11
Mai
2014

unbeschreiblich

Den Beitrag habe ich auf Facebook zu einem Foto eingestellt.
(Er geht allerdings im Umfang über die Facebook-verträgliche Länge hinaus, daher erfolgt hier die Kopie.)


Am Donnerstag spielte Andras Schiff wieder aus seinem Beethoven-Sonaten-Zyklus 5 Beethovensonaten. Dabei gab es einige Besonderheiten. Nachdem er opus 54, die 22. Sonate, gespielt hatte, stand er auf und meinte, die Sonate würde nur ganz selten gespielt. Er würde sie wiederholen - und das hoffentlich besser. (Es waren tatsächlich ein oder zwei Ausrutscher passiert, die man allerdings nur dann hören kann, wenn man die Sonate vom Notenbild genau kennt.) Tatsächlich war aber die zweite Version noch etwas besser um nicht zu sagen fantastischer. Das Allegretto spielte er mit einer Leichtigkeit und atemberaubenden Schnelligkeit, die ich so noch nie gehört habe.
Dann folgte die Appassionata und nach der Pause 24,25,26 ("Le Adieux"). Über Nr. 24, die einzige Sonate in Fis-Dur, hat er einmal gesagt, dass sie selten gespielt wurde, weil es zu Beethovens Zeit üblich war, die Sonaten vom Blatt zu spielen. (Kann man sich ja kaum vorstellen, aber die Leute haben vermutlich wirklich mehr gekonnt.) Die sechs Kreuz sind dann schon etwas hinderlich, was mir Klavierspieler hinsichtlich des Blattspielens bestätigen werden können.
Tobender Applaus, stehende Ovationen.
Schiff geht noch einmal zur Klaviatur und sagt: "Das wird jetzt etwas länger dauern, - für die Leute, die keine Zeit haben." Er setzt sich hin und spielt das Thema. Das Thema der Diabelli-Variationen. Ich wusste, dass darauf noch 32, bzw. 33 Variationen folgen. Die dauern mindestens 50 Minuten. Und er hat alle gespielt. Traumhaft.
Hier möchte ich für Musikinteressierte etwas anfügen, dass mir selbst nicht klar war. (Und arrogant wie ich bin, nehme ich an, dass es da noch weitere gibt, die das Werk nicht so gut kennen.) Die Diabelli-Variationen haben die Opuszahl 120. Sie sind also nach der "berühmten Opus 111" entstanden. Man könnte, wenn es nicht despektierlich wäre, das Werk als Readers' Digest-Version des gesamten Beethoven-Klavierwerks bezeichnen. Inzwischen gelten sie als eines der großen Klavierwerke der Musikliteratur, auf einer Ebene mit den Bach'schen Goldbergvariationen.
Das Konzert hat insgesamt drei Stunden gedauert. Nach der "Zugabe" war das Klatschen recht schnell zu Ende. Ich kann nur "danke" an Andras Schiff sagen. Es war ein herausragender Musikabend. Mir schien auch, dass er an diesem Abend an seine eigenen Grenzen gegangen ist. Die Dichte bei "Le Adieux" kann kaum übertroffen werden.
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steppenhund - 12. Mai, 10:49

Wer von den Lesern kennt denn die Variationen? Sind leicht zu googlen.
Ich habe mich ja schon gefreut, als Schiff bei der ersten Sonate gemeint hat, dass sie selten gespielt wird.
Auch opus 10/3 ist den meisten unbekannt.
Aber ich erinnere mich an meine Kindheit, wenn ich verächtlich die Nase gerümpft habe, wenn Leute von Beethoven geschwärmt haben. Dieselben kannten dann: die Neunte, die ersten zwei Takte von der Schickssalsymphonie, "an Elise", opus 111 und die Pathetique.
-
Das sind dann die Personen, die einen Spindelegger wählen. Stimmt nicht. Damals hatten Politiker noch Format.

david ramirer - 12. Mai, 11:09

ich kenne die variationen, zumindest vom hören.
ich habe eine aufnahme von pollini, die ich mir auch schon einige male angehört habe.
als gleichrangig mit den goldberg-variationen kann ich sie beim besten willen nicht betrachten - weil beethoven doch um einiges "nervöser" ist im ganzen kompositorischen duktus und nicht die souveräne ruhe und sicherheit eines bach hat (die ich an ihm so schätze). abgesehen davon fehlt den diabellis auch der klare zusammenhang, die "hörbare symmetrie" - aber das liegt vielleicht auch an meinem subjektiven zugang: bei bachs goldberg-variationen kenne ich buchstäblich jede note persönlich, bei beethoven bin ich "nur" hörer...

aber die diabellivariationen sind innerhalb beethovens werk sicher ein meilenstein, der herausragt, unbestritten.

;)
david ramirer - 12. Mai, 11:12

p.s.

von andras schiff habe ich seit kurzem das wohltemperierte klavier (band I+II) und muss auch hier konstatieren: beeindruckend schön und klar, rundum am punkt (glenn gould ist ja schon seit langem nicht mein favorit, was bach betrifft: viel zu maniriert und gewollt, auch wenn ich mir damit keine freunde mache... egal).
steppenhund - 12. Mai, 20:26

zuerst ad p.s.

Was Glenn Gould angeht, stimme ich dir zu. Anfangs ist es beeindruckend, seine Interpretation zu hören. Nach einer gewissen Zeit gewinne ich den Eindruck, dass er durch eine Maschine ersetzbar wäre. Zu behirnt und zu steril. Seine Einspielungen sind sicher auch so großartig, doch meine erste Wahl ist er nicht. Vielleicht die dritte Wahl, wobei ich #2 nicht benennen kann. Ich weiß nur, dass es da jemanden gibt. (Könnte Sokolov sein oder ein ähnlicher.) Und zur Zeit bevorzuge ich Schiff.
steppenhund - 12. Mai, 20:29

ad Diabelli-Variationen

Du wirst es schwer glauben können, doch ich habe die Noten zuhause und habe da so vor Jahren ein bisschen herumgeklimpert. Die besondere Größe ist mir dabei nicht aufgegangen. Erst jetzt nach der Aufführung von Schiff habe ich bemerkt, worin die Größe steckt. Dass Du Bach bevorzugst hängt vielleicht auch mit dem Grad an Beschäftigung mit einer Musik zusammen. Aber darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Ich stelle jedenfalls mehr und mehr fest, dass bei Beethoven keine einzige Note (bei den großen Werken) zufällig ist. (Natürlich hat er auch Mist geschrieben:)
david ramirer - 12. Mai, 21:51

du hast sicher recht: in den diabelli-variationen ist wohl auch nicht weniger zu finden als in den goldberg-variationen, nur braucht es wohl mehr zeit.
irgendwann werde ich sie mir nehmen. vielleicht gleich jetzt.

*startet pollinis interpretation*

;)
steppenhund - 12. Mai, 23:47

kleiner Tipp

Zwischen dem wiederholten Anhören der Diabelli-Variationen hör dir doch die letzten vier Sonaten an. Und dann wirst Du bei einigen Variationen so etwas wie ein Flirren hören. Erinnerungen an Vergangenes, an eine Tonsprache, die wir möglicherweise noch gar nicht durchschaut haben, weil sie auch die Zukunft beinhaltet.
david ramirer - 13. Mai, 07:15

danke dir!
werde es mal versuchen...

;)
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Wobei nähen sich ja viel...
Wobei nähen sich ja viel direkter geboten hätte.
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