1
Dez
2013

Prägung

Für die Erforschung von Prägung wurde Konrad Lorenz 1973 der Nobelpreis für Medizin verliehen.
Aus Wikipedia entnehme ich, dass Lernen durch Prägung statt findet, ohne dass Belohnung oder Bestrafung eine Rolle spielen.
Im weiteren lese ich:
"Prägung ist dadurch gekennzeichnet, dass sie nur in einer bestimmten Zeitspanne stattfinden kann, die daher als sensible Lebensphase bezeichnet wird. Prägung ist also nicht nachholbar. In welchem Alter diese Phase nachweisbar ist und wie lange sie dauert, kann je nach Tierart sehr unterschiedlich sein."

Es gibt die unterschiedlichsten Formen der Prägung, die durch das Objekt unterschieden werden. Eine musikalische Prägung wird nicht erwähnt.

Wahrscheinlich gibt es sie nicht. Und wenn es sie gäbe, wäre es verwunderlich, dass sie bei einem Menschen im Alter zwischen zehn und vierzehn Jahren stattfindet. Vielleicht muesste derjenige etwas zurückgeblieben sein. Vielleicht war ich selbst in einer gewissen Weise zurückgeblieben.
Soweit ich mich erinnern, war meine Entwicklung nicht normgerecht. Ich sprach nicht, bis ich vier war. (Heute leiden die Menschen darunter, dass ich zu viel erzähle.) Allerdings konnte ich dann schon mit viereinhalb lesen und das dann mit sechs Jahren auch ziemlich schnell. Andere Entwicklungen verliefen ähnlich. Spät begonnen und dann sehr rasch aufgeholt. Das konnte durchaus noch im Alter von 56 Jahren in manchen Disziplinen meines Berufsleben so vorkommen.

Ich schreibe diese Zeilen, weil ich mich musikalisch geprägt fühle. Gestern habe ich im Zuge einer Diskussion ein Musikstück im Internet angewählt, um eine Argumentation zu unterstreichen. Jetzt gibt es einige Komponisten und einige Werke, bei denen ich nicht abdrehen kann, wenn ich sie zufällig im Radio angedreht habe.
Das Stück, um welches es sich handelt, ist die siebente Symphonie von Sergej Prokofiev. Ich habe diese Symphonie sehr oft gehört, als sie mein Vater für einen Vortrag darüber studiert hat.
http://www.youtube.com/watch?v=mF8oTzXoyts
Die Symphonie ist grossartig, doch sie ist nicht grossartiger als viele andere Symphonien, sowohl von Prokofiev als auch die von anderen Komponisten. Für mich ist sie aber zu einem unglaublichen Ohrwurm geworden. Ich kann mir aber Unverständnis meiner LeserInnen vorstellen, die sich die Symphonie anhören und denken: ja ganz nett, aber es reißt mich nicht vom Hocker.
Für mich erweckt sie das selbe Gefühl, als würde ich eine besondere Schokolade beißen und wissen, dass ich mich nicht zurück halten müsste.

Ich kann die Ursache nicht ergründen. Daher behaupte ich, dass ich musikalisch geprägt wurde. Möglicherweise hätte jemand diese Musik verwenden können, um mich fern zu steuern.
Eines kann ich allerdings heute schon erkennen. Die Musik wurde ein Jahr vor seinem Tod geschrieben. Sie heißt "Kindersymphonie", weil sie sich an die Jugend richtet. Und sie strahlt im letzten Satz einen unglaublichen Optimismus aus. Dieser muss verwundern, wenn man Prokofievs Kriegssonaten, Nummer 6-8 kennt. Eine unglaubliche Versöhnung lässt sich da heraus hören.
Ja mehr möchte ich dazu nichts sagen.
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Bubi40 - 2. Dez, 09:49

„die prägung“ : ein interessantes thema; und die fragestellung, in ihrem fall die wirkung der 7. von Prokofiev betreffend, stellt sich wohl jeder mensch einmal, der musiik rezipiert und sich von ihr, von ihrer wirkung und den jeweiligen empfindungen, gefangen nehmen lassen kann. wohl jeder hat da ein beispiell parat. wenn ich meine meinung dazu sagen darf : ich würde dieses phänomen nicht als „prägung“ bezeichnen. mir fällt dabei der begriff „resonanz“ ein.
ich glaube, wenn die musik so komponiert ist und so klingt, dass sie meine ich nenne sie mal „seele“ zum mitschwingen bringt, passiert es, dass sich der „genuss aufschaukelt“, und so diese besonderen emfindungen hervorbringt.
wie dem aber auch immer sei, seien wir froh, dass es so etwas schönes gibt
übrigens : Gergiev kann Prokofiev … hervorragend ! aber, was wunder.

steppenhund - 2. Dez, 11:16

Ja, Resonanz wäre ein wunderbarer Begriff. Aber er ist mit anderen Kompositionen besetzt. Sorry have to work now.
Jossele - 2. Dez, 12:35

Ähm, in Wikipädia steht mitunter auch Nonsens.
Prägung und Lernen sind zweierlei (auch bei Konrad Lorenz).
Lernen kann AUCH mit Prägung zu tun haben, allerdings ist Prägung eher trieborientiert, Lernen, im günstigsten Fall, eher auf Einsicht, Schlüsse, Nachahmung und Erfahrung ausgerichtet.

Beispiel:
Ein Zugvogel (nehmen wir einen Weissstorch) der im ersten Jahr seinem Instinkt nach Afrika zu fliegen, sagen wir verletzungsbedingt, nicht nachkommen kann, der verliert diesen Trieb und bleibt auch die nächsten Jahre (ähnlich den Graugänsen von Lorenz, die sehen jemand zuerst, also muss das die nachahmenswerte Mutter sein, weil das so im Programm vorgesehen ist).
Wir sind zum Teil auch vorprogrammierte Lebensformen, also funktionieren wir auch teilweise so. In einer entsprechenden Phase geschieht üblicherweise etwas Bestimmtes, tut es das nicht, verlieren wir die damit verbundenen Möglichkeiten (erst mal).

Der oben erwähnte hier bleibende Storch hat eine Partnerin, die fliegt jedes Jahr nach Afrika während er eben bleibt. Nach Jahren ihrer Verwunderung über sein, zum Unterschied zu anderen Storchenmännern, weil so ein Kontinentalflug schlaucht ja schon, erquickliches Aussehen, bleibt sie dann auch einmal.
Sie hat es gelernt, er nicht.
(Vergleichbare Störche die, verletzungsbeding im ersten Jahr den Zug nicht mitmachen können, gepflegt werden und in die Freiheit entlassen, die verhungern einfach, weil die kommen nicht mehr auf die Idee weg zu fliegen.)

Musikalität, die ist dann ja bei Störchen nicht so ausgeprägt, beruht größtenteils auf Nachahmung (also dem Ansporn dazu) und Anlage, nebst dem Willen, sich darauf einzulassen.

Lernen können wir immer, Prägung hat ein Ablaufdatum.

steppenhund - 2. Dez, 23:56

Lieber Jossele, ich nehme einmal an, dass Du über Prägung weit mehr als ich weißt.
Doch bei dieser speziellen Musik scheint mir meine Aufnahme eher trieborientiert zu sein, auch wenn ich nicht sagen kann, welcher Trieb angesprochen ist.
Reines Lernen ist es nicht.
Obwohl ich deinem vorletzten Absatz durchaus zustimmen möchte.
Jossele - 3. Dez, 15:02

Musik kann man, denke ich, nicht lernen, also das Gefühl dafür.
Trieb, meingott, Trieb ist es wohl, jetzt biologisch, auch nicht.
Sich ausdrücken, in welcher Form auch immer, das scheint mir ein Urbedürfnis zu sein.
Einen Finger auf eine Klaviertaste zu drücken ist ja nicht schwer, aber was alles darin mitzuteilen ist, davor habe ich Hochachtung, so es in einer lesbaren Weise geschieht.
steppenhund - 3. Dez, 16:32

Ich bin mir nicht sicher, aber ich würde sehr wohl sagen, dass man Musik "lernen" kann. Durch die Vorbildwirkung der Umgebung.
Aber da gibt es Technik, Fertigkeiten, Verständnis, Ausdruck, die man lernen kann. Aber schwerer wird es beim "an etwas Gefallen finden".
Die Hörgewohnheiten werden wohl antrainiert, auch die intellektuelle Zerlegung des Gehörten.
Aber dann gibt es noch etwas wie ein Gefühl. Ohne den Vergleich überstrapazieren zu wollen, würde ich meinen, dass ein Mann eine Frau nach äußeren und inneren Eigenschaften beurteilt, während der andere sich ausschließlich nach großen Brüsten ausrichtet. Man könnte dasselbe auch auf Literaturverständnis ausweiten. (Und selbstverständlich auf die darstellende Kunst.)
Und trotzdem hat die Musik etwas, was etwas Triebhaftes mit dem Intellektuellen verbindet.
Anders kann ich das gar nicht erklären.
Jossele - 4. Dez, 16:29

So gesehen ja, Musik ist einer der vielen Wege etwas zum Ausdruck zu bringen.
Gerade diesen Weg zu wählen hat, meine ich, sehr viel mit Vorbildwirkung zu tun, also auch Lernen.
Ohne Triebe gäbe es keine Sonaten, keine Bilder, keine Literatur, allein was es dann letztendlich ist, ich möcht sagen, das ist dann teils umweltbedingter Zufall (No na auch Anlage).
Schreiben könnt ich, malen, zeichnen; Musik kommt nicht heraus, obwohl, die Ziele sind ähnlich.
bonanzaMARGOT - 4. Dez, 17:41

vor alllem sind wir durch unsere gene geprägt. dann erst kommen die prägungen durch sozialisation und erziehung.
es gibt forscher, die herausfanden, dass die pränatale prägung sehr entscheidend ist ...
wie, wo und wann ein mensch für sein leben geprägt wird, das ist noch lange nicht durch.
es sollte einem erwachsenen menschen ziemlich egal sein.

steppenhund - 4. Dez, 23:14

ist es mir aber nicht:)
diefrogg - 4. Dez, 19:09

Also, von Zoologie...

verstehe ich jetzt nicht wahnsinnig viel. Ich könnte ihnen dazu höchstens Darwin zitieren, der in "The Origin of the Species" über Musik schreibt. Sinngemäss sagt er, dass die Musik zu den rätselhaftesten Fähigkeiten des Menschen gehöre. Dass aber die Vermutung nahe liege, dass die Fähigkeit, Musik zu produzieren und wahrzunehmen möglicherweise aus dem menschlichen Paarungsverhalten zusammenhänge oder aus ihm entstanden sei. Ähnlich wie das Singen bei Singvögeln und so.

Also Balz eher als Prägung. Das würde dann auch erklären, weshalb man die Liebe zur Musik meist in der Pubertät entdeckt.

Gerade letzten Samstag traf ich an einem Fest einen sehr alten Freund, der die wilden Jahre des Punk voll erlebte, derweil ich zur selben Zeit in Hardrock-Discos abhing. Er sagte mir, dass er immer wieder zu den Talking Heads zurückkehrt. Meine Vorlieben liegen immer noch in der Rockmusik. Wenn ich gewisse Songs höre, dann fühle ich mich wie neu zum Leben erweckt.

steppenhund - 4. Dez, 23:15

Das trifft bei mir auf unterschiedliche Musikgattungen zu. Aber bei dem erwähnten Werk schwingt irgendetwas anderes mit.
iGing - 4. Dez, 22:22

Wohl das erste Instrument, das ich als Kind zu hören bekam, war die Kirchenorgel. Zweifellos hat diese Musik einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen, und wenn ich Orgelmusik höre, fange ich an zu lauschen. Ich glaube, wenn ich eine Musik in meinem Inneren spielen lassen dürfte, würde mein tiefstes Inneres Orgelmusik wählen. Aber ob man das als Prägung bezeichnen kann, das weiß ich nicht. Und das ist ja dann eigentlich auch egal.

steppenhund - 4. Dez, 23:13

Es mag egal sein. Aber ich bin halt neugierig:)
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