24
Aug
2010

ich helfe nicht

Allerortens wird einem die Katastrophe in Pakistan mit eindringlichen Bildern und Aufrufen zur Spendenhilfe vor Augen geführt.
So gab es auch in meiner Firma einen Aufruf, sich an einer Spendenaktion zu beteiligen. Und ähnlich wie ein Kollege von mir, habe ich verweigert, mich daran zu beteiligen. (Den Aufruf nehme ich als Anlass, wieder einmal für "Ärzte ohne Grenzen" und für CARE zu überweisen.) Ich verweigere nicht, weil ich zu geizig bin. Ich halte es nur schlicht für Geld an der falschen Stelle.
Über das österreichische Bundesheer mag oft geschimpft werden, doch was passiert, wenn es bei uns Naturkatastrophen wie Überschwemmungen oder Lawinenverschüttungen gibt? Es ist zu Stelle. Trotz beschränkter Mittel und teilweise fehlender Ausbildung, denn oft werden ja gerade die Grundwehrdiener für Hilfsdienste eingesetzt.
Pakistan setzt an die 6 Milliarden Dollar für seine Wehrkraft ein und stellt mit seiner über 600 000 starken aktiven Armee die siebtgrößte Armee auf der Welt. (Mit den Reservisten kommt es auf 1,3 Millionen Mann und damit schon an die 3. Stelle.)
Jetzt frage ich mich, ob diese Armee nur dazu dienen kann, einen Kaschmirkrieg nach dem anderen anzufangen und dabei im Prinzip auch zu scheitern, oder ob man die Armee vielleicht zweckdienlich für Hilfsdienste einsetzen könnte. Wieso die Taliban hier besser helfen können als die eigene Armee, will mir nicht einleuchten.
Wenn schon in dieser Beziehung die Logistik versagt, dann glaube ich auch nicht, dass nur ein einziger Cent, der für die Überschwemmungsopfer gespendet wird, die eigentlichen Opfer erreicht.
Dass die Amerikaner noch einmal rund 5 Milliarden Dollar jährlich für die Bekämpfung der Taliban spenden, mutet hier wie eine zusätzliche Verhöhnung an.
Wir sollen spenden, damit wir nicht den Taliban den guten Ruf lassen, die einzigen zu sein, die spenden. Dafür bekommt Pakistan 5 Milliarden Dollar jährlich, um die hilfsbereiten Taliban zu vernichten. Ich bin vermutlich zu dumm, um den tieferen Sinn dahinter zu durchschauen.
Aber ich bin dann auch zu dumm, um zu spenden.
read 583 times
virtualmono - 24. Aug, 10:16

Ich habe mit dem ganzen Spendengedöns - insbesondere wenn die Medien ganz laut die Trommeln dafür rühren - auch massive Probleme, denn ich bezweifele, daß die Gelder auch wirklich bei den Betroffenen ankommen, wenn da immer so ein Riesenapparat drumherum mitfinanziert werden muß... ich engagiere mich lieber lokal, selbst und direkt, da weiß ich wenigstens daß es wirklich hilft... bei uns liegt genug im Argen, wogegen man etwas tun kann, da braucht man nicht in die Ferne zu schweifen.

pathologe - 24. Aug, 11:53

Uebertrieben

gedacht (man verzeihe mir dies) finanzierte ich mit Spenden den Wiederaufbau einer Region, die dann der deutschen Wirtschaft zukuenftig als Billiglohnstandort dient. Ich finanziere also meine eigene Rationalisierung vor.

nömix - 24. Aug, 20:18

Ja, überspitzt betrachtet kann man es natürlich auch so sehen. Da kriegen die jahrzehntelang westliche Entwicklungshilfegelder in den Hintern gestopft und schaffen sich dafür Atomwaffen an, anstatt dass die Bevölkerung dafür was zum spachteln kriegt. Außerdem spendet es sich natürlich leichter für herzige verwaiste Negerbabys in Haiti, als für abgerissene obdachlose Taliban-Figuren die im Schlamm herumhampeln. Überspitzt betrachtet, wie gesagt ..
(hab gerade eine unerwartete Honorarzahlung erhalten, und übrigens gespendet. Ans St.Anna-Kinderspital, obwohl ich dort auch niemand kenne. Aber in dem Wissen, das mein Geld dort tatsächlich denjenigen zugutekommt denen es zugedacht ist, und nicht irgendwelchen Krisen- & Katastrophengewinnlern & Wohltätigkeitsabzockern. So leid mir die Leute in Pakistan tun.)

rosmarin - 25. Aug, 02:27

sehr klar auf dem punkt herr steppenhund.
ich mag diese sortierungen.

Rockhound - 25. Aug, 08:41

Ich unterschreibe hier gerne. Ich bin auch nicht bereit zu spenden, nachdem die Regierungen in der Region jahrelang nichts für ihr Volk getan haben und dies auch weiterhin so tun werden. Jetzt werden wir - das gemeine Fussvolk - wieder zur Kasse gebeten, um die Defizite der grossen Schlipsträger auszugleichen. Da spende ich auch lieber für Ärzte ohne Grenzen.

books and more - 25. Aug, 08:45

Klares Denken ist in seinen Ergebnissen nicht immer bequem und mainstream, entspricht aber manchmal der Wirklichkeit :-)

virtualmono - 25. Aug, 09:56

Yup :-)

... allerdings gibt es viel zu viele, die unbequeme Wahrheiten jetzt mal so gar nicht ertragen können...
steppenhund - 25. Aug, 10:26

Ich bedanke mich bei allen Kommentaren. Ich antworte nicht separat, weil es dann all zu leicht in Bewertungen ausartet. Ich freue mich, dass ich mit meinen Anschauungen nicht allein da stehe.

Phorkyas - 25. Aug, 21:59

Da sind Sie nicht allein

Sicherlich nicht. Wenn die ironisch, sarkastische Art meines Doktorvaters in Prüfungen doch oft Verwirrung stiftet, so war dieses Thema heute am Mittagstisch doch genau das richtige Ziel für seine Süffisanz.
(Mir war es bisher zum Glück entgangen, aber wenn ich mal so eine Spendengala im Fernsehen gesehen habe, so erzeugte dies innerhalb kürzester Zeit einen Widerwillen, den ich schon physisch spüre)
steppenhund - 26. Aug, 00:17

Das mit dem Widerwillen bei Galas kann ich nachvollziehen.
Gregor Keuschnig - 25. Aug, 11:06

Es wird immer wieder berichtet, dass die Armee aus Stationierungen in Kashmir bzw. an der indisch-pakistanischen Grenze nicht abzieht, weil man sonst einen Angriff befürchtet...

Die Angelegenheit ist aber ambivalent. Pakistan ist Atommacht, die jetzige Regierung (und weite Teile der Politik) sind korrupt. Dennoch kann der Westen nicht interessiert daran sein, dass hier Verhältnisse eintreten wie in Afghanistan in den 1990er Jahren. Schon jetzt sind die Koranschulen, die von fundamentalistischen Muslimen dominiert werden, oft die einzige Aus- bzw. Weiterbildung der Jugend. Der Staat ist längst auf dem Rückzug; ganze Regionen sind weitgehend der Staatsgewalt entzogen und werden von lokalen Stammesfürsten regiert.

Man hat also die Wahl: Indirekt unterstützt man mit Spenden auch dieses korrupte, autokratisch-nepotistische Regime. Macht man nichts, wird die "Talibanisierung" Pakistans - mit allen Konsequenzen - beschleunigt.Ein typisches Dilemma. Auch in Afghanistan unterstützte man ja in den 1980er Jahren die Kämpfer gegen die Sowjets, nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Das macht man jetzt in Pakistan wieder. Das Resultat wird das gleiche sein. Also ist meine Entscheidung klar.

steppenhund - 25. Aug, 13:47

Diese Diskussion habe ich auch mit einem anderen Kollegen, den ich sehr schätze geführt. An der Argumentation ist natürlich einiges stimmig. Ich beschwere mich ja auch nicht, wenn mein Land sich an der Katastrophenhilfe beteiligt.
Nur ich selber will lieber wohin spenden, wo ein positiver Effekt leicht einsehbar ist.
Gregor Keuschnig - 25. Aug, 13:56

Geht mir ja genau so. Der deutsche Staat hilft. Ich nicht separat.
lou-salome - 25. Aug, 22:27

Kann mich obigen Kommentaren größtenteils anschließen. Und Ihr letzter Satz der 13:47 Uhr-Antwort könnte meiner sein.
creature - 29. Aug, 12:24

indirekt zahlen wir alle über die steuern, da österreich einige millionen gezahlt hat, soviel ich weiß!
Illisionist - 27. Aug, 15:04

gute Argumente

Die Argumentationen lassen sich gut sortieren.

Erstens: Die Pakistanis sollen sich doch selbst helfen. Riesenarmee, Atombomben, haben sie ja auch.
Wenn sie ihre 600.000 Soldaten mobilisieren, dann wäre die Hilfe doch ein Klacks. Statt dessen werden wir angeschnorrt.

Zweitens: Die Spenden kommen nicht an. Und wenn doch, dann am falschen Ort: wir rationalisieren uns selbst weg, stecken
Leuten das Geld in den Hintern, die damit Waffen bauen oder fördern Krisengewinnler.

Drittens: Wenn die Taliban die einzigen sind, die helfen - wo ist das Problem? Man könnte sich ja überlegen, sie in Ruhe zu lassen und nicht mit Unsummen einmal zu unterstützen (zumindest so lange sie Mujaheddin genannt werden) und dann wieder ferngesteuert umzubringen.

Viertens: Ich lasse mir das Spenden nicht verordnen, ob und wem ich spende ist meine Sache.

Schön, dass die Welt so klar und einfach ist. Aber vielleicht lohnt es sich doch, nochmals näher hinzusehen.

Zum ersten: New Orleans - schon vergessen? Die größte Supermacht der Welt brauchte Wochen, um zu helfen. Betroffen waren etwa 1,5 Millionen, heute sind es 20 Millionen. Scheint wohl so zu sein, dass es auch für eine Militärmaschinerie nicht ganz so leicht ist, vor allem wenn sie darin nicht geübt ist. Dass das Land korrupt ist, stimmt leider. Aber dann hätte auch nach Haiti kein Cent fließen sollen. Oder in den Tschad. - Ich verstehe das Argument, dass andere (die Armee) eine stärkere Verpflichtung hat, zu helfen. Wenn ich es als Grundsatz anwende, brauche ich fast nie zu helfen (vielleicht meinen Angehörigen...)

Zum Zweiten: Es geht nicht um Aufbauhilfe (das muss man getrennt diskutieren), es geht um Katastrophen- also Überlebenshilfe. Damit Leute nicht verrecken. Ob die Spenden ankommen: nun ja, Ärzte ohne Grenzen wurde mir als vertrauenswürdig genannt, - sie rufen auf Ihrer Homepage zur Spende auf. Auch Care Österreich soll vertrauenswürdig sein: auf der Homepage: Bitte um Pakistan-Hilfe. Aber vielleicht sind sie auch Wohltätigkeitsabzocker.... - Ich begrüße jede Spende für St. Anna, obwohl ich anmerken könnte, dass es dort einen Arzt gegeben hat, der mit Doping ganz schön viel schmutziges Geld gemacht hat, bevor er verhaftet wurde. Wenig vertrauenserweckend, oder? Wenn man will, kann man alles in Zweifel ziehen.

Der wohl heikelste Punkt: Warum eine humanitäre Alternative zu den Taliban? - Fund for Peace - ein birtischer Think Tank, erstellt eine Liste von "gescheiterten Staaten", also Staaten die Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit nicht mehr gewährleisten können. Pakistan steht auf dieser Liste, das Land droht zu zerfallen, im Chaos zu versinken. Sollen sie doch, mögen da viele denken: Zumindest der Historiker Ignatieff hält fest, dass solche Staaten "metastasieren", also andere Regionen mitreissen. Eines jedenfalls haben die letzten Jahrzehnte gezeigt: in einer globalisierten Welt ist es nicht egal, wenn eine Weltregion im Chaos versinkt. Ich gebe zu, in einem Punkt bin ich missionarisch: ich halte eine demokratische, aufgeklärte Demokratie - bei allen Schwächen - für wesentlich erstrebenswerter als eine durch religiösen Fundamentalismus geprägte Welt. Vor diesem Hintergrund bin ich überzeugt, dass wir zeigen müssen, dass dieses Modell erstrebenswert ist - auch und gerade durch Solidarität.

Soweit ein Unverbesserlicher (vielleicht vor langer Zeit zu viel Ebner-Eschenbach gelesen). Aber zumindest dem letzten Punkt stimme ich voll und ganz zu.

diefrogg - 1. Sep, 22:13

Ich pflichte hier...

dem Illusionisten bei. Ich habe bei der schweizerischen "Glückskette" gespendet. Die halte ich für sehr vertrauenswürdig. Ich habe selber eine zünftige Überschwemmung erlebt. Ich kann nicht zusehen, wie die da unten ersaufen. Es ist vielleicht naiv, aber ich finde: Die sollen spüren, dass die Welt sie nicht im Dreck sitzen lässt. Das ist meiner Meinung nach das beste gegen die Taliban.
logo

auf 70 steuernd

die Erfahrungen genießend

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Nachtrag zu diesem Jahr
Abschluss der Musikaktivitäten Die Leistung des Jahre...
steppenhund - 10. Dez, 18:59
Langsamer Abschied
Долгое прощание - Langsamer Abschied Dieses Buch von...
steppenhund - 13. Nov, 12:01
Aleksandra Mikulska
Es gibt drei Pianistinnen, die ich ganz hoch einschätze,...
steppenhund - 22. Okt, 14:44
Quietschen
Q U I E T S C H E N Als ich gestern nach dem Aufstehen...
steppenhund - 20. Okt, 12:36
Ich liebe meinen Induktionsherd....
Ich liebe meinen Induktionsherd. Brauchst auch den...
la-mamma - 18. Okt, 18:10

Meine Kommentare

wenn Sie der Lehrer meiner...
würde ich mich wundern, dass Sie nicht auf meinen Kommentar...
abohn - 7. Mai, 09:56
Gut gewagt!
Ein sehr ansprechender Text! So etwas würde ich auch...
abohn - 25. Apr, 15:30
Eigentlich habe ich deinen...
Eigentlich habe ich deinen Sohn erkannt. Der ist ja...
lamamma - 27. Mär, 12:44
Überrascht
Ich bin wirkliich überrascht, dass gerade Du lamentierst....
lamamma - 26. Mär, 15:30
Wobei nähen sich ja viel...
Wobei nähen sich ja viel direkter geboten hätte.
Schwallhalla - 26. Feb, 10:30

The bridge


Bloggen
Computer
ernst
Familie
Film
fussball
Icebreaker
Ist das jetzt das Alter
Kino
Kultur
Leben
Lesen
Musik
nichttägliche Mathematik
Philosophie
Politik
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren