11
Nov
2010

Was man darf

Vielleicht darf man als Botschafter nicht schlecht über das Gastland sprechen. Es ist ja auch sprichwörtlich, dass Diplomatie die hohe Kunst der Lüge ist.
Also ich fand die Aussagen des türkischen Botschafters über Österreich recht erfrischend. Und auch nicht falsch.
Eigentlich hat er nur einen Irrtum begangen. Er hat sich als echter Freund gesehen und daher angenommen, dass er auch einmal Klartext sprechen darf.
Aber weder betrachten die Österreicher die Türken als Freund, noch lassen sie sich etwas von einem sagen. Sie lassen sich nämlich von niemandem was sagen.
Weil schließlich SIND WIR WELTMEISTER!
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Nicht nur beim Rennautobau sondern vor allem beim
Verdrängen.
-
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Gregor Keuschnig - 11. Nov, 13:00

Ich fand das auch erfrischend und sehe es ein bisschen im Kontext mit der deutschen Sarrazin Debatte (die im übrigen erbärmlich geführt wurde). Obwohl ich ihm in einigen Punkten energisch widersprechen würde. Aber es ist wenigstens mal Klartext - jenseits dieses elaborierten Geschwafels, was man sonst immer so hört.

creature - 11. Nov, 13:06

richtig!
normal reden politiker derartig nichtssagend das man da gar nicht mehr zuhören mag, um ja niemanden zu nahe zu treten.
steppenhund - 11. Nov, 14:48

erfrischend halt. Heute darf man ja schon sehr vieles nicht mehr sagen. Komischerweise dürfen die Journalisten alles sagen. Den größten Blödsinn, wenn er nur reißerisch genug ist.
Gregor Keuschnig - 11. Nov, 14:52

@steppenhund

Das geht deshalb, weil es zu wenige Journalisten mit Eiern in der Hose gibt, die ihren Kollegen auf die Griffel klopfen. Stattdessen übertreffen sie sich mit ihren dummen Phrasendreschereien.

Merkwürdig ist: So oft ich ZIB2 schaue (auf 3sat) habe ich den Eindruck, es ist in Österreich noch nicht ganz so schlimm wie bei uns.
steppenhund - 11. Nov, 16:21

Das stimmt vermutlich, aber es ist kein Trost;)
oops - 11. Nov, 18:53

nur zustimmen kann
.
testsiegerin - 11. Nov, 19:39

Inhaltlich stimme ich seinen Aussagen durchaus zu (mit wenigen Einschränkungen). Und trotzdem find ich das nicht wirklich gut. Nicht, weil ich eine beleidigte Leberwurst bin oder mich gekränkt fühle, aber ich denke, in Situationen wie diesen geht es darum, zu vermitteln, Konflikte zu ent- anstatt zu verschärfen. Wie man sieht, ist aber genau das passiert. Man setzt sich nicht mit inhaltlichen Argumenten auseinander, wenn man sich angegriffen fühlt.

Wenn ich in solche Fettnäpfchen treten würde, na gut. Würde zu mir passen. Einem Botschafter sollte so ein Fauxpas nicht passieren. Ein Diplomat heißt ja auch Diplomat, weil man von ihm erwartet, dass er diplomatisch ist.

stilz - 11. Nov, 23:26

Das Presse-Interview beginnt mit einer Frage des Botschafters:

Kadri Ecved Tezcan: "Wollen Sie, dass ich im Interview als Diplomat antworte, was langweilig wird? Oder soll ich als jemand antworten, der seit einem Jahr in Wien lebt und viele Kontakte zu den 250.000 Türken hier hat?"

Und der Interviewer, Christian Ultsch, antwortet mit einem eindeutigen:
"Ich ziehe die zweite Variante vor." - und zeigt damit deutlich, daß eben nicht alle Welt von einem Diplomaten jederzeit und unter allen Umständen "Diplomatisches" erwartet...

http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/608981/Tezcan_Warum-habt-ihr-110000-Tuerken-eingebuergert?
steppenhund - 11. Nov, 23:37

Meine Haltung ist ja sowieso dargestellt. Und mein letzter Kommentar würzt dann noch mit ein bisschen Zynismus.
walküre - 12. Nov, 11:25

Ich stimme der Testsiegerin hier vorbehaltlos zu. Und was den Interviewer angeht, sollte er Hirn genug haben, um zu wissen, was er anrichtet, wenn ein Interview in einer solch populistischen Form an die Öffentlichkeit kommt. Von Berufsethos keine Spur.
Gregor Keuschnig - 13. Nov, 10:23

@walküre

wenn ein Interview in einer solch populistischen Form an die Öffentlichkeit kommt. Von Berufsethos keine Spur.
Solche Aussagen, die einer Kuschelrhetorik das Wort reden und den Interviewten sogleich entmündigen wollen, sind in einer Demokratie unverständlich. Seit wann ist es unethisch, wenn jemand einmal Klartext redet und das so veröffentlicht? Sind wir schon in "1984"?
katiza - 13. Nov, 13:04

Der Interviewer hat es jedenfalls geschafft, sich und seine Zeitung gut zu verkaufen und er handelt nicht dem Berufsethos zuwider, finde ich, Frau Walküre. Herr Kadri Ecved Tezcan muss wissen was er tut und hat das Interview sicher autorisiert.Die oben erwähnte Eingangsfrage setzt einen ordentlichen Rahmen. Dass es der Regierung relativ gelegen kommt, wenn die Presse derart vom Budgetthema ablenkt, wie unser Gastgeber mutmaßt, scheint mir gar nicht so abwegig.
walküre - 13. Nov, 14:16

Es gibt einen gravierenden Unterschied (und einen Mittelweg !) zwischen Kuschelrhetorik und verbalen Entgleisungen, und auch eine journalistische Verantwortung, die unter anderem darin besteht, in einer ohnehin schon heiklen Situation nicht Menschen zusätzlich gegeneinander aufzubringen. Zum wünschenswerten Rüstzeug eines Journalisten gehört nach meinem Verständnis auch, sein Gegenüber einschätzen zu können, und ich hätte mich sehr wohl gefragt, was in einem Diplomaten vorgeht, der sich mehr als undiplomatisch artikuliert. Ob es sich dabei um blankes Geltungsbedürfnis handelt, beispielsweise.

Dass es sich durchaus um eine willkommene Ablenkung handelt, stelle ich übrigens keinesfalls in Abrede.
steppenhund - 13. Nov, 16:11

@Walküre

Einen Mittelweg finden zu können, ist nicht etwas, was heutzutage im Journalismus angebracht ist.
Selbst der Leitartikler der Presse, der F., bedient sich manchmal einer geradezu hanebüchenen Polemik, wenn er über Ausländerfragen schreibt.
Ich sehe so: früher habe ich geglaubt, dass die Medien ein Bedürfnis nach Information stillen sollen. Heute stelle ich fest, dass ich damit viel zu naiv gelegen bin - und das meine ich jetzt todernst. Medien stillen ein Bedürfnis nach "Information bekommen". Es geht nicht um die Information sondern um das "Fressen von neuer Information", um das "Fressen", um die afferenten Stimuli. Die Information tritt dabei in den Hintergrund, wichtig ist die Würze des Genossenen. Manche mögen es scharf, je schärfer umso besser. Dass dann irgendwann der Gaumen nur mehr Schärfe schmecken kann, ist nicht weiter hinderlich.
Nur mehr selten liest man im politischen Teil der Zeitung etwas, wo nicht die Wortwahl eine politische Stellungnahme anzeigt, die vielleicht (?) beim Journalisten noch nicht einmal beabsichtigt war.
-
"Denkzettel für Obama" ist so eine Schlagzeile, die in Medien unterschiedlicher Richtung gleichermaßen verwendet wurde. Obama hat was falsch gemacht, deswegen kriegt er jetzt die Watschen. Das ist Republikanerargumentation. Das schreiben aber auch Blätter, die sonst eher links stehen, wenn man das so flapsig vergleichen möchte. (Ich weiß, dass die Zuordnung nicht ganz sauber ist, aber als Beispiel eignet sie sich momentan gut.)
steppenhund - 11. Nov, 22:35

die wahrscheinlichste Theorie

Er ist ein guter Freund von Faymann und Pröll. Und die haben ihn gebeten: "Geh, sag doch irgendetwas über die Behandlung der Türken in Österreich, tu uns den Gefallen!"
Hat er gemacht.
Hat funktioniert.
Kein Mensch spricht mehr vom Budget!
-
Das ist Diplomatie.
Oder Demagogik.
Oder Verarsche.
Oder typisch österreichisch.

diefrogg - 13. Nov, 17:53

Ich habe eben...

dieses Interview mit angehaltenem Atem gelesen. Aus der Distanz betrachtet muss ich sagen: Ein hervorragender Text! Nie hat mir jemand die Türken und ihr Leben im Westen besser erklärt. Österreich kann stolz drauf sein, Journalisten zu haben, die solche Interviews führen und veröffentlichen können.

Was den politischen Zündstoff betrifft: Neulich habe ich einen Film über die Kuba-Krise am Fernsehen gesehen. Da fiel der Satz: "Denk an die Appeasement-Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Wenn Du Aggressoren Raum gibst, dann werden sie noch aggressiver." Man muss auch in einem Land, in dem Rechtsnationale viel zu sagen haben, noch Klartext reden dürfen.

Im übrigen wird der Botschafter wahrscheinlich selber am meisten Arbeit mit den Folgen dieses Interviews haben. Also, chapeau vor ihm.

Merkwürdig mag vielen vorkommen, dass er die türkische Matur für Türken verlangt. Das finde ich auch übertrieben. Aber die Sprachforschung hat gezeigt: Migrantenkinder lernen die Sprache in ihrem Zielland besser, wenn sie sich auch in ihrer Muttersprache eine hohe Kompetenz aneignen - am besten ausserhalb der Familie.

steppenhund - 13. Nov, 18:09

Da kommt ein ziemlich interessanter Kerninhalt in deinem Text vor.
Migrantenkinder lernen die Sprache in ihrem Zielland besser, wenn sie sich auch in ihrer Muttersprache eine hohe Kompetenz aneignen - am besten ausserhalb der Familie.

In Wirklichkeit trifft das auf alle zu. Migrant hin oder her. Nicht nur für das Sprache lernen sondern ganz allgemein für Aufnahme von neuen Inhalten ist die sprachliche Kompetenz in der Muttersprache vorrangig prägend.
Je älter ich werde, desto mehr verzweifle ich an der Unfähigkeit von jüngeren Leuten, einen Begriff zu erklären.
Und das sind bitte "keine Türken", sondern teilweise Leute, die auch schon vergleichsweise viel Geld verdienen. Vielleicht zweimal so viel wie die Kassiererin im Supermarkt.
Und schön langsam glaube ich, dass es daran liegt, dass die Väter auf die Frage "Papa, was ist das?" das Kind abwimmeln.
Bei Eugene Faust hat es da einmal ein ganz tolles Video gegeben, wo ein junger Mann seinen alten Papa besucht und etwas ungeduldig ist, als der Vater dreimal nach einem bestimmten Vogel fragt.
Falls Dr. Faust hier mitliest, wird sie vielleicht den Link wieder liefern können:)
steppenhund - 14. Nov, 02:18

Und der zugehörige Link mit Dank an Frau Dr. Faust.
david ramirer - 18. Nov, 14:55

doch noch eine fußnote von mir hierzu:

in österreich gibt es (immer noch?) die rede-, meinungs- und pressefreiheit. für mich ist klar, dass auch ein diplomat seine meinung frei äußern darf, jedenfalls ganz sicher dann, wenn er sie nicht in seiner funktion von sich gibt.

steppenhund - 18. Nov, 15:01

Das Recht auf Rede-, Meinungs- und Pressefreiheit wurde aber bekanntlich von den "K", "H" und "Ö"-Lesern nicht ratifiziert!
david ramirer - 18. Nov, 15:02

...aber die herausgeber dieser fischeinwickelpapiere reizen diese freiheiten mehr als aus und strapazieren die verfassungs- und grundrechte teilweise weit mehr als es das parlament je schaffen wird ;)
steppenhund - 18. Nov, 15:19

Gestern habe ich übrigens mit einem Juristen, mittlerweile in Pension, (ich glaube er war Richter) gesprochen. Er teilte meine Meinung über den vollkommen unnotwendigen Verfassungsbruch hinsichtlich der Budgetveröffentlichung.
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