21
Nov
2010

Alterserscheinung

Es gibt in Wien eine Bar, die ich in Jugendjahren als Inbegriff der Dekadenz gesehen habe. Dieser Eindruck wurde vor allem durch folgenden Song Der Papa wird's schon richten substantiiert.

Wie sich die Zeiten doch ändern. Irgendwann, ich weiß nicht mehr wann, aber vermutlich erst während meiner Bösendorferzeit war ich das erste Mal drinnen. Damals hat Schimanko noch gelebt und die Bekleidungsvorschriften waren recht rigide. Ein Besuch in der Eden sprengt normalerweile mein Ausgehbudget.

Inzwischen hat sich ein alljährlicher Edenbesuch in den letzten Jahren als durchaus vergnügliches Erlebnis etabliert. In die Eden geht man als Mann normalerweise in weiblicher Begleitung. Doch es gibt Ausnahmen. So führt mein Chef mein Mitarbeitergespräch am liebsten in der Edenbar. Das ist dann einfach "standesgemäß". (Ich arbeite halt in einer guten Firma:)
Dann gibt es ganz wenige Freundinnen, mit denen ich die Edenbar gemeinsam besucht habe. Ich glaube die Anzahl kann man an einer halben Hand abzählen. Und heute war ich mit meinem Freund aus Deutschland da. Ganz ungeplanterweise. Heute musste ich mir ein Sakko ausborgen und normalerweise hätte ich nicht im Traum gedacht, ihn dorthin mitzunehmen. Aber dann schien es auf einmal doch ganz richtig und das kam so.
Er hatte bei uns zuhause indisch gekocht, was meiner Frau und mir sehr gut geschmeckt hat, ihm ja wohl auch. Dann überlegten wir, ob wir noch in eine Kinospätvorstellung gehen würden.
Er war an Social Networks interessiert, die Geschichte über Facebook und seinen Gründer. Ich hätte mir den Film von selbst nicht angesehen, war aber insgesamt sehr positiv überrascht. Irgendwann im Film - da musste er eine Länge gehabt haben - waren wir plötzlich beide mit dem Handy beschäftigt. Erst mal wieder andrehen und erkennen, dass etwas auf unseren Facebook-Seiten kommentiert war.
Er machte eine witzige Bemerkung, dass er wohl der einzige sei, der im Facebook-Film eine Freundesanfrage auf Facebook beantworten würde. Nein, er war nicht der einzige. Ich war auch tätig:)
Insgesamt waren wir dann aber recht gut aufgelegt und es war noch zu früh, nach Hause zu fahren. Wir spazierten dann downtown und die meisten Lokale, die ich aus Erfahrung kenne, waren schon zu oder am Zusperren.
Wir hatten aber gescherzt, dass wir internetmäßig nicht zu der jungen Generation der Downloader sondern zu den Uploadern gehörten. Wir sind aktiv, wir profitieren nicht von Napster, sondern wir machen selbst Musik.
Und im Zuge des Abspanns, der von einem jungen Milliardär spricht, war es vollkommen "normal", dass ich den Gedanken fasste, dass ich nicht so viel Geld brauche. Die Edenbar kann ich mir auch so leisten.
Und so erschien es vollkommen folgerichtig, dass wir zur Edenbar pilgerten, ich ein Sakko ausfasste, und wir uns jeder zwei Absinth genehmigten. Und ich zwei Zigarren.
Und die Musik gefiel auch ihm.
Meinen Lieblingssong, der vom dortigen Sänger, der seinen Job schon seit 44 Jahren - ohne playback - gesungen wird, kannte er gar nicht.
Er ist von Gilbert Becaud.
Ein anderer Song wurde gestern nicht gespielt. Ich dachte auch nicht daran, ihn mir zu wünschen. Er ist hier trotzdem verlinkt.
Mein Freund erzählte mir, dass er viele Impulse bekommen hätte und diese morgen (=heute) noch aufarbeiten müsse.
Und mir geht es ebenso.
Manchmal hätte ich am liebsten eine Frau zum Tanzen aufgefordert, aber heute war ich wirklich nicht präsentabel, einer der seltenen Fälle, wo ich mich dann tatsächlich geniere:)
-
Irgendwie repräsentiert die Edenbar den Verlauf meines Lebens. Von totaler Ablehnung zu sich wohlfühlen. Oder besser ausgedrückt: eine kontinuierliche Veränderung der Werte und Relativierung von äußeren Umständen.
Das ist auch eine Art von Freiheit.
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virtualmono - 21. Nov, 05:10

Danke für den schönen Tag :-)

steppenhund - 21. Nov, 11:23

Immerhin hast Du mich zum Film hingebracht und es wäre schade gewesen, wenn ich ihn nicht gesehen hätte.
Darüber schreibe ich noch separat, wenn ich wieder Zeit habe;)
creature - 21. Nov, 10:29

klingt ja sehr gut, werd auch mal hingehen.
ich dachte die eden kann man sich nicht leisten, scheint aber nicht so zu sein, oder?

steppenhund - 21. Nov, 11:22

Also vier Absinth kosten 64 €. Das sind fast 1000 Schilling. Aber eine Karte bei einer Veranstaltung bewegt sich im gleichen Rahmen. Und man kommt mit 4 Absinth und einigen Gläsern Wein auch 5 Stunden hin, wenn man will. Die Nüsse sind gratis, die Garderobe 2 €.
Wenn man mehr Menge trinken will, dann bietet sich eine Flasche Wein an, die bewegt sich in der gleichen Größenordnung.
Also einmal im Jahr kann ich mir das privat leisten.
-
Rauchwerk ist besser selbst mitzubringen. Eine Zigarre ist unter 25 € nicht zu haben, dieselbe kostet in der Trafik 12 €.
-
Wenn Sie auf Champagner Wert legen, kann ich keinen Preis nennen. Denn da verweigert mein Altersgeiz:)
katiza - 21. Nov, 10:43

Oh ja, die Eden, da heben Sie Ihrem deutschen Freund ziemlich was geboten, Herr Steppenhund. Einmal war ich dort nach einer Redoute in den 3 Husaren, das war ein Abend wie er wohl im Wirtschaftswunder gewesen sein muss, irgendwie aufregend, irgendwie skurril...schöne Beschreibung, nur das Mac-Link verwirrt mich etwas.

steppenhund - 21. Nov, 11:18

Vielen Dank für den Hinweis auf den falschen Link. Das kommt davon, wenn man als Mann Multitasking versucht.
Dafür haben Sie sich eigentlich eine Einladung in die Eden verdient. Aber ich biete das unter Aufbietung aller Ehrenhaftigkeit an. Ich könnte dann vielleicht von "halber Hand" auf "Dreiviertel Hand" erhöhen:)
rosmarin - 21. Nov, 23:14

off topic: wir haben ja unsere handy-nummern.... grinz.... und spätestens am sonntag abend, rufe ich sie an :-)

oops - 21. Nov, 23:22

verstehe deinen hang zur eden
mein letztes mal hab ich mehr als genossen
die stimmung
und mehr noch die begleitung
auch das service

es ist nichts übliches
sondern immer was besonderes
dort zu sein

hab sogar getanzt

steppenhund - 21. Nov, 23:37

Das klingt besser als der heutige Blogeintrag.
oops - 21. Nov, 23:40

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