3
Nov
2012

melancholisch

Heute bin ich melancholisch.
Ich habe gerade eineinhalb Stunden Klavier gespielt. Zuerst eine Stunde geübt, dann so zum "Vergnügen" _gespielt.
Zur Zeit übe ich diese Sonate.

Das ist eine wunderschöne Sonate, die ich aber nie so wirklich ernst genommen habe. Das lag daran, dass diese Sonate auf der B-Seite einer Langspielplatte mit Svatoslav Richter war. Auf der A-Seite war die Wanderer-Fantasie und die hörte ich ungefähr 20 mal öfter als die Sonate. Ich war außerdem verwöhnt vom epischen Charakter der letzten posthumen Sonaten. Und so kam mir diese Sonate sehr _verspielt ein einfach vor. Als ich sie in jungen Jahren einmal versuchte, war mir der letzte Satz zu anstrengend, um ihn zu üben. Und daher wurde es immer nur eine schlampige Hudelei. (Nebenbei bemerkt: ich habe mich an allen Sonaten versucht und bis auf eine Sonate und einige wenige Sonatensätze kann ich sie auch so halbwegs _spielen, manche besser als die anderen.)
Kürzlich habe ich diese Sonate wieder entdeckt und über sie _jetzt ernsthaft, was großes Vergnügen bereitet.


Nach dem Üben _spiele ich ein paar Sätze zum eigenen Vergnügen. Gleichzeitig überfällt mich eine gewisse Traurigkeit. Wer immer mir zuhört, wird nicht das hören, was ich zu mir selber sage, was ich gerne auch anderen sagen würde. Es ist eine sprachlose Sprache, diese Musik. Sehr konzis, sehr eindeutig. Trotzdem hört jeder etwas anderes und niemand hört das, was ich eigentlich _spiele. Früher habe ich das den Zuhörern angelastet und war ziemlich frustriert.
Die Frustration ist einer Resignation gewichen. Ich _spiele für mich und eine imaginäre Zuhörerschaft, der ich telepathische Fähigkeiten zuschreibe. In einer gewissen Weise öffnet Schubert für mich eine dritte Ausdrucksform in der Musik. Die deutsche Musik will "veredeln" (in unmittelbarster Form bei Beethoven anzutreffen), die romanische Musik will erfreuen (Frankreich, Italien,...). Die beiden richten sich an den Menschen in seiner Lebenszeit. Schuberts Musik beschreibt eine Transzendenz, bei der jedes Stück einen Bezug auf etwas außerhalb unseres lebendigen Lebens hat. Man könnte hoffen, dass man diese Musik im Jenseits hört. Man könnte aber auch hoffen, dass diese Musik etwas darstellt, woran wir _jetzt gar nicht denken können, weil es etwas aussagt, das außerhalb unseres Vorstellungsvermögens liegt.

So erlebe ich beim _Spielen einer Schubertsonate eine Konzentration, bei der mein ganzes Ich in der Musik aufgeht. Nicht ich _spiele, sondern "es" _spielt sich.

Trotzdem bin ich traurig, wenn ich feststellen kann, dass ich dieses Gefühl bei Menschen, die ich mag, nicht erzeugen kann. Heute denke ich, dass ich zu viel verlange. Ich versuche erst gar nicht _mehr, mir etwas vorzumachen.

Als ich aber das obige Musikbeispiel gesucht habe, ist mir folgender Youtube-Beitrag in die Hände gefallen.

Richter sagt darin, dass er nur für sich selbst _spielt. Wenn es ihm gefällt, gefällt es vielleicht auch den Zuhörern.
Wenn Richter das sagt, sollte ich es akzeptieren können.






http://www.youtube.com/watch?v=Q1iUdM5k5Hc
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steppenhund - 3. Nov, 12:16

Wie man sieht, versuche ich, die beschissene Apple-Werbung durch Unterstriche zu unterlaufen. Allerdings scheint es ein unermessliches Inventar an Schlüsselwörtern zu geben, an das sich ein betrügerisches Gewinnspiel anhängen kann.
Ein Grund mehr, Apple um jeden Preis zu desavuieren.

nömix - 3. Nov, 12:45

»Melancholie ist Stimmung mit Trauerrand.«
(Heimito von Doderer)

Sunnilein - 3. Nov, 15:53

Zwei Ergänzungen zum Tage:

Als ich 10 war - ich kann mich nicht daran erinnern -soll ich eines Tages am Mittagstisch mitgeteilt haben: mein schönstes Wort ist MELAN KOLIK. Alle Anwesenden sahen sich mehr als verwundert an, als ich dann wohl fortfuhr: Denn das klingt so lustig, wenn ich mal ein Kind habe, heißt es so...Zum Glück entschied ich später völlig anders.

Was das Erzeugen von Stimmung, die sich anderen mitteilt, angeht, so gab mir eine gute Freundin nach meiner diesbzüglichen Klage (es bezog sich bei mir auf die Malerei) den Rat "Du erwartest einfach zu viel von anderen Menschen!"

Drittens und außerhalb des betreffenden Posts: Schreiben Sie, Steppenhund, schreiben Sie für sich, das reicht völlig aus. Und wenn der Anfang gemacht ist, überwindet man jede Faulheit wie von selbst! Ich habe es dreimal an mir bemerkt und gerade ein viertes mal, es funktioniert.

steppenhund - 5. Nov, 11:20

Danke.
Jossele - 3. Nov, 17:16

Swjatoslaw Richter ist ein weiser Mann.
Es kann nur so funktionieren.

Spiele, schreibe oder male für andere, ist der Fokus meines Tuns nach aussen gerichtet, was an sich nicht verwerflich ist, halt publikumszentriert.
Spiele, schreibe oder male ich für mich, bin ich mit meinen Empfindungen und Fähigkeiten in der Auseinandersetzung mit etwas im Zentrum, und kann mich "meiner" Aufgabe stellen.

Ob mein Tun sich der Wahrhaftigkeit angenähert hat, und wie weit, kann ich letztendlich nur selbst empfinden.
Mit etwas Glück finde ich Menschen, die in Momenten Ahnungen davon haben, oder, mit noch mehr Glück, getroffen werden.

Der Schaffende, und dazu gehört gewiß auch der "Reproduzierende" (genaugenommen ist er das ja immer), kann nicht voraussetzen, dass sein Publikum genau so empfindet wie er selbst, holt er es doch von irgendeinem Punkt der momentanen eigenen Empfindung ab.
Um Gleichklang zu bewirken ist mehr vonnöten denn Können.

Ich bin ja nun nur passiver Musiker, allerdings bisweilen mit Leidenschaft. Es gibt Interpreten und Stücke, da kollern mir nur so die Tränen runter, aber eben nicht immer. Manchmal kann ich versinken, und manchmal ist dies eben nicht möglich.
Für Bezauberung muss man bereit sein, bereit sein, sich einzulassen, und dann muss auch noch die "Wellenlänge" stimmen.

Wir (Schaffende) können anbieten (darbieten), mehr nicht. Das aber in höchstmöglicher Vollendung.

Ich schreib das als Maler, aber der Unterschied dürfte nicht gar so groß sein.

steppenhund - 4. Nov, 11:50

Ich habe schon früher festgestellt, dass ich mit solchen Gedanken eher von Männern als von Frauen verstanden werde, so wie ich auch diesen Kommentar gut verstehen kann.
Es scheint so, dass Frauen zu diesem Thema einen anderen Zugang finden.
Jossele - 6. Nov, 14:29

Dabei kommt es durchaus nicht selten bei Frauen vor, dass sie synchrone Gefühle und Gedanken voraussetzen ;-)
steppenhund - 6. Nov, 23:51

Und die können dann sogar böse werden, wenn die Männer nicht ihre Telepathiebegabung ausreichend trainiert haben.
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lamamma - 26. Mär, 15:30
Wobei nähen sich ja viel...
Wobei nähen sich ja viel direkter geboten hätte.
Schwallhalla - 26. Feb, 10:30

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