5
Mai
2012

Lebenshunger

hatten beide. Der Herr Staudenmeyer (alias Schlotterbeck) genauso wie die Katharine Entriß. Der eine geht möglichst weit von zuhause weg, (weil sein Vater es so haben wollte), die andere - zum Zeitpunkt, an dem die Geschichte spielt, verwitwet - stellt sich den Anfeindungen der schwäbischen Kleinstadt.
Vielleicht empfinde ich Hermann Hesse, der sich gegen eine Verfilmung seiner Werke ja energisch gewehrt hat, heute als etwas zu süßlich. (eine Beurteilung, die ich selbst für unfair halte;) Vielleicht geht mir heute alles zu glatt auf, ich erkenne die inneren Kämpfe nicht mehr, weil ich sie alle so vehement nachempfunden habe, als ich Hesse mit 20 Jahren las. Vielleicht habe ich mich bewusst so stark gegen eine Verbürgerlichung gewehrt und bin Hesse in dieser Weise besonders dankbar.
Aber wie könnte man einen Abschlusssatz übertrumpfen, der nach dem vergeblichen Versuch, die Heimatstadt wieder für sich selbst erobern zu können, dahingehend lautet: (von Staudenmeyer an Entriß gerichtet) "Mit dir wäre ich überall daheim."
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steppenhund - 5. Mai, 11:52

Der Satz an sich ist doch ziemlich banal. Aber alles in der Geschichte auf ihn als Höhepunkt oder Schlußpointe zusteuern zu lassen, ist schon großartig.

david ramirer - 5. Mai, 11:53

Meiner Meinung nach so:

"Mit dir bin ich überall daheim".

;)

steppenhund - 5. Mai, 12:09

Ich kann jetzt nicht nachsehen. Aber es ist durchaus möglich, dass es "bin" heißt, nachdem er es zu einem Zeitpunkt sagt, an dem zwischen den beiden alles klar ist.
In meiner Erinnerung war es ein "wäre".
Danke für den Hinweis.
-
Über beide Sätze lohnt es sich nachzudenken.
david ramirer - 5. Mai, 12:20

obgleich ich mich als möglichkeitsmensch sehe (im sinne musils - was durchaus ein handicap darstellt bisweilen) neige ich in den letzten jahren doch mehr dem "ist" zu als dem "wäre" - daher meine anmerkung.
was hesse wortgemäß schrieb, weiß ich nicht - ich hab die erzählung zwar da in meiner bibliothek, aber gerade diese (noch!) nicht gelesen ;)
nömix - 5. Mai, 12:28

In der Fernsehverfilmung von Hesses Erzählung lautet der Satz tatsächlich so wie von Kollegen David Ramirer dargestellt. Bestimmt wurde er wörtlich aus der Literaturvorlage übernommen.
david ramirer - 5. Mai, 12:34

oh. dabei wollte ich in diesem falle gar nicht recht haben, sondern nur meine meinung kundtun...

;)
Teresa HzW - 5. Mai, 16:39

bin oder wär` !?!?

Ich widerspreche ungern ;-)
Jedoch, mir fiel das eben ein und vielleicht kann es zur Erhellung beitragen [da ich das Buch nicht im Besitz habe]:

Der Schwabe spricht eigentlich, wenn er etwas und [vor allem!] wenn er jemanden sehr mag [ma könnt au saga "liebt"] im Konjunktiv!! Selbst dann, wenn ihm die Person von Angesicht zu Angesicht gegenübersitzt. Insofern erscheint es mir nur logisch, dass es sowohl im Film wie auch im Buch heißt: "Mit Dir wär` ich überall dahoim" :-)

Vielleicht mögen Sie doch mal nachsehen, lieber Herr Ramirer!? [Jetzt bin ich nämlich auch ganz gespannt, zu erfahren, w i e es im Buch steht]
david ramirer - 5. Mai, 17:06

so, ich hab jetzt die erzählung rasch überflogen (vor allem an den in frage kommenden stellen genau geschaut) - der satz kommt bei hesse gar nicht vor und wurde wohl nur in die fernsehadaption eingebaut. die erzählung selbst ist ja auch gar nicht lange, da wurde sicher im fernsehfilm so manches eingebaut, das im original nicht vorkommt.

am ende der erzählung steht "nur" der entschluß, in eine andere stadt zu gehen, die fahrt in die neue heimat wird allerdings bei hesse nicht mehr geschildert.

;)
Teresa HzW - 5. Mai, 17:34

Das ist sehr nett, dass Sie sich der Sache gleich angenommen, lieber Herr Ramirer, damit ist der Abend gerettet und versinkt nicht in Hesse`scher Grübelei ;-)

Je länger ich über die Film-Adaption nachdenke, umso mehr komme ich, gerade nach diesen Hinweisen von Ihnen, zu dem Schluss: Der Film ist eine gewaltige Persiflage auf die schwäbischen Eigenheiten [siehe meinen anderen Kommentar in diesem Strang Stückchen weiter unten]. Also ich bin mir nahezu sicher, Hesse hat das alles so nicht geschrieben.
Wahrscheinlich dreht der sich nun im Grabe um und ist erzürnt, wie mit seiner Erzählung umgegangen wird.
Naja... eben zeitgenössische Film-Adaption. Dass dann gerade die Zugfahrt von Staudenmeyer und Entress im Film ausgewalzt wird, passt auch zur filmischen Persiflage [der damaligen Zeit].
Wobei eines ist schon überragend: Es ist einer der ganz wenigen Filme, wo der Schwabe über sich selbst lacht... das tut er nämlich sonst lieber über die anderen ;-)

Interessanterweise war der Film eine Bavaria-Fernsehproduktion im Auftrag von SWR, Degeto, BR und [man lese und staune] ORF!
david ramirer - 5. Mai, 12:41

um jetzt hier nicht angesichts dieser betrachtungen in korinthenkackerei abzudriften: (ob "wäre" oder "bin") - dieser satz ist astreine propaganda am ende einer erzählung und trifft einen wesentlichen punkt zu den fragen heimat und liebe und was das beides miteinander zu tun haben kann (wenn man es zulässt).
hesse konnte es schon, diese punkte treffen, wenngleich er manchmal auch darüberhinaus zielte und zu viel wollte (finde ich).
...aber in manchen erzählungen und in manchen romanen ist er wirklich am punkt, und dafür schätze ich ihn auch.

es ist ja auch vermessen, von jemandem zu verlangen, er sei immer am punkte: ihn im leben 30 mal zu treffen (oder 3 mal) ist schon ein unfassbarer glücksfall: für die welt in der wir leben.

;)

steppenhund - 5. Mai, 16:12

Wenn man ihn drei Mal trifft, ist das schon die Luxusvariante. Allerdings reicht es manchmal auch aus, ihn ein Mal zu treffen, wenn die Konsequenzen die richtigen sind;)
Teresa HzW - 5. Mai, 15:45

"Da isch ma schier`s Zäpfle na gfahra"

Hesse`s "Heimkehr" ist im Jahr 1909 erschienen. Gelesen habe ich diese Erzählung bis dato [auch] nicht. Was mir vor dem Fernseher beinahe den Teppich unter den Füßen wegzog, war die Tatsache, dass die schwäbische Provinzialität und Engstirnigkeit sowie die Vorurteile und Zwanghaftigkeit [hervorragend zu sehen im Dialog der Brüder, als Staudenmeyer beim "Leichenschmaus" des verstorbenen Freundes dabei] heute hier im Ländle auf den Dörfern - selbst im Speckgürtel um die Landeshauptstadt herum - genau so noch anzutreffen sind. Die Mentalität hat sich da vielerorts in den letzten 103 Jahren keinen Deut verändert.
"Da isch ma schier`s Zäpfle na gfahra" [womit ich nun nicht meine, dass mir versehentlich das berühmte Tannenzäpfle, welches unweit von Calw mit dem Wasser des Schwarzwaldes gebraut wird, aus der Hand zu Boden glitt, sondern es mir "die Sprache verschlagen hat"]. Die Schauspieler haben das alle zusammen grandios gespielt... dieses Schwäbische.
Und da ich eher zufällig den Film einschaltete [zappender Weise um zirka 20 Uhr 25 hängen geblieben] wußte ich sofort, d e r Film kann nur über den Hermann Hesse handeln.
Das lag jedoch zum einen daran, dass ich natürlich die Drehorte des Films, etwa Hesse`s Heimatstadt Calw sowie Schwäbisch Hall und das Freilandmuseum Wackershofen sehr gut kenne, und mehrfach im Calwer Hesse-Museum war.
Zum anderen hat August Zirner den Staudenmeyer, der im Film - sicherlich Absicht - wie Hesse gewandet war [jedenfalls ist die Ähnlichkeit zu seinen zahlreichen Porträt- und anderen Fotoaufnahmen in dem Museum dort frappierend!] - hervorragend gespielt!
Auch die typische Eigenart, die v.a. im Schwabenland ausgeprägt ist, dass jemand nicht gelobt wird, selbst wenn er exorbitant Gutes leistet, wurde hervorragend dargestellt. Nicht umsonst gipfelt dieses gerade hier verbreitete Unvermögen in dem Spruch: "Ned bruddelt, is globt gnug."
Am Ende des Films war ich jedenfalls froh, dass ich keine Schwäbin bin... weil die Mentalität hat in dem Film deutlich ihr Fett abgekriegt, insofern wäre es [für mich] interessant, nun das Buch zu lesen, um zu überprüfen, ob das eben die Film-Interpretation ist oder ob Hesse die schwäbische Mentalität im Buch auch in der Schreibe so überzeichnet!?

Jedenfalls richtig schön, lieber Steppenhund, dass Sie Ihren Eintrag heute diesem Stoff gewidmet haben.

steppenhund - 5. Mai, 16:11

Ich hatte mir hinsichtlich August Zirner genau dasselbe gedacht. Ich bin auf den Film auch heute nur zufällig durchs Zappen gestoßen. Im Telextext gab es keine Beschreibung und ich schaute erst einmal zu, bevor ich im Internet nachsah.
Aber da wusste ich schon, dass es sich um etwas Besonderes handeln musste und hatte im Unterbewusstsein auch Hesse im Verdacht.
Interessanterweise musste ich aber bei der filmischen Darstellung auch sehr stark an die Marquise von O. (Kleist) denken, deren Verfilmung mit Bruno Ganz ich vor Dekaden sah, aber plötzlich durch die Regie sehr stark daran erinnert wurde.
Teresa HzW - 5. Mai, 16:47

Vielleicht gibt es da gewisse filmische Regeln, wie solche Stoffe umgesetzt werden?
Bzw.
Falls die Kleist-Verfilmung vom selben Sender finanziert wurde, könnte das auch mit einer gewissen Interpretation, die bei dem Sender üblich ist, zusammen hängen!?
Ich dachte an den Fernsehfilm "Margarete Steif", der von derselben Machart wie "Heimkehr" ist, und ebenfalls an Originaldrehorten in BW realisiert wurde, mit Heike Makatsch in der Hauptrolle [überragend gespielt; im Hesse-Film bleibt sie leider weit hinter ihren schauspielerischen Fähigkeiten, leider!].
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