11
Apr
2019

Sollte ich das wirklich veröffentlichen?

Ich habe gestern eine Geschichte niedergeschrieben, bei der jedes Wort wahr ist. Heute habe ich mit einem Freund gesprochen, ob es möglich ist, sie auch für Außenstehende zu bringen. (Ich denke, es gibt sowieso maximal fünf Personen, die es interessieren könnte.)

Es ist aber schon über dreißig Jahre her. Und daher kann man die Information auch in der heutigen Zeit, wo alles von anderer Seite überwacht wird, ohne Risiko bringen.

Hier ist die Geschichte:

Heute habe ich spät nachts nach dem Opernball-Thriller noch eine CSI-Folge gesehen, kriminaltechnische Aufklärung mit wissenschaftlichen Methoden.
Dabei wurde ich an etwas erinnert, das ein besserer Autor zu einem Kriminalroman ausweiten könnte. (Es gab aber nicht ein wirkliches Verbrechen in der Geschichte, mit dem ich konfrontiert war.)
Ich habe schon geschrieben, dass ich ein Gerät entwickelt hatte, mit dem man Untersuchungen an Krebszellen und Chromosomen durchführen konnte. Das Gerät konnte aber ebenso zur Materialuntersuchung verwendet werden. Heute ist es "outdated", aber in den 1980er-Jahren war die Mikrospektralphotometrie ein sehr empfindliches und wertvolles Mess- und Analysegerät.
Das Mikrospektralphotometer ist ein Aufsatz der in Verbindung mit einem Forschungsmikroskop zum Einsatz kommt. In der Firma, in der ich das Gerät entwickelte, war die Optik auf Wellenlängen zwischen 400 und 700 nm beschränkt, also auf das "sichtbare" Spektrum. Ich wechselte später zur Firma Carl Zeiss, Oberkochen. Dort gab es ein Forschungsmikroskop, bei dem die Optik eine Durchlässigkeit von 240 nm bis 2100 nm aufwies, also vom Ultraviolettbereich bis zum Infrarotbereich. Entsprechend konnte man auch in diesen Wellenlängen mikroskopische Spektralanalyse durchführen. Einmal hatte ich so eine Ausrüstung verkauft und durfte sie (in diesem Fall eigentlich musste) auch selbst installieren. Ich war höchst erfreut. Aufs Autofahren übersetzt, durfte ich einen F1-Boliden auf der Rennstrecke bewegen.
Als ich zu dem Institut gebracht wurde, wo die Anlage installiert werden sollte, stellte ich fest, dass sich das Institut in unmittelbarer Kreml-Nähe befand. Es war "das" forensische" Institut in Moskau. Mit den Anlagen, die sich hier im Keller befanden, konnte wohl alles untersucht werden, was man wissenschaftlich zu dem Zeitpunkt untersuchen konnte.
Jetzt gibt es drei einzelne Geschichten, die mit dieser Installation zusammen hängen.

Geschichte 1: ist simpel, zeigt von meiner manchmal gerade erschreckenden Naivität. Erst bei meinem dritten und letzten Besuch, bei dem die gesamte Anlage funktionsbereit installiert war und mich der Betreuer der Anlage zum Abschluss zum Mittagessen einlud, stellte ich fest, dass dieser "Wissenschaftler" einen ganz hohen militärischen (oder polizeilichen) Rang bekleidete. Erst auf seinem Mantel konnte ich entsprechende Anzeichen erkennen. Ich glaube mich zu erinnern, dass er Oberstleutnant war. Er war mir so bescheiden und hauptsächlich wissenschaftlich orientiert vorgekommen, dass ich an so etwas wie seinen Rang gar nicht gedacht hatte.

Geschichte 2: hängt mit der Geschichte 1 zusammen. Als wir einen rein russischem Lokal zu Mittag "speisten", es war am 2. Mai, das Datum erinnere ich genauer als die Jahreszahl, die war allerdings 1987, tauschte ich in der Garderobe meinen relativ billigen Schnürlsamt-Mantel, den ich noch 1967 (!) in Amerika geschenkt bekommen hatte, gegen das Garderobe-Token ein. Jetzt muss man wissen, dass die Garderobe in Russland eine ganz besondere Bedeutung hat. Die Gäste kommen aus einer Kälte von vielleicht -25 Grad und haben alle Arten von Mäntel, darunter können auch ganz teure Pelzmäntel sein. Die Garderobe-Marke, ein Jeton, ist der Platzhalter für ein mögliches Vermögen. Und die russischen Garderobe-Damen legen eine ausgesprochene Selbstbehauptung an den Tag. Kein Jeton - kein Mantel, da fährt die Eisenbahn drüber. Ich konnte aber meinen Jeton nicht finden. (Zwei Jahre später fand er sich dann im Futter meines Sakkos.) Diskussion war zwecklos. Kein Jeton - kein Mantel. Nachdem die Diskussion bereits fünf Minuten gedauert hatte, wies mich mein Begleiter an, zum Auto zu gehen und draußen zu warten. Nach fünfzehn Minuten kam er nach und brachte mir meinen Mantel.
Wie er das geschafft hatte, weiß ich bis heute nicht. Aber natürlich stand hinter ihm recht viel Macht, die er einsetzen konnte.

Geschichte 3: Als ich beim letzten Mal das Gebäude verließ, sah ich beim Durchgang durch einen langen Gang in einer offenen Tür "mein" Kunzewo-Gerät. (Es war nicht wirklich meines, mein Kollege hatte viel früher als ich damit zu tun gehabt. Aber gefühlsmäßig sah ich es als "meines" an.) Dieses Gerät, ein Elektronenmikroskop, musste ab und zu gewartet bzw. repariert werden. Allerdings waren die Termine immer mit einer interessanten Geschichte verbunden. Anflug Wien-Moskau Montag nachmittags, Ankunft im Hotel mit Einchecken im günstigsten Fall circa 19:00. Am nächsten Tag warten, Besuch der hoteleigenen Sauna und warten. Am darauf folgenden Tag warten. Warten auf einen Anruf, der mir ankündigen würde, dass ich am nächsten Tag abgeholt werden würde.
Die Abholung geschah in den damals üblichen schwarzen KGB-Wolgas, die mich nach einer Fahrdauer von zwei Stunden zu einem Kindergarten am Rande der Stadt, eben im Bezirk Kunzewo brachten. Dort war das Gerät aufgebaut worden, nachdem es am Einsatzort zerlegt und eben dort wieder zusammengesetzt wurde. Die Reparatur dauerte normalerweise einen Tag, manchmal musste auch nur die Kathode getauscht werden.
Und jetzt sah ich dieses Gerät an einem Ort, wo ich schon ein paar Mal Zutritt hatte. Warum hätte ich es nicht dort warten könne. Ich fragte meinen Begleiter. Er lachte und meinte, dass das Gerät ursprünglich bei der Armee war, die dortigen Techniker es aber nicht wirklich gut bedienen konnten, daher wurde es dann der Forensik "geschenkt".

Also ich fand das eine wirklich lustige Geschichte. Überwacht wurde ich ja auf Schritt und Tritt, aber in der Sowjetunion war ich als Techniker eine persona grata und die Überwachung bedeutete mein "clearing", wie das die Amerikaner sagen würden.
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würde ich mich wundern, dass Sie nicht auf meinen Kommentar...
abohn - 7. Mai, 09:56
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Ein sehr ansprechender Text! So etwas würde ich auch...
abohn - 25. Apr, 15:30
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Eigentlich habe ich deinen Sohn erkannt. Der ist ja...
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Wobei nähen sich ja viel...
Wobei nähen sich ja viel direkter geboten hätte.
Schwallhalla - 26. Feb, 10:30

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