8
Dez
2010

5. Fortsetzung 1784

Was zuvor geschah

Seite 12,13 von 33


VI.
Wieder war ein rauher Winter verflossen, wieder glänzten die klebrigen Knospen der Kastanienbäume in der wärmenden Sonne, und verbreiteten nach deren Untergange einen durchdringenden Wohlgeruch. Wieder war Haas nach Wien gereiset und Stasel in Sachen ihres Prozesses nach Bregenz gewandert.
Einsam sass ihr Töchterlein am offenen Fenster, blickte traurig der scheidenden Mutter nach und weinte bitterlich.
Schon blinkten einige Sterne am dunkelnden Himmelszelte. Der Vollmond war eben im Begriffe, sein Nachtwerk zu beginnen, und spiegelte sich zitternd in den nassen Aeugelein der Kleinen, da nahte Sirene, die Tochter des Küfers, bei dem Seferle zuletzt diente. Diese wollte nach einem kurzen Grusse vorübereilen, als sie durch des Kindes Schluchzen aufmerksam wurde; halb neugierig, halb mitleidig blieb sie stehen, und frug Seferle um die Ursache ihres Kummers.
„Ach,“ erwiderte das Mädchen, „Muatterle is fort, und kommt erst Morgen zurück, ich bin ganz allein im Hause, und vergehe fast vor Angst und Furcht.“ „Komm Sputele, gang (gehe) mit mir,“ sagte Sirene, „mein Vater liebt Dich, er wird Dir’s gerne erlauben, dass Du bei mir schlafen darfst.“
Willig folgte das Kind, sie verschlossen sorgfältig das Haus und gingen zum Küfer. Dieser erklärte dem Seferle, sie nur beherbergen zu wollen, wenn sie ihm das Versprechen gäbe, nächsten Sommer wieder bei ihm halten zu wollen. Zu angstvoll, wieder in ihr verlassenes Häuschen zurückzukehren, schlug Seferle schnelle in die dargebothene Rechte, und ein Silber-Batzen besiegelte den erneuten Bund. Freilich war es der heimkehrenden Mutter nicht recht, ihr Kind wieder in dem Haus zu wissen, in welchem eine entsetzliche Krankheit ihr Lager aufgeschlagen, aber das Darangeld war so wie der Handschlag gegeben, das galt damals mehr, als heutzutage manches von Siegeln strotzende Dokument oder staatliche Verträge.
Jetzt verbreitete sich in Weile plötzlich das Gerücht, der „Franzos“ käme. „Ja was ischt dös, der Franzos,“ fragten die dummen Weiber die Exwirthin Stasel, die immer aufgeklärter als die übrigen Damen des Ortes war: „Was ischt dös?“ Sie glaubten nämlich, der Franzos wäre eine Ungethüm, ein hoher Berg, der sich heranwälze, um unter seiner Wucht alles zu erdrücken. „Soldate sinds“, erklärte die durch das Vertrauen nicht wenig geschmeichelte Stasel, „Soldats sind’s,“ wiederholten die weiblichen Schöngeister, und rissen gross und erstaunt die Bäuler auf. „Soldate,“ murmelten sie noch einige Male, und gingen kopfschüttelnd auseinander.
Jetzt wurde alles französisiert, der Pfarrer begoth von der Kanzel herab seinen Schäflein, dass Jedermann, das kleinste Kind in der Wiege nicht ausgenommen, blau roth-weisse Kokarden tragen müsse, widrigenfalls für keine Gewaltthat von Seite der französischen Truppen gutgestanden würde.
Alles versah sich demnach mit diesem Abzeichen; ja einer befestigte sogar seiner Kuh an den Schweif die Trikolore, um nur nicht an seinem Eigenthum gefährdet zu sein.
Die Folge davon war, dass sich die fremden Soldaten, sehr human gegen die Bewohner zeigen und nach einer Plünderung eines Erdäpfelackers oder einer Eroberung eines Mädchenherzens nach zwei Tagen wieder aufbrachen, in ihren Zelten den hungrigen Dorfkindern eine Masse Brotkrommen und halbabgenagter Fleischknochen zurücklassend, über die sich auch sofort die liebe Jugend mit unersättlichem Heisshunger hermachte. Anders jedoch war es in dem benachbarten, kaum fünf Stunden entfernten Bregenz.
Hier wurde bei Annäherung des Feindes die dort befindliche Stadtkasse von den betreffenden Beamten fortgeschaft; ob aus Vorsicht, ob aus Betrug, konnte nicht ermittelt werden. Der Vorgang war folgender:
Die Bürger der Stadt und die Bauern der Umgebung, worunter auch der Vater unsers Seferle, mussten ausserhalb des Weichbildes Schanzen aufwerfen, die sollten das bis jetzt mit ungebrochener Kraft angerückte französische Heer aufhalten. Eines Abends nun besuchte das Oberamt die draussen arbeitenden Leute und ermunterte diese mit den Worten: „Arbeitet, arbeitet, liebe Brüder, Ihr seht den Feind vor Augen.“
In der That konnte man schon einige feindliche Plänkler gewahren, und manche vorwitzige Kugel sauste durch heimathliche Lüfte.
Und während die Männer im Schweisse ihres Angesichtes die harte Erde mit ihren Spaten lockerten, entfernte sind das Oberamt, bestehend aus dem uns schon aus der Jugendgeschichte her bekannten Landvogte, nebst zwei anderen höheren Beamten heimlich in entgegengesetzter Richtung gegen Innspruck mit der Kasse der Gemeinde.
Sie waren einige Stunden weit, als sich die Kunde ihres Verschwindens mit den städtischen Geldern unter den Schanzgräbern verbreitete, die nun wüthend darüber, in derselben Zeit, als sie ihre Kräfte dem Vaterlande weihten, von ihren Mitbürgern betrogen zu werden, einen fürchterlichen Akt der Lynch-Justiz ausübten.
Sie eilten den vielleicht mit Unrecht vermeinten Betrügern nach, holten sie zwischen Stube und Landeck ein, brachten sie nach Bregenz zurück, und schleiften die Unglücklichen, ohne sie früher gehört zu haben, durch die Strassen der Stadt mit gebundenen Händen und Füssen so lange, bis Alle drei ihren Geist aushauchten; selbst an Misshandlungen der grässlich entstellten Leichname liess es die entartete Menge nicht fehlen.
So blieb es nicht festgestellt, ob nicht auch diese drei Männer, wie die Geschichte vielfach zu erzählen weiss, einem Missverständniss zu Opfer gefallen sind, wie solches in bewegten Zeiten leider oft vorzukommen pflegt.
Zu Ehren des Namens unserer Heldin muss aber erwähnt sein, dass sich ihr Vater nur in so fern bei diesen Vorfällen betheilte, als er den entmenschten Pöbel von seinem schauderhaften Vorhaben abzulenken suchte, wofür er jedoch schlechten Dank erntete, und mit genauer Noth einem gleichen Schicksale entkam.
Die Strafe sollte nicht lange ausbleiben, die Schanzen schienen dem Feinde eine unnöthige Spielerei zu sein, er drang in die Stadt ein, nahm die Kassa erst recht weg, und dass dabei das Eigenthum und Leben vieler gelitten, davon geben die Annalen Bregenz’s genügenden Beweis.
Endlich war dem Kriegsgotte auf dieser Seite Genüge gethan, die Tränzen auf der Karte wurden wieder mit den oft gewechselten Farben bemalt, Leben Glück und Habe vieler Unterthanen wurde zwar geopfert, blieb doch die ehre des Staates gerettet! –
Wenige Wochen nach dem Erzählten sassen Stasel und Seferle beim Spinnrade, als ein Mädchen aus dem Brauhause athemlos hereinstürmte, und die Beiden aufforderte, sich dorthin zu begeben, es wäre Jemand dort, der sie zu sprechen wünschte. Sich in allerlei Vermuthungen ergiessend, nahm Stasel das Töchterchen bei der Hand, und folgte der voraneilenden Magd.
Als sie in die Gaststube traten, konnte Seferle nur einen weissen bis an die Diele reichenden Federbusch inmitten eines Schwarmes Bauern bemerken, der sich bei ihrer Ankunft sofort zu ihnen herbewegte, und bald lag der Eigenthümer desselben in den Armen seiner Mutter. Amandus war, als Offizier mit der goldenen und silbernen Tapferkeits-Medaille geziert, auf dem Durchmarsche im Vorarlbergischen in sein Geburtsort gereiset, um seinen Angehörigen die grösste und freudigste Ueberraschung zu bereiten.
Zahlreich perlten die Freudenthränen die gefurchten Wangen seiner vor der Zeit gealterten Mutter herab.
Man kann sich denken, dass dieser Besuch ungeheures Aufsehen erregte. Amandus wurde von den Autoritäten des Fleckes, mit Ausnahme des abgesetzten Richters, mit Einladungen förmlich überschüttet; hätte es dort ein Schauspielhaus gegeben, der Amtsvorstand würde ihm gewiss eine Loge angebothen haben.


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abohn - 7. Mai, 09:56
Gut gewagt!
Ein sehr ansprechender Text! So etwas würde ich auch...
abohn - 25. Apr, 15:30
Eigentlich habe ich deinen...
Eigentlich habe ich deinen Sohn erkannt. Der ist ja...
lamamma - 27. Mär, 12:44
Überrascht
Ich bin wirkliich überrascht, dass gerade Du lamentierst....
lamamma - 26. Mär, 15:30
Wobei nähen sich ja viel...
Wobei nähen sich ja viel direkter geboten hätte.
Schwallhalla - 26. Feb, 10:30

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