindlichen Moral, die sich aus und auf dem Humus eines durch "Rom" pürierten Christentumes erwächst.

=> Das deutsche Wort »Schiff« stammt vom altnordischen "skop", was »Schicksal« und auch »Genitalien« bedeutet. Das Schiff war ein Symbol der Göttin Frigga (Freya), deren Name zu "frigging" (»ficken«) und "frigate" (»Fregatte«) führte. (...)
Zitat Quelle

...die heidnischen, fruchtbaren Gottheiten, sowie die zu ihren Ehren abgehaltenen, die Fruchtbarkeit huldigenden Rituale wurden verdammt und Sexualität auf einen rein funktionellen, indes durchaus schmutzigen und teuflischen Akt reduziert. Mit den Urururenkeln dieser Gedanken plagen wir uns heutzutage. Qed.

im ureigentlichsten Sinne würde also "ficken" einen wundervollen und göttlichen Akt umschreiben. Nur, dass keiner mehr draufkommt. Wie auch, die meisten sind sich der durch sie zelebrierten Rituale ja eh nicht bewußt. Stichwort Ostern.

Im Vorbeipflug beschwingt dahingeplappert
und nen schönen Gruß hinterlassend:
die Falkin

steppenhund - 5. Apr, 08:56

Nicht schlecht! Danke für diesen substantiellen Zusatz. Die Verteufelung des Sexuellen geht schon sehr auf das Konto der Katholiken, wobei ich ja auch durchaus den Wilhelm Reich zitierenswert finde, der die repressive Sexualmoral nicht nur dort sondern auch bei faschistischen Systemen ansiedelt. Je schlechter das Gewissen der Leute, desto besser sind sie beherrschbar.
Falkin - 5. Apr, 09:30

ei! Wilhelm Reich und Alexander Lowen schätze ich sehr!

...dann sagt Ihnen evtl der Name James DeMeo etwas? In "On the Origins and Diffusion of Patrism: The Saharasian Connection" wertet er diverse ethnolo-, archäolo-, klimato-, histori- und geographischen Forschungsergebnisse aus und leitet auf dem Fundament dieser die Entstehung von Gewalt als eine Art Kettenreaktion ab. Gewalt und Sexualneurose scheinen einen tödlichen Caduceus zu bilden. Und der so ausgeleiert Slogan "Make love not war" erhält eine tieferreichende Wahrheit.. ;)

Zitiere Demeo:
In Saharasia habe ich die weltweiten geographischen Muster repressiver, schmerzhafter, traumatisierender, gewalttätiger, gepanzerter, patristischer Verhaltensweisen und sozialer Institutionen, welche die Bindungen zwischen Mutter und Kind sowie zwischen Mann und Frau zerstören, anhand einer systematischen Analyse anthropologischen Datenmaterials von 1170 eingeborenen Subsistenzkulturen ermittelt und zueinander in Beziehung gesetzt. Nach Abschluß der Kartographierung zeigte sich, daß der extrem trockene Wüstengürtel, der sich von Nordafrika über den Nahen Osten bis nach Zentralasien erstreckt und dem ich den Namen Saharasia gegeben habe, die größte Ausdehnung der radikalsten patristischen Verhaltensweisen und sozialen Institutionen des Planeten Erde aufweist.

zu evtln Weiterlesen: http://www.orgonelab.org/saharasia_de.htm

Evtl auch interessant für die eine, den anderen: Wie die sexualfeindliche Moral in Europa etabliert wurde Ottmar Lattorf
steppenhund - 5. Apr, 15:12

Ich hab eh schon keine Zeit mehr. Jetzt soll ich noch Montauk lesen und dann noch all diese Links. Sie kennen mich nicht so gut, dass Sie wissen können, dass ich viel zu neugierig und interessiert bin, um die Links links liegen zu lassen;)
katiza - 5. Apr, 12:04

Ich halt mich da an Brecht:

Das dreizehnte Sonett

Das Wort, das du mir oft schon vorgehalten
Kommt aus dem Florentinischen, allwo
Die Scham des Weibes Fica heißt. Sie schalten
Den großen Dante schon deswegen roh
Weil er das Wort verwandte im Gedichte.
Er wurd beschimpft darum, wie ich heute las
Wie einst der Paris wegen Helenas
(Der aber hatte mehr von der Geschichte!)

Jedoch du siehst jetzt, selbst der düstere Dante
Verwickelte sich in den Streit, der tobt
Um dieses Ding, das man doch sonst nur lobt.
Wir wissen’s nicht nur aus dem Machiavelle:
Schon oft, im Leben wie im Buch entbrannte
Der Streit um die mit Recht berühmte Stelle.

steppenhund - 5. Apr, 15:11

Ich hab Ihren Kommentar zuerst auf dem Handy gelesen. Da werden solche Einträge immer sehr lang. Ich hab den Überblick verloren, wann Brecht aufhört und Sie anfangen.
Jetzt auf dem Computer sehe ich die gesamte Form. Sie haben Brecht ja schon vorher angegeben. Es ist also kein Plagiat sondern Zitat. Doch können Sie sich vorstellen, dass ich ernstlich geglaubt habe, dass die Zeilen (ab "Das Wort ...") von Ihnen selbst stammen. Und ich war begeistert.
Ich bin es auch jetzt noch. Denn selbst wenn Sie nur zitiert haben, ist es wunderbar, die Zeilen zu lesen und zu wissen, dass Sie sie eingestellt haben.
katiza - 5. Apr, 15:20

Das freut mich... ich mag seine Lyrik sehr - und auch die Inkongruenz seines Verhaltens hat mich stets fasziniert in meinen brechtischen Zeiten ;-)
teacher - 6. Apr, 19:10

Hier kann man noch was lernen! :-))

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lamamma - 26. Mär, 15:30
Wobei nähen sich ja viel...
Wobei nähen sich ja viel direkter geboten hätte.
Schwallhalla - 26. Feb, 10:30

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