20
Apr
2014

aus 2041 / 12

Die Welt als riesiger Kindergarten, würden Erwachsene in so einer Welt leben wollen?

Hartmut hatte eine Idee. In der Nachbarschaft wohnte eine ältere Dame, - noch einige Jahre älter als er selbst - die mitunter ganz originelle Ideen hatte. Vielleicht konnte sie an die ferne Vergangenheit erinnern. Er erinnerte sich, dass sie um diese Zeit Geburtstag haben musste, was ihm einen Anlass gab, sie "ganz harmlos" zu besuchen.
Sie war nur eine Viertelstunde mit dem e-car entfernt, er musste nur einmal umsteigen. Er hatte sich angemeldet und sie empfing ihn ihn sorgfältiger Garderobe, die etwas altmodisch aussah. Das Kleid stand ihr aber sehr gut und sie sah angesichts ihres Alters hervorragend aus. Nur einige Falten am Hals die sie nicht wie andere Frauen ihres Alters verdeckt hatte konnten Aufschluss geben, dass sie wohl schon älter war. Mit ihren über achtzig Jahren hatte sie ganz andere Zeiten erlebt.
Er überreichte ihr Blumen aus dem eigenen Garten und sie lud ihn ins Wohnzimmer ein, wo bereits ein Tee vorbereitet war. "Ich hätte etwas gebacken, doch ich wollte nicht die Zutaten bestellen, die ich dafür gebraucht hätte. Es ist nicht gut, 'die' auf einen aufmerksam zu machen."
"Aber das macht gar nichts. Nur wer sind denn 'die'?" - Sie kicherte etwas jungmädchenhaft und drohte ihm mit dem Finger. "Aber hören Sie auf, Sie arbeiten doch für 'die'." Hartmut war verunsichert. Er arbeitete nicht mehr und als er gearbeitet hatte, war es für die Regierung. "Was meinen Sie, ich habe für die Regierung gearbeitet. Warum wäre die zu fürchten?" Sie hörte schlagartig zu kichern auf und schaute ihn entsetzt an. "Was, Sie wissen wohl gar nicht, was hier vor sich geht. Regierung? Ein Schattenkabinett wäre ein besserer Ausdruck. Hartmut fiel plötzlich Wolfram ein. "Ich wurde erpresst." Valerie meinte mit 'die' wahrscheinlich dieselben, die Wolfram erpresst hatten. "Sie meinen eine Gruppe, welche die Regierung in der Hand hat?"
Valerie sagte ganz trocken: "Was heißt da Regierung? 'Sie' haben uns alle in der Hand. Fällt Ihnen denn gar nichts auf? Haben Sie die Veränderung nicht mit erlebt? - Naja, wahrscheinlich waren Sie zu jung." Sie winkte mit der Hand. "Haben Sie schon einmal versucht, Informationen über die Zeit vor 2020 zu erhalten? Ist alles gelöscht worden. Interessanterweise können Sie mehr über die Zeit vor 2000 Jahren erfahren als über die Zeit vor hundert Jahren. Die Buchläden gibt es nicht mehr, wo man entsprechende Bücher finden könnte." Sie nahm einen Schluck Tee. "Haben Sie sich schon einmal den Lehrplan der Universitäten angesehen? Finden Sie da Geschichte? Oder Psychologie? Haben Sie schon einmal eine Zeitung, gedruckt, der damaligen Zeit gesehen?" Hartmut verneinte mit einer Kopfbewegung. "Wissen Sie, was damals in den Zeitungen stand? Verbrechen und Kriege, die auszubrechen drohten?" - "Aber es gibt doch keine Kriege mehr. Und Verbrechen werden innerhalb kürzester Zeit aufgedeckt. Nicht, dass ich mich an eines erinnern könnte." - Valeries Tonfall wurde zynisch. "Gut, nicht wahr. Wir haben keine Probleme mehr. Doch wir hatten welche. Und wer hat diese Verbesserung bewirkt? Wer, sagen Sie es mir!" Nach einer kurzen Pause fuhr sie ruhiger fort:
"Wir dürfen uns nicht beschweren, aber wir dürfen auch nicht fragen. Wir dürfen nichts Böses tun. Und unser Wissen ist seicht." - "Ja, das stimmt schon, aber eigentlich geht es uns doch gut." Er hielt inne. Er wiederholte den letzten Satz und fügte hinzu, was er schon einmal - zu Peter - gesagt hatte: "Eigentlich geht es uns doch gut, doch irgendetwas stimmt nicht." Er sagte es leise, denn jetzt war ihm zu Bewusstsein gekommen, dass er recht hatte. Etwas stimmte nicht. Anscheinend wusste Valerie, was nicht stimmte oder sie hatte zumindest einen Verdacht.
"Man hat uns des Menschseins beraubt. Wir haben keinen freien Willen mehr. Alles wird gesteuert. Und wir kennen das Ziel noch weniger als wir es je gekannt haben. Was wiederum nicht so überraschend ist. Wir haben es nie gekannt. Ich habe 2018 noch Philosophie studiert, die ganze Entwicklung seit den alten Griechen. Als ich fertig war, bekam ich einen Bibliothekarsposten und hatte die Aufgabe, die Nationalbibliothek nach Büchern bestimmter Inhalte zu sortieren. Als ich eines Tages in die Bibliothek kam, waren ganze Bücherkontingente verschwunden. Das wiederholte sich einige Male. Eines Tages fragte ich, wohin die Bücher geliefert wurden. Es wurde mir gesagt, dass sie zum besseren Schutz an eine andere Stelle gebracht worden waren. Eine Woche später wurde ich mit einer sehr großzügigen Rente in Pension geschickt. Dieses Haus war der Bonus für die ausgezeichnete Arbeit, die ich angeblich geliefert hatte. Sie sperrten aber gleichzeitig meine Wissenszugänge. Da wusste ich erst, in was für einem Paradies ich gelebt hatte. Sie empfahlen mir auch, nicht über meine Arbeit zu sprechen. Wem hätte ich auch etwas erzählen sollen. Die Menschen waren viel mehr mit den neuen Drogen beschäftigt. Es gab keine Probleme mehr. Ich weiß nicht, wer damals die Macht hatte. Doch unsere Regierungen waren es nicht. Die agierten alle nur auf Anweisungen. Und das traf nicht nur für unser Land zu."
Sie hielt erschöpft inne.
Hartmut war erschlagen. Ohne dass er gefragt hatte, war das Gespräch in eine Bahn gelaufen, die er ursprünglich erreichen wollte. Er hatte nicht gedacht, dass es so leicht ginge.
"Wissen Sie, ich werde in einem Jahr sterben. Sie können mir nichts mehr tun, wenn ich heute darüber spreche. Interessiert es Sie überhaupt?"
Hartmut bestätigte: "Ich wusste nicht, wie ich Sie das fragen sollte. Sie haben es mir sehr einfach gemacht. Wo würde ich heute noch Information finden können?"
Valerie seufzte. "Wahrscheinlich nirgendwo. Die einzige Chance, die ich mir vorstellen kann, findet sich vermutlich in den "alten Städten". Die haben jede Menge Museen. Vielleicht haben Sie vergessen, eines auszuräumen. In Alt-Wien gab es mehr als 365 Museen, große und ganz kleine. Ich würde vermuten, dass Sie vielleicht in einem der Bezirksmuseen fündig werden. Eines, das viele Bilder hat. Die Bilder haben 'sie' gelassen. Außerdem sind ja immer Menschen im Spiel gewesen. Und Menschen machen Fehler oder sie sind einfach faul und lassen einmal etwas liegen, was sie hätten aufräumen müssen."
Hartmut fragte sich, ob er so einfach nach Alt-Wien kommen könnte. Jedenfalls würde er anfragen müssen.
Valerie hatte einen Gedanken: "Wenn Sie um eine Besuchsgenehmigung anfragen, sagen Sie, Sie hätten eine Idee, wie man die alten Städte für Wohnraum nützen könnte. Ideen werden immer gefördert, wenn Sie die richtigen Ziele verfolgen. Wohnraum ist ein ewiges Thema, auch wenn es jetzt so aussieht, als hätten wir genug davon."
Hartmut hatte noch eine Frage: "Gehen wir davon aus, dass es 'sie' gibt. Was treibt sie an. Was wollen sie erreichen?" Valerie verzog keine Miene. "Das ist die Kernfrage. Darüber habe ich die letzten 40 Jahre nachgedacht. Wenn man gläubig wäre, könnte man an eine Form des jüngsten Gerichts denken. Aber diese Erklärung steht mir persönlich nicht offen. Ich kann beim besten Willen keine Motive entdecken. Außer vielleicht den Wunsch nach absoluter Macht. Aber was nützt absolute Macht, wenn sie sich nicht beweisen muss. Mir kommt es eher so vor, als spielten 'sie' also 'die' Kindergärtner für die Menschheit."
Auf das fiel Hartmut nichts mehr ein. Im Gegenteil, er fühlte, dass Valerie irgendwie recht haben musste. Die Beschreibung eines gigantischen Kindergartens würde in jedem Fall zutreffen.
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Etwas anderes ...

zwischendurch...

Ende Mai werde ich unter anderem diese Beethoven-Sonate aufführen. Das entsprechende Video dient mir zur Beseitigung von ein paar Fehlern.
Erste Sonate von Beethoven opus 2 Nr. 1

Wer daran interessiert ist, kann sich das ja zu Gehör führen. Man kann an den Dingern noch so lange üben, es wird immer etwas Neues übrig bleiben. Die technischen Fehler sind da nicht die ausschlaggebenden.
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aus 2041 / 11

Da war was los - in den wilden 30er- und 40er-Jahren.

Yang Li seufzte. "Ich denke, dass ich über die Modalitäten Bescheid weiß. Exekutionen, Mädchenhandel und noch ein paar kleinere Änderungen. Oder irre ich mich?" Wei Liu war erleichtert, dass er diese Themen nicht selber ansprechen musste. "Sie sind vollkommen richtig informiert, wenn ich so sagen darf. Ich kann Ihnen aber aus den Erfahrungen der letzten zwei Monate berichten, dass sich meine Lage nicht verschlechtert hat. Es war zwar interessant zu erfahren, dass 53 meiner Leute illoyal waren und sich auf meine Kosten bereichert haben. Das Thema ist vom Tisch. Die Einnahmen sind nur geringfügig gesunken. Es werden viel weniger Resourcen zum 'Aufräumen' benötigt. Sie werden sehen, am Anfang ist es gewöhnungsbedürftig, doch nach kurzer Zeit bietet es einen persönlichen Gewinn."
Yang Li war nicht überzeugt. "Ich kann mir nicht vorstellen, wie das funktionieren kann." - "Es funktioniert mit Information. Ich bekomme einen Stadtteil genannt, in dem ein Casino eröffnet werden soll. Die Stadtbehörden spielen mit, die Polizei macht keine Schwierigkeiten. Zwei Wochen nachdem das erste Casino dieser Art eröffnet war, spielte es bereits Gewinn ein. Es gibt eine Regelung, nach der sogar die kleinen Verlierer gestützt werden, wenn sie alles verspielt haben. So landen sie nicht auf der Straße und jeder glaubt, dass er im Casino eine echte Chance hat. Wir können offiziell im Fernsehen werben und haben nichts zu befürchten. Dieses Geschäft bringt uns mehr an Gewinn als wir durch den Verlust vom entgangenen Mädchenhandel verlieren. Sie wissen, das ist kein besonders nettes Geschäft, es verdirbt auch die eigenen Mitarbeiter."
Yang Li fragte: "Bekomme ich solche Informationen in Zukunft von Ihnen?" In dem Moment läutete noch einmal das Telefon. Offensichtlich wurde ihr Gespräch abgehört. "Mr. Liu. Sagen Sie ihm, dass strategische Entscheidungen von Ihnen kommen werden. Notwendige Exekutionen werden wir Mr. Li selbst mitteilen. Guten Tag."
Wei Liu war sich unsicher. Wenn er das Yang Li sagte, gab er indirekt zu, dass er selber nur eine Marionette war. "Sehen Sie, es gibt einen Grund, warum Sie mir den Anschluss Ihrer Organisation angeboten haben. Ich nehme an, dass Sie genau wissen, wie Sie in Zukunft vorzugehen haben. Die strategischen Vorgaben bekommen Sie tatsächlich von mir." Er hatte vermieden, das Thema Exekutionen anzusprechen. Yang Lis Gesicht hellte sich auf. "Ich habe eine letzte Frage: wäre es gestattet, mich selbst zu Ruhe zu setzen?" Diesmal läutete das Telefon nicht. Wei Liu musste seine eigene Entscheidung treffen. "Es wäre für mich in Ordnung. Doch benötige ich Sie für eine gewisse Übergangszeit, solange, bis sich der neue Modus eingespielt hat und ihre Leute mir gegenüber loyal sind. Dann dürfen Sie sich gerne zurückziehen." "Vielen Dank, Mr. Liu. Wenn ich nicht den Tod meiner beiden Söhne beklagen müsste, wäre mir dies alles ohne Einschränkung ein angenehmer Wechsel gewesen. Es ist wohl meine Schuld, dass ich nicht glauben konnte, wozu ... !" Er wollte sagen: "diese Leute fähig sind." Doch Wei Liu winkte ab. "Lassen Sie es gut sein. Trinken wir unseren Tee?"

In den nächsten drei Jahren hatten sich alle bedeutsamen asiatischen Organisationen angeschlossen. Bei den südamerikanischen Rauschgiftkartellen gab es eine Gruppe, die übrig blieb. Doch auch sie hatte enormen personellen Aderlass zu verzeichnen gehabt. Die Columbianer hatten zuerst auf einen amerikanischen Erpresser getippt. Dies hatte dazu geführt, dass es zu blutigen Kämpfen gekommen war, bei denen vollkommen Unschuldige zum Handkuss kamen. Aber nicht nur Unschuldige. Don Pedro verlor seine gesamte Verwandschaft, bevor er sich selbst das Leben nahm. Don Alejjo übernahm sein Kartell und verlor seine Frau und drei Töchter, die sein ein und alles waren. Don Jorge als Nachfolger verlor seine Frau, doch er lernte schneller. Als ihm gesagt wurde, dass er die Verdienste aus dem Rauschgiftgeschäft seinen Landsleuten zukommen lassen sollte, bat er um Information, wie das geschehen solle. Die Organisation nannte ihm einen Politiker, den er einschalten solle. Über Parteispenden könnte das soziale Programm dieses Politikers finanziert werden. Es lag auf der Hand, dass auch einige Politiker ums Leben kamen. Es waren dies in der Regel korrupte Politiker, die nie auch nur eine einzige politische Leistung gezeigt hatten. Die Todesfälle waren hier nicht durch technische Versagen verursacht. Oder wenn ein technisches Versagen im Spiel war, dann begründete es, warum die normalen Schutzpersonen nicht in der Lage waren, einen einzelnen Attentäter zu stoppen.
Die Attentäter kamen aus unterschiedlichen Gegenden. Die meisten aus umliegenden südamerikanischen Staaten, doch gab es auch Europäer und vereinzelt Asiaten, welche Angriffe durchführten.
Mexiko war ein eigenes Kapitel. Es spielte sich so wie in Columbien ab. Doch war die Verflechtung mit der amerikanischen Mafia tatsächlich gegeben. Daher konnte nicht ein einzelner entscheiden, die Geschäftstätigkeit komplett um zu stellen. Es dauerte noch zwei Jahre, bis auch hier eine kriminelle Organisation praktisch auf humanitäre Hilfestellung umgestellt war.
In diesen Jahren wurde die Drogen herstellung umgestellt. Es wurden nur mehr synthetische Drogen hergestellt, deren wesentliche Wirkung die eines Antidepressivums war. Ein bisschen Freude war dazu gemischt. Der Abhängigkeitsfaktor wurde so eingestellt, dass mit entsprechenden Gegenmitteln eine Abkopplung von der Sucht möglich war.
Die Drogen wurden billigst verkauft und die gesamte Welt damit überschwemmt. Es war nicht notwendig, jemanden zu überfallen, um Geld für den nächsten Schuss zu bekommen. Süchtige bekamen die Droge auf Rezept, mussten sich aber registrieren lassen.

Das alles waren Informationen, die nur indirekt zur Verfügung standen. Hartmut reimte sich die Kausalitäten zusammen. Er nahm an, dass die wesentlichen Personen so erpresst wurden, wie es mit Wolfram geschehen war. Der wesentliche Inhalt, den der bisher aus all den statistischen und vereinzelt historischen Daten gewonnen hatte, war: es gibt eine zentrale Macht, die sich selbst nicht darstellt und keinen Aufschluss über ihre Ziele her gibt. So wie Hartmut das sah, konnte man dieser Macht nicht wirklich böse sein. Sukzessive schienen sich die Lebensumstände für alle verbessert zu haben. Was möglicherweise einem sozialen Gedanken widersprach, war die eklatante Kluft zwischen arm und reich. Arm war zwar nicht wirklich bedrohlich, die Armen bekamen alles, was zum Leben notwendig war. Das betraf nicht nur Nahrung, Kleidungsmittel und Wohnen, sondern auch Anreize wie Sportwettkämpfe und Filme, um sich glücklich fühlen zu können. Über die Medien wurde suggeriert, wie das glückliche Leben auszusehen hatte. Den Rest machten die Drogen.
Die "Reichen" hingegen arbeiteten, waren relativ isoliert. Sie waren in der Regel drogenfrei und hatten teilweise zur "veralteten" Kunst, wie Theater und Oper, die in Medienkonserven erhalten geblieben war. Es gab auch Festivals, in denen sich die Reichen selbst als Künstler und Darsteller verwirklichen konnten. Doch der Beruf des Künstlers war ausgestorben.

In den folgenden Jahren wurde die Infrastruktur umgebaut. Die ersten Neustädte waren fertig geworden. Dort gab es Platz für die neuen "Armen". Doch gleichzeitig war dort kein Platz für Autos.
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19
Apr
2014

aus 2041 / 10

Wir kommen langsam in die Handlung

Hartmut kramte in seinen alten Unterlagen. Als Statistiker, der nicht wusste, wofür seine Statistiken überhaupt benötigt wurden, wen sie beeinflussen sollten, hatte er ein etwas ungestörteres Verhältnis zum rohen Datenmaterial. Er hatte in seiner Vergangenheit ein Gefühl entwickelt, wie Rohdaten zu beurteilen waren. Er nannte es die Stetigkeit diskreter Resultate.
Rein wissenschaftlich hätte man von Trends gesprochen. Die Bedeutung von Trends traf aber nicht zu. Es ging mehr um die Glaubwürdigkeit von Daten. Man konnte Statistiken jederzeit in der Ausarbeitung fälschen, doch viel stärker wirkte eine Fälschung, wenn bereits die Rohdaten durch gezielte fehlerhafte Erfassung in eine Richtung gelenkt wurden.
Hartmut hatte ein sonderbares Gefühl im Bauch, als er Daten über Terrorakte in seinen Unterlagen vorfand. In einer Vergleichsstudie der Jahre von 2010 bis 2030 wurden Terrorakte nahezu täglich gemeldet. Es kamen im Jahr zwei- bis dreitausend Menschen bei Terrorakten ums Leben. Danach nahmen die Terrorakte ab. Die Frequenz der Terrorakte nahm linear ab, bis sie im Jahr 2045 auf null fiel. Ab 2045 wurden keine derartigen Gewaltdelikte mehr veröffentlicht.
Das konnte durch Medienbeeinflussung passieren. Als Hartmut Peter einmal fragte, ob er von Terrorakten gehört hätte, verneinte dieser und meinte: "Wer sollte schon einen begehen? Du kannst heute niemanden mehr mobilisieren, auf die Straße zu gehen und zu revoltieren. Die meisten Terrorakte wurden auch durch religiöse Lehren gerechtfertigt und verursacht. Die Fundamentalisten sind aber ausgestorben. Schau dich doch um, wir haben das Paradies auf Erden, oder nicht?"
Hartmut konnte bestätigen, dass sich die Vertreter der einzelnen Religionen mittlerweile gut zu vertragen schienen. Sie waren froh, wenn sie die Menschen überhaupt soweit anziehen konnten, dass sie an ein jenseitiges Leben dachten. Schließlich war für die Armen gesorgt und die Jugend hatte ein unendliches Spielpotential, in der alle Welten simuliert werden konnten. Die Spiele führten ihnen vor Augen, wie viel leichter sie es doch im wirklichen Leben hatten. Für einen real zu erlebenden Kick gab es die Drogencenter, wo sich jemand unter kontrollierten Bedingungen aufputschen konnte, so viel er wollte. Das ging bis zum geplanten Selbstmord. Wenn es sich einer wünschte, konnte er sich auch einen tödlichen Schuss setzen, um eine besondere Erfahrung zu machen. Allerdings nur einmal. Die Freunde bekamen das mit und sahen, dass es keine Wiederholung geben konnte. Damit verlor diese besondere Aufputschung auch ihren Reiz. Man konnte ja niemanden erzählen, was man erlebt hatte.
Selbstmord war übrigens kein Delikt mehr. Versuchte sich jemand umzubringen und scheiterte, bekam er zwar eine pschologische Beratung. Die ging aber mehr in die Richtung, wie man seine Ziele erfolgreich erreichen konnte und nicht so sehr in die Prevention. Ein Menschenleben hatte für die Gemeinschaft oder das soziale Gemeinwesen keinen Wert. Arbeit war freiwillig. Ob jemand zur Produktion beitrug oder nicht, wurde nicht gewertet.
Menschen, die sich sozial in Gruppen zusammen geschlossen hatten, waren davon nicht betroffen. Hier gab es einen Zusammenhalt, der auch jemand unterstützte, dem es gerade nicht so gut ging.
Die reichen Leute, die mit Arbeit, so wie sie Hartmut hatte, hatten in der Regel nur sehr kleine Freudeskreise. Bei den Verwandten gab es in der Regel nur die Ehepartner, denn die Kinder wurden sehr bald in hochklassige Internate gegeben, wo sie ein gänzlich anderes Sozialwesen vorfanden. Die 'Freunde', das waren die Nachbarn, so wie Peter einer war oder Bekannte, die sich mit gleichen Interessensgebieten hauptsächlich auf dem Arbeitsgebiet anboten. Sportstätten dienten auch als soziale Interaktionsstätten, es kam aber selten vor, dass Leute auch außerhalb des Trainings oder des Spiels zueinander fanden.
Es fehlte die äußere Bedrohung. Keine Kriege, keine Aufstände, keine Straßenverbrechen. Einbrüche hatten ihren Zweck verloren. Gestohlene Güter fanden keine Abnehmer. Diebsbanden mit professionellen Hehlern konnten sich keine mehr entwickeln.
Hartmut schloß, dass es ein sehr mächtiges Prinzip sein musste, welches die Terrorakte unterdrückte. Er hatte aber keine Ahnung, wer so stark sein könnte, dies weltweit durchsetzen zu können.

Einen gewissen Anteil an Terrorunterdrückung konnte sich jemand anderer schon erklären. Wei Liu war überrascht, als ihm eines Tages von Chen gemeldet wurde, dass Yang Li eine Unterredung mit ihm wünschte. Zwar war ihm ja mitgeteilt worden, dass sich andere Gruppen ihm anschließen würden, doch mit Yang Li hatte er nicht gerechnet. Yang Li war der Kopf der mächtigsten Triade in Hongkong, dessen Einfluß sich auf Macao erstreckte und der seine Fäden auch in Singapur spann. So wie Wei Liu war auch Yang Li kaum dazu zu bewegen, sein Haus besser seine Festung zu verlassen. Da Wei das wusste, sagte er Chen, dass er seine Telefonnummer hergeben dürfe. Chen berichtete ihm, dass Yang Li ihn aber persönlich treffen wollte und sogar bereit war, ihn zu besuchen. Dies verursachte ein logistisches Problem. Wenn Li kam, geschah das mit Leibwächtern und gepanzerten Limousinen und die würden Aufmerksamkeit auf das Domizil von Wei Liu richten. Er teilte daher Chen mit, dass er an einem bestimmten Tag abends im "Hölzernen Drachen" sein würde und lud Li ein, ihn dort aufzusuchen. Der Hölzerne Drachen war ein einfaches Gasthaus mit einer unansehnlichen Fassade, welches aber so gelegen war, dass es nur von einer Seite befahrbar war. Neben dem Lokal befanden sich einige Geschäfte, die alle Wei Liu gehörten - selbstverständlich mit Hilfe von Strohmännern. Wenn Wei Liu sich dorthin begab, was das letzte Mal vor mehr als zehn Jahren geschah, wurde sofort die Zufahrtsstrasse gesperrt, sodass niemand mehr eine Gelegenheit hatte, zufällig vorbeizufahren. Die Fenstergläser bestanden aus Panzerglas und überdies war der Hölzerne Drachen mit vielen Sicherheitsmaßnahmen versehen. Es hatte in der früheren Vergangenheit Anschlagsversuche gegeben, doch die erfolglosen Attentäter hatten nicht einmal den Vorraum des Gasthauses überwunden. Chen kam noch einmal, um die Zustimmung von Yang Li zu bestätigen.

Am Freitag verließ Wei Liu mit dem für solche Gelegenheiten üblichen Leibwächtertroß sein Heim. Fünf Wagen verließen das Haus in zwei Gruppen. Die Dreiergruppe fuhr drei Minuten früher als die Zweiergruppe. Es war eine der seltenen Gelegenheiten, dass Chen mehr als sechshundert Meter von Wei Liu entfernt war. Wei Liu befand sich im hinteren Wagen der Zweiergruppe. Als sie einige Meter gefahren waren, bemerkte Wei etwas Erschreckendes. Der Wagen gehörte nicht zu seiner Flotte. Rein äußerlich sah er genauso aus wie alle anderen Wagen, doch von innen konnte Wei Liu erkennen, dass der Wagen kein Panzerglas hatte. Er sah den Fahrer an, doch der Mann machte keinen besonders gefährlichen Eindruck. Natürlich waren alle Personen in Wei Lius Diensten gefährlich. "Was ist das für ein Wagen?" wollte Wei Liu wissen. "Das ist der Wagen 23, zwei Jahre alt, keine Vorkommnisse." - "Wieso hat dieser Wagen kein Panzerglas?" Ein Ruck ging durch den Wagen, der Fahrer hatte ruckartig gebremst, doch gleich nahm er wieder Fahrt auf. Der Fahrer wirkte schockiert und das war er auch. "Entschuldigen Sie, sagen Sie mir bitte, was ich tun soll." Seine Stimme war nicht beherrscht, er hatte sichtlich Todesangst. Die war auf zweierlei Weise begründet. Erstens rechnete er mit einem Anschlag, der ihn zwangsläufig mit betraf und selbst wenn er diese Fahrt überlebte, hatte er mit einer Maßnahme von Chen zu rechnen. "Sie fahren jetzt bei der nächsten Straße rechts, dann drei Straßen geradeaus und danach links. Dort treffen wir auf eines der anderen Fahrzeuge, wo ich wechseln werde." Wei Liu rief Chen an und teilte ihm die Umstände mit.
Der Fahrzeugwechsel geschah ohne Zwischenfälle. Wei Liu saß bereits im Hölzernen Drachen und dachte darüber nach, wie er sicher nach Hause kommen könnte. Yang Li fuhr vor. Bei ihm waren es drei Fahrzeuge und er brachte zwei Bodyguards mit ins Gasthaus. Wei Liu schaute ihn fragend an und machte eine abwinkende Handbewegung. Li verstand und beorderte seine Bodyguards wieder hinaus. Danach saßen sich Wei Liu und Yang Li im sonst menschenleeren Gasthaus gegenüber. Keiner wollte die Stille brechen.
Schließlich begann Wei Liu aber doch, da er der Ältere war. Er konnte sich ausrechnen, dass Yang Li ihm den Vortritt aus Respekt überließ. "Ich hätte Sie gerne zu mir eingeladen, aber Sie werden verstehen, dass ich aus Diskretion und Sicherheit keine Besuche dieser Art zulassen darf. Ich habe verstanden, dass dieses Treffen für Sie sehr wichtig ist. Daher sitzen wir jetzt hier. Was ist Ihr Anliegen?" - "Ich bedanke mich sehr für Ihr Entgegenkommen, verehrter Meister Liu. Ich weiß die große Ehre zu schätzen, dass Sie wegen mir ihr Haus verlassen haben. Sie haben recht, es ist sehr wichtig."
Wei Liu schaute fragend. "Ich möchte die Führung meiner Organisation Ihnen übertragen, mit allen Rechten und Konsequenzen. Sie werden sehen, dass die Organisation ordentlich geführt ist. Auf meine Leute werden Sie sich verlassen können."
Wei Liu erwiderte langsam: "Das ist ein ungeheures Angebot, was erwarten Sie von mir?" Die Beherrschung wich aus dem Gesicht von Yang Li. Er verströmte Angst. "Ich muss Ihnen etwas bekennen. Ich mache das nicht aus freien Stücken. Man hat es mir aufgetragen. Und man hat mir bewiesen, dass ich es besser ohne Rückhalt mache. Mein vierter und mein dritter Sohn sind ums Leben gekommen. Ich weiß nicht, wie es geschah. Nach außen hin waren es einfach Unfälle, doch man hatte mir ihren Tod vorhergesagt, wenn ich nicht gemäß Anweisungen handeln würde."
Wei Liu hatte fast Mitleid mit Li. Da war er selber ja wesentlich besser davon gekommen.
In dem Augenblick läutete sein Telefon.
"Entschuldigen Sie bitte!" Er nahm das Telefon ab.
"Mr. Liu. Sie sehen, dass unsere Aussagen richtig sind. Bitte nehmen Sie unsere Warnung zur Kenntnis, dass wir sehr viel Information besitzen. Sie sind heute in einem ungepanzerten Wagen gesessen. Sie waren fünfzehn Minuten vollkommen ungeschützt. Sie haben gehört, dass wir manchmal zu nachhaltigeren Methoden greifen können, wenn unseren Anweisungen nicht Folge geleistet wird. Verhalten Sie sich daher richtig.
Ja, noch etwas. Bestrafen Sie nicht den Fahrer. Er ist vollkommen schuldlos. Guten Tag."

Wei Liu steckte langsam das Telefon ein. Er schaute Li vielsagend an. "Ich denke ich weiß Bescheid. Wir sollten die Modalitäten besprechen."
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18
Apr
2014

aus 2041 / 9

Ein Faden, der scheinbar beendet ist.

Für den Moment hatte Pete Wilson aufgeatmet. Das war gerade noch glimpflich abgegangen. Der Vorstand hatte ihm die Selbstzerstörungshypothese abgenommen. Allerdings war er vom Dienst suspendiert worde. Aus Gründen der Geheimhaltung durfte er sich nicht vom Gelände bewegen. Sein Zugang zu den Computersystemen war gesperrt. Eigentlich war es wie ein Gefängnis. Seine Arbeitskollegen mieden ihn. Natalia war freundlich zu ihm, hütete sich aber, sich einen zu nahen Kontakt nachsagen zu lassen. Das hätte ihre Karriere in gleicher Weise beeinträchtigt.
Es war eine ungeklärte Situation: Haft auf Lebenszeit mit all dem Komfort, der den Mitarbeitern geboten wurden.
Als Pete seine Lage nach ein paar Wochen bewusst wurde, fiel er in eine Depression. Was sollte er mit seinem Leben anfangen? Er musste eine Möglichkeit finden, sich innerhalb der beschränkten Möglichkeiten nützlich machen. Er hatte noch einen Laptop, der allerdings keinen Netzwerkanschluss zu Orten außerhalb der UNA hatte. Die interessanten Inhalte des UNA-Netzes waren ebenfalls gesperrt. Er konnte das Menü der Kantine abrufen und Unterhaltungsfilme. Aus Langeweile begann er, den Fortgang seiner Forschungstätigkeit nieder zu schreiben, soweit er es sich aus dem Gedächtnis zusammen reimen könnte. Dabei stellte er fest, wie sehr er vom Computer abhängig war. Er sprach zwar immer vom Rechner, doch jetzt hatte sich bei ihm eine Veränderung der Sichtweise eingestellt.
Er erinnerte sich, was Natalia zu ihm gesagt hatte. Möglicherweise kann ein ziemlich kleines Kernprogramm aus den Prämissen, die er dem Programm gegeben hatte, einen neuen großen Programmkomplex errichten. Er versuchte, auf seinem kleinen Laptop seine ursprüngliche Forschung nachzustellen. Das heisst, was das Programm anging, dass Unzerstörbarkeit bewerkstelligen sollte.
Nach mehreren Wochen entdeckte er, dass sich die ursprünglichen Prämissen beziehungsweise Prädikate verändert hatten. Wenn er das Programm startete, waren die Ausgangsdaten nicht mehr dieselben, die er zu Beginn eingegeben hatte. Es waren weniger geworden und sie schienen etwas genauer geworden zu sein. Er entdeckte etwas anderes, was ihn noch mehr erschreckte. Eine der vom Programm neu errechneten Vorgaben hieß in etwa: eine Aufgabe besteht darin, sich unentdeckbar zu machen. Eine weitere Vorgabe betraf die Selbstreplikation. Pete versuchte ein bisschen im Code zu lesen und machte eine weitere Entdeckung. Das Programm hatte ein Unterprogramm generiert, welches ganz im Sinne eines Virus aufgebaut war. Die Zielsetzung des Virus war, weitere gleichartige Viren zu erzeugen, wobei jeder Virus eine Adresse als Datenwert aufbaute. Pete konnte sich nicht vorstellen, dass aus einem Programm, dass rein auf Deklarationen aufbaute, ein funktioneller Code entstehen konnte, der für sich allein lauffähig war.
Seine Situation war unerträglich. Eingesperrt in einem silbernen Käfig hatte er die Entdeckung gemacht, dass er vermutlich einen Virus erschaffen hatte, der aus dem Umkreis der UNA "entkommen" war. Er besaß keine Kraft mehr, mit dieser Information weiter zu leben. Er dachte über Selbstmord nach. Doch dann beschloss er die Flucht nach vorne. Er würde dem Vorstand reinen Wein einschenken müssen. Es hatte wohl keine Selbstzerstörung gegeben.
Es war nicht einfach für ihn einen Termin zu bekommen. Er war zur Unperson geworden. Doch angesichts seiner früheren Leistungen räumte im Mr. Smith, einer aus dem Vorstand, einen Gesprächstermin ein.
Er schüttete sein Herz aus: "Es war höchstwahrscheinlich keine Selbstzerstörung." Er erzählte, dass er mit den beschränkten Mitteln seines Laptops einen ziemlich leistungsfähigen Virus erzeugt hatte, ohne das im Geringsten beabsichtigt zu haben. "Eigentlich wollte ich nur eine Parallele zum Internet schaffen, ein Programm, welches unzerstörbar ist. Und wie es aussieht, ist eine Strategie des Programmes, sich unsichtbar zu machen."
Der Gesichtsausdruck von Mr. Smith, der zuerst eine geduldige Zuhörermiene aufgesetzt hatte, veränderte sich zu einer steinernen Maske. "Ist Ihnen bewusst, was das bedeuten kann? Was für Zielsetzungen haben sie dem Programm sonst noch gegeben?" - "Keine." beeilte sich Pete zu antworten. "Es ging mir lediglich um das Prinzip der Unverletzlichkeit."
"Das Militär wird sich sicher dafür interessieren. Sie haben eine grenzenlose Kompetenzüberschreitung begangen." Pete nickte kläglich. "Allerdings ehrt es Sie, uns davon informiert zu haben. Ich werde mit meinen Kollegen sprechen und beratschlagen, wie wir weiter vorgehen werden."
Nach drei Wochen wurde Pete erneut vor den Vorstand zitiert. "Wir haben gehört, was Sie Mr. Smith erzählt haben. Wir schätzen die Situation als ernst aber nicht bedrohlich an. Inzwischen hätten wir es erfahren, wenn Ihr 290140 böse Auswirkungen hätte. Möglicherweise hat es sich selbst 'zur Ruhe begeben'."
Pete nickte.
"Sie sind der Einzige außer uns, der von 290140 und seinen Möglichkeiten weiß. Wir haben daher beschlossen, ein gewisses Risiko einzugehen und Ihre Ausgangsbeschränkung aufzuheben. Sie werden einen Job in New York bei einer Bank annehmen - es ist alles vorbereitet. Sie werden dort nicht viel zu tun haben. Sie können nachforschen, ob Sie 290140 ausfindig machen können. Wir sind überzeugt, dass es noch vorhanden ist. Sie werden uns monatlich berichten. Keine Unterredungen mit Ihren alten Kollegen hier bei der UNA. Sollten Sie sich etwas zu Schulden kommen lassen, werden wir Sie vor ein Gericht stellen.
Sollten Sie von der Notwendigkeit überzeugt sein, in ein anderes Land zu reisen, muss eine Ausreise von uns vorher genehmigt worden sein.
Aufgrund Ihres Geständnisses an Mr. Smith sind wir zu der Auffassung gelangt, dass Sie selbst Schuldgefühle haben. Daher halten wir das Risiko, Sie mit der Außenwelt in Kontakt treten zu lassen, für akzeptabel. Sind Sie einverstanden?"
Er war einverstanden, immerhin bekam er auf diese Weise seine Freiheit zurück. Er war sehr interessiert bei der Aufklärung zu helfen. Der Kontakt mit den Unaten war sowieso bereits fast bei null, daher bedeutete die diesbezügliche Regelung keine Einschränkung für ihn.
"Wir raten Ihnen, sich eine Frau zu suchen und ein möglichst unverdächtiges Privatleben aufzubauen. Wir erwarten nicht, dass Sie bei den Untersuchungen sofort fündig werden. Wir erwarten, dass es Jahre dauern wird, bis wir Klarheit erlangen."
Pete wartete, ob da noch etwas käme.
"Sie haben eine Stunde Zeit zum Packen. Ihren Laptop können Sie mitnehmen. Anschließend wird Sie ein Taxi in die Stadt führen. Im Kuvert finden Sie Ihre Wohnadresse und die Adresse Ihres zukünftigen Arbeitgebers. Der Direktor der Bank und ein weiterer Mitarbeiter, den sie nicht kennen werden, sind eingeweiht und werden Ihnen bei Anfangsschwierigkeiten helfen. Guten Tag."
"Vielen Dank, vielen Dank. Auf Wiedersehen, vielen Dank!" er beeilte sich, aus dem Zimmer zu kommen.
Im Zimmer schauten sich die Mitglieder des Vorstandes ernst an. "Wird er uns schaden können?" Mr. Smith antwortete: "Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass es das letzte ist, was er möchte. Doch 290140 kann uns schaden. Ich weiß nicht wie, doch der Gedanke, dass es ein freilaufendes Programm gibt, von dem wir nicht wissen, wofür es da ist und was es tut, ist beängstigend. Und wenn ich sage 'beängstigend', ist das eine Untertreibung. Ich habe eine Heidenangst."
"Wir werden es erfahren, auf die eine oder andere Weise." bemerkte Mr. Robertson. "Was haben wir als nächstes auf der Agenda?"
Niemand aus der Gruppe des Vorstands erfuhr, was los war. Zu einem Zeitpunkt, an dem man Auswirkungen des Programmes hätte erkennen können, war der Vorgang um 290140 aus dem Gedächtnis entschwunden, nachdem es zehn Jahre lang zu keinem Ergebnis gekommen war. Pete hatte regelmäßig Berichte geliefert, die alle vom Ergebnis her negativ waren. Nachdem er sieben Jahre lang berichtet hatte, bekam er ein Schreiben, dass seine Berichte nicht mehr erforderlich waren. Gleichzeitig erteilte man ihm eine Ausreiseerlaubnis. Die nutzte er, um mit seiner Frau, die er vor vier Jahren geheiratet hatte, eine Europareise zu unternehmen. Bei dieser Reise saßen sie in dem Flugzeug von Rom nach London, welches kurz vor London abgestürzt war. Keine Überlebenden. Eine Splittergruppe der Al Kaida hatte die Verantwortung übernommen.
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17
Apr
2014

aus 2041 / 8

Etwas aus dem Hauptstrang

In den Jahren 2030 bis 2040 gab es keine besonderen Vorkommnisse, wenn man davon absah, dass die Technologie große Fortschritte machte. Die Fortschritte dienten in erster Linie der Steigerung an Bequemlichkeit. Fahrzeuge konnten sich autonom bewegen, Haushaltsgeräte wurden von speziellen Robotern betrieben, welche auch das Laden von Waschmaschinen oder Geschirrspülmaschinen bewerkstelligten. Die Medizintechnik hatte enorme Fortschritte gemacht. Die Prothetik hatte einen Grad der Perfektion erreicht, dass Grundbehinderungen der Sinne kaum mehr beeinträchtigten. Große Probleme waren allerdings erhöhte genetische Defekte bei Neugeborenen. Der erhöhte Pflegebedarf wurde durch mechanische "Schwestern" kompensiert.

Die Aufrüstung hatte erschreckende Ausmaße angenommen. Die Großmächte übertrafen sich gegenseitig in der Erzeugung mechanischer Kampfmaschinen. Der Begriff mechanisch durfte nicht ernstgenommen werden. Die Einheiten konnten alle autark operieren, da sie mit leistungsstarken Rechnern ausgerüstet waren. Die Sensorik war so ausgereizt, dass ein Mensch nicht mehr mit einer Kampfmaschine konkurrieren konnte. 2040 gab es einige Gefechte zwischen verschiedenen Nationen, die nur mehr unbemannt durchgeführt wurden. Man konnte schon Planspiele dazu sagen, denn die Gefechte wurden vornehmlich in Wüsten und auf den Ozeanen durchgeführt. Die Kollateralschäden, die das Gelände bei solchen Schlachten in Kauf nehmen musste, hätte in bewohnten Gebieten zur Unbrauchbarkeit des Gebietes geführt.
Man konnte den Eindruck gewinnen, dass es lediglich um Prestige ging oder auch um das Austesten der nächsten noch stärkeren Generation der Maschinen.
Zivilisten bekamen davon nicht sehr viel mit. Junge Studenten allerdings bewarben sich um Stellen beim Militär, weil dort das meiste Geld für Forschungsarbeiten zur Verfügung stand.

Einer der Gründe für die Beschleunigung in der Forschung war die Entdeckung eines neuen biochemischen Speichermaterials gewesen. Forschungen, die man ehemals mit Selbstklebebändern vorgenommen hatte, hatten zu einer Verfeinerung der Materialen geführt. Enorme Speicherkapazitäten, dauerhafte Speicherung ohne Energiezufuhr und ein neuartiges Ankopplungsverfahren hatten dazu geführt, dass man nicht mehr erkennen konnte, ob in einem Gerät ein Computer eingebaut war oder nicht. Den Quantencomputer gab es zwar noch nicht für allgemeine Verwendung und die Computereinheiten waren im allgemeinen viel langsamer geworden. Doch statt einer Steigerung der Rechnergeschwindigkeit einer einzelnen Zelle, bestand ein Rechner mittlerweile aus 32 bis 256 verschiedenen Rechenzellen, die langsam und energiesparend liefen, aber durch die matrizenartige Anordnung hohe Rechenleistungen erzielten. Die Ausbeute einer Solarzelle von der Größe eines Uhrenziffernblattes konnte einen Rechner für mehrere Tage versorgen. Außerdem machte man sich das Prinzip von mechanischen Uhren zunutze, wobei die Handbewegung für das Aufladen einer Batterie sorgte. Bei den Haushaltsgeräten sorgte die normale Umgebungsbeleuchtung für ausreichende Energiezufuhr.

Während auf diesem Gebiet der Fortschritt scheinbar unaufhaltsam war, hatten die erwähnten genetischen Entwicklungen zu einem Rückschlag geführt. Allergien wurden rascher als bisher identifiziert. Allerdings hatte die gesamte Gentechnik immer nur einen beschränkten Zeithorizont. Jede Maßnahme, die getroffen wurde, bewirkte in wenigen Jahren nach ihrer Einführung eine zusätzlichen Schadenswirkung, die wieder aufs neue mit genetischer Manipulation erwidert wurde. Es war ein Teufelskreis. Man hatte sich mit dem Abkommen von 2032 geeinigt, die menschliche DNA vor genetischen Eingriffen zu schützen. Die Häufung von genetischen Defekten bei Babies schien allerdings über die Nahrungsmittelkette unbekämpfbar. Dies führte dazu, dass immer weniger Paare sich trauten, Kinder in die Welt zu setzen.

Diese Zusammenfassung konnte Hartmut aus verschiedenen Berichten über die Zeit herauslesen. Nicht alles Material war gesichert, doch die statistischen Daten kannte er ja noch aus seinen eigenen Anfangsjahren. Die passten zu den Schlagzeilen, die sich in den noch verfügbaren Zeitungsreportagen fanden.

2041 hörten die Kampfhandlungen der Großmächte auf. Ab dem Zeitpunkt nahmen auch die genetischen Defekte ab. Und zwar wesentlich stärker als man sie mit dem Geburtenrückgang erklären konnte. Etwas war passiert. Oder so, wie Wolfram es gesagt hatte: eine Organisation hatte die Steuerung übernommen.
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aus 2041 / 7

Ein Puzzlestück, das direkt zu seinem Vorgänger passt:)

Pete untersuchte noch einmal die Umgebung, in der sich 290140 befunden hatte. Er untersuchte Speicherbereiche, in denen das Programm normalerweise geladen war. Er fand nichts, nicht einmal Löschspuren. Es gab keine Bereiche, die mit Löschmustern gefüllt waren, auch nicht auf den Festplatten, in den Backup-Medien oder im gigantischen Halbleiterspeicher. Natürlich hatte die Größe des Programms dazu geführt, dass der Code und die Daten auf mehrere Rechner verteilt waren. Pete erinnerte sich, wie schwierig es gewesen war, alle Orte auszumachen, auf die das Programm Zugriff hatte. Eines der Systeme war eine ursprüngliche Watson-Anordnung gewesen, die zwar als veraltet galt, aber doch immerhin zweihundert Terabyte an Internet-Inhalten über alle Wissensgebiete enthielt.
Aus reiner Neugier, die nichts mit seiner "kriminalistischen" Untersuchung zu tun hatte, wollte Pete wissen, ob 290140 auf die Watson-Inhalte zugegriffen hatte. Er war überrascht, als er nicht nur fündig wurde, sondern feststellen musste, dass der Inhalt einer der Hauptquellen für das Programm in den letzten drei Monaten gewesen war. Als Pete nähere Untersuchungen anstellte, fand er ein besonders Interesse von 290140 in der Literatur von Karl May, einem Schriftsteller, der über die Indianer in den Vereinigten Staaten geschrieben hatte, ohne jemals dort gewesen zu sein.
Die Datenzugriffe häuften sich nicht nur bei Karl May. Geschichtliche und ökonomische Inhalte schienen 290140 besonders interessiert zu haben. Die Zugriffe ware hier weitaus häufiger, als man sie hätte erwarten sollen. Das Programm sollte sich mit Vernetzung und selbstreparierenden Codes beschäftigt haben, wenn es nicht durch Dekodierungsaufgaben ausgelastet war. Es schien so, als hätte das Programm auf der Suche nach Information zu lernen versucht.
Drei Zugriffe, jetzt wo Pete gezielt suchen konnte, waren sie leicht zu finden, schienen aus der Menge hervorzustechen. Kant, Goedel und Chaitin waren ein beliebter Lesestoff gewesen.
Es war mittlerweile Mitternacht geworden. Pete hatte die Hoffnung verloren, das Programm zu finden oder sein Verschwinden begründen zu können. Da an Schlafen nicht zu denken war, solange noch etwas zu entdecken war, beschloss er, einmal eine kurze Pause außerhalb seines Zimmers einzulegen.
In der Kantine der UNA, natürlich durfte er das Gelände nicht verlassen, war normaler Betrieb. Die Mitarbeiter der UNA arbeiteten in Schichten rund um die Uhr, weil wichtige Ereignisse auf der Welt möglichst zeitnah bearbeitet werden sollten. Pete fand Natalia in der Kantine, mit der ihn eine Freundschaft verband, die auch hier nicht in einer erotischen Beziehung geendet hatte.
Natalia war nicht nur intelligent, wie es alle Unaten waren, sie war auch sehr unkonventionell in manchen ihrer Gedanken. Pete wusste nicht, wie weit das Verschwinden von 290140 bekannt war, sollte es eigentlich nicht. Er formulierte seine Frage in folgender Weise:
"Wenn Du hörst, dass sich jemand für Kant, Goedel, Chaitin und Karl May interessiert, wie würdest Du dann den Menschen beschreiben?" - Natalia überlegte eine Zeitlang, dann stellte sie die Gegenfrage: "Interessiert er sich auch für Kripke-Modelle?" Diese Frage stellte Pete vor ein Problem. Durfte er die Frage bejahen oder gab er zuviel über den Hintergrund seines Interesses her. Natürlich waren Kripke-Modelle eine Basis für die Hauptanwendung von 290140. Diese und die abgeleiteten Busoni-Ableitungen waren unabdingbare Werkzeuge bei der Entschlüsselung von nicht formalen Texten.
"Ja" Pete hatte sich entschlossen, jede mögliche Hilfe anzunehmen.
"Oh!" war die einzige Antwort die Pete von Natalia erhielt. "Was meinst Du mit 'oh'?"
"Oh heißt 'we are in trouble'?" - "Was meinst du mit 'WE are in trouble'? Ich gebe zu, dass ich Schwierigkeiten habe, aber wieso du?" Natalia lächelte gequält: "Mit WE meinte ich nicht uns beide, ich meinte uns alle. Etwas ist geschehen, was uns sehr stark betreffen wird. Du sagst mir besser, wer die Person ist. Hast du sie durch deine Überwachung entdeckt?"
"Nein, keine äußere Quelle. Hier bei uns selbst gab es die Datenzugriffe ohne fremde Beeinflussung."- Natalia blickte ernst. Ich würde dir empfehlen, das sofort zu melden und danach dich tot zu stellen. Pete gab sich einen Ruck: "Das kann ich nicht. Es ist kein Mensch. Es ist 'mein' Programm, mein Job. Du weißt doch, dass ich mich in meinem Bereich mit künstlicher Intelligenz beschäftige." - "Tun wir das nicht alle hier?" kam es von Natalia. Aber wenn es dein Programm ist, wäre das doch ein großartiger Erfolg, oder?" - "Vielleicht wäre es das, wenn ich früher drauf gekommen wäre. So wie es jetzt aussieht, habe ich aber nichts davon. Denn mein Programm ist verschwunden." Pete setzte hastig nach. "Aber das weißt du jetzt nicht und auch nicht von mir."
"Ja, ja. Ich kann mir schon vorstellen, dass das nicht die Runde machen soll." Aber es ist eine sehr ernste Sache. Und jetzt verstehe ich auch Karl May. Pete schaute sehr verwundert aus der Wäsche. "Aha, was verstehst du?"
Natalia blickte überlegen doch gleichzeitig besorgt auf Pete.
"Wenn Du sagst, dein Programm ist verschwunden, so ist das nur die halbe Wahrheit. Dein Programm ist nicht nur verschwunden sondern es hat sich eigenmächtig aus dem Staub gemacht. Und das ist etwas ganz anderes, als du oder auch wir bisher annehmen konnten."
"Ja aber das ist doch unmöglich. Derartig große Datenbewegungen wären registriert worden, wenn sie aus unserem Netz verschwunden wären."
Natalia überlegte: "Sag, wie groß war dein Programm zu letzt?" - "Na, ich denke, dass der Rechenkern ungefähr 500 Gigabyte groß war. Das Speicherabbild war viel größer, wenn man die unmittelbaren Datenbanken dazu rechnet."
"Glaubst du, dass das Programm wirklich so groß sein musste?" - "Nun, wenn ich den üblichen unnötigen Overhead abziehe, komme ich vielleicht auf 50 Gigabyte."
Natalia fragte weiter: "Das war die derzeitige Größe, mit welchem Programm hast du denn angefangen?" - Pete dachte nach: "Ich habe zuerst nur mit Prädikaten gearbeitet, das waren ungefähr 100 Kilobyte, den Rest haben die Inferenzmaschinen gemacht. Die haben dann den Code generiert und vermutlich auch etwas aufgeblasen."
Natalia hakte nach: "Wer außer uns hat ähnliche Inferenzmaschinen?" Pete war verblüfft: "Na jeder kann sie haben. Jeder, der mit Lisp, Prolog oder ähnlichen Sprachen arbeitet, kann sich seine Maschinen aufblasen. Machen sie ja auch. Das ist Forschungsgegenstand an Hunderten von Unis."
Natalia dozierte: "Wenn das so ist, reichen deine ursprünglichen 100 Kilobyte, um sie außer 'Landes' sprich UNA zu bringen. Und dann muss noch ein kleiner Kernel nach draußen. Der kann sich auf Trojanerbasis nach außen geschmuggelt haben. Damit kann sich das Programm irgendwo auf der Welt wieder selbst generieren.
Gefährlich ist nur die Tatsache, dass es sich hier selbst gelöscht hat. Und da verstehe ich jetzt Karl May. Es geht um das 'Spuren verwischen', um den Gegner in die Irre zu führen. Dass das Programm das konnte, zeigt, wie intelligent es inzwischen geworden ist. Durch das Studium von Goedel und Chaitin weiß es, wo es angreifbar ist. Daher muss es damit rechnen, dass es abgeschaltet wird, sobald seine Intelligenz erkannt wird. Gab es da noch irgendwelche verborgene Zielsetzungen?"
Pete war zerstört. Wenn Natalia das schließen konnte, so würden es seine Vorgesetzten und isbesonders der 'Vorstand' auch können. Er beschloss aufzugeben: "Ja, ich habe das Programm mit einem Zusatzprogramm versehen. Es sollte eine Lösung finden, wie es sich selbst unzerstörbar machen könne."
Er ergänzte kläglich: "Vielleicht hat es sich ja auch einfach bei einem Test selbst zerstört."
Natalia erwiderte: "Also ich glaube das ja nicht. Aber deine Verteidigung könnte so aussehen. Vielleicht kommst du mit einem blauen Auge davon. Aber WIR, ich betone das WIR, werden es nicht so leicht haben. Du wirst sehen. Denn ich glaube, dass das Programm nach wie vor existiert und läuft. Und wenn das so ist, muss man davon ausgehen, dass das Programm 'lebt'. Gratuliere Papa."
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16
Apr
2014

aus 2041 / 6

für meine drei Leser. Oder sind es mehr?

Pete Wilson war besorgt. Eigentlich war es schon fast Panik. Denn soeben hatte er die Mitteilung erhalten, dass er sich vor dem Vorstand zu verantworten hatte. Der "Vorstand", das war der Begriff, den man für die leitenden Generäle der UNA geprägt hatte. Die UNA war die Nachfolgeorganisation der NSA und der CIA, die man zusammen gelegt hatte. Pete war der Leiter eines Entwicklungsprojekts, welches sich mit der Verbesserung von Auswertealgorithmen zur Untersuchung von mitgeschnittenen Mitteilungen beschäftigte. Das Projekt verfolgte das Ziel, generative Algorithmen zu entwickeln, welche noch genauer aus einem Heuhafen die sprichwörtliche Stecknadel finden und entziffern konnten.
Die Generäle trugen keine Namensabzeichen. Als Pete zur Tür hereinkam, schreckte er zurück. Die Welle geballter Feindseligkeit war für ihn fast körperlich spürbar.
"Wilson, welchen Namen trägt Ihr Projekt?" Die Frage selbst war schon eine Attacke. Denn das Projekt hatte keinen Namen, ausschließlich eine numerische Bezeichnung. "290140" antwortete Pete. Pete war dreißig Jahre alt, hatte Harvard und Stanford summa cum laude absolviert und war ein Spezialist im Bereich der Kryptografie und künstlicher Intelligenz. Er hatte wesentlich an der Verbesserung von Bilderkennungsalgorithmen mitgearbeitet. Er war groß gewachsen und hatte auf dem College zwei Jahre in der Basketball-Mannschaft mitgespielt. Die Forschungsaufgaben ließen ihm nicht mehr die Zeit für das Training. So musste er diesen Teil seiner Karriere aufgeben. Aber er lief jeden Morgen und machte einen sportlichen Eindruck. Seine Haare waren sehr kurz geschnitten, wie bei einem Marine, doch er trug inzwischen eine Brille, bei der er leicht getönte Gläser bevorzugte. Er war lässig gekleidet, doch seine Hosen und Hemden waren jeden Tag Ton in Ton und es war nicht zu übersehen, dass er sich sehr pflegte. Es ging das Gerücht um, dass er homosexuell war. Dies war aber nur daher begründet, dass ihm die Frauen regelmäßig Avancen machten, die er zurückwies. Der Grund dafür war allerdings ausschließlich durch seinen Mangel an Freizeit begründet. Er arbeitete durchschnittlich zwölf Stunden am Tag. Jeden Tag. "291040" war sein Baby geworden und er verbrachte jeden Tag damit, die neu entwickelten Algorithmen zu prüfen und auf Verwendbarkeit zu testen.
"Und wie geht es 290140?" wurde die nächste Frage sehr scharf intoniert. Es war verständlich, dass diese Frage mit einer gewissen Agressivität geäußert wurde. 290140 ging es nämlich gar nicht. 290140 war verschwunden.
"Ich weiß es nicht, ich stehe vor einem Rätsel." brachte Pete mühsam hervor. "290140 ist gestern um 22:00:00 verschwunden. Es sieht so aus, als hätte es sich selbst gelöscht."
"Gibt es einen Selbstzerstörungscode, der für die Vernichtung des Programms gesorgt hat." Das war die Frage, die Pete gefürchtet hatte. Alle Projekte, die in diesem Umfeld arbeiteten, hatten einen eingebauten Selbstzerstörungscode, der vor allem dann zum Einsatz kam, wenn das Programm gestohlen wurde. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Datenverarbeitung der UNA gehackt wurde, waren sämtliche relevanten Programme gegen Diebstahl geschützt. Sie vernichteten sich, sobald sie nicht von Netz der UNA bestimmte Lebenserhaltungscodes zugeschickt bekamen.
Jetzt hätte Pete sagen können, dass sich das Programm selbst zerstört hatte. Doch bei Untersuchungen wäre man darauf gekommen, dass das nicht der Fall sein konnte. Es fehlte sozusagen die "Asche". Petes Programm war verschwunden, ganz ohne Selbstzerstörung. Die wäre im Übrigen gar nicht möglich gewesen, denn - und da war Petes Angst vor Entdeckung noch viel größer - seit drei Monaten war das Programm von den Selbsterhaltungscodes von UNA abgetrennt und hatte sich nicht zerstört. Ganz im Gegenteil, die neuen Algorithmen hatten es geschafft, den Selbstzerstörungscode zu überschreiben.
Pete hatte keine Ahnung, was passiert sein könnte. Er hatte allerdings etwas ins Programm eingebaut, von dem niemand sonst wusste. Das Programm hatte die Zielsetzung bestimmte Eingangsdaten zu entschlüsseln und auszuwerten. Wenn es keine Eingangsdaten gab, lief das Programm auf "idle", war also inaktiv, um keine weiteren Ressourcen zu verbrauchen. Pete hatte dem Programm eine Zusatzaufgabe gegeben, an der das Programm arbeitete, wenn es nicht durch Datenanalyse in Anspruch genommen war. Die Aufgabe lautete, sich selbst unzerstörbar zu machen. Die Idee dabei war ungefähr so. Ähnlich wie das Internet, dass sich nicht abschalten oder unterbrechen lässt, sollte der Code so ausfallssicher sein, dass selbst willkürlich herbeigeführte Schäden in den unterschiedlichen Programmsegmenten repariert werden konnten. Pete hatte das in kleinerem Rahmen auch schon getestet und die Selbstregenerierung des Programmes hatte erstaunliche Resultate gezeigt. Selbst bei Zerstörung von fünfzig Prozent des Codes hatte es nur eine Stunde gedauert, bis das Programm sich selbst wieder vollständig restauriert hatte. Pete war schon bereit gewesen, dieses Ergebnis groß zu verkündigen und feiern. Doch jetzt war das Programm verschwunden.
"Sie können doch nicht einfach sagen, dass das Programm verschwunden ist. Wir haben Überprüfungen durchgeführt. Es gab in der fraglichen Zeit keine Zugriffe von außen."
Pete nickte kläglich. Er wusste das bereits.
"Sie klären das bis morgen zwölfnullnull. Verstanden?"
Pete nickte.
"Abtreten!"

Wie findet man ein verschwundenes Programm?
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Aus 2041 / 5

Ungefähr aus der Mitte der Geschichte. Ob das die Spannung erhöht?

Das mobile Telefon von Wei Liu leutete. Die Nummer des Anrufers war sichtbar, doch es wurde kein Eintrag in der Kontaktliste dazu gefunden. Das war sehr seltsam, denn die Telefonnummer von Wei Liu war nur einer Handvoll Leute bekannt. Es waren Leute aus seinem engsten Kreis, welche die Nummer auch nur für Notfälle hatten. Notfälle waren es, wenn eine Razzia angesagt war. Oder wenn eine andere Gang gerade eine bemerkenswerte Aktion gesetzt hatte, die für das Imperium von Wei Liu Gefahr bedeutete.
Selbst in solchen Fällen wurde die Nummer nur äußerst selten benützt. Wei Liu war in der Öffentlichkeit nicht bekannt. Er verließ praktisch nie sein Haus, welches durch einen weitläufigen Garten mit hohen Begrenzungsmauern von außen nicht eingesehen werden konnte. Darüber hinaus gab es eine Vielzahl an Überwachungskameras, die nicht offen sichtbar sondern getarnt waren. Im engeren Umkreis des Hauses waren Bewegungsmelder angebracht. Wenn sie ansprachen, leuchteten Scheinwerfer das gesamte Umfeld des Hauses tageshell aus. Das war aber bisher nur zweimal der Fall gewesen. Beide Male waren es Tiere gewesen. Offensichtlich konnten die meisten Tiere die Gefahr, die von dieser Zone ausging riechen.
Das Innere des Hauses war durch die zwei Stockwerke funktionell geteilt. Im Erdgeschoss wohnte das Personal, wobei jede Person eine Doppelrolle spielte. Ob Koch oder Gärtner, wer immer dort beschäftigt war, war in mehreren Kampfdisziplinen ausgebildet und war rund um die Uhr bewaffnet.
Der erste Stock hingegen strahlte Gemütlichkeit aus. Die Bibliothek war als Arbeitszimmer eingerichtet, in dem Wei Liu sich für gewöhnlich aufhielt. An Elektronik war lediglich eine Stereoanlage vorhanden und das besagte Telefon. An der Wand hing ein Van Gogh, ein Tizian und ein Gorgione, neben einer Reihe von chinesischen Schriftrollen.
Neben der Bibliothek befand sich ein Besprechungsraum mit einem Tisch, an dem gerade sechs Personen Platz fanden. Hier gab es eine Videoabspielanlage, aber keine Verbindung zur Außenwelt. Der Raum war für die Besprechungen ausgelegt, die montags, mittwochs und sonntags jeweils um sieben Uhr früh angesetzt waren und in der Regel nicht länger als eine halbe Stunde dauerten. Einer der Besprechungsteilnehmer, Chen, war ein Hausbewohner. Er war für die Sicherheit verantwortlich. Und er war von den anderen Teilnehmern gefürchtet. Wenn einer durch eine fehlerhafte Aktion oder durch merkwürdiges Verhalten in Ungnade fiel, war es die Aufgabe von Chen für Ordnung zu sorgen.
Wei Liu selbst war von ausgesuchter Liebenswürdigkeit, doch alles was er sagte, strahlte Autorität und Macht aus.
"Guten Morgen." - "Guten Morgen, Mr. Liu"
Schweigen.
Wei Liu klingelte nach Chen.
"Sie brauchen nicht nach Mr. Chen klingeln. Schicken Sie ihn wieder weg. Was ich Ihnen zu sagen habe, geht nur Sie etwas an."
Wei Liu dachte nicht daran, Chen weg zu schicken. Ein derartiger Einbruch in seine Privatsphäre war noch nie vorgekommen. Entweder war Chen ein Verräter oder er würde ihn aufspüren. Jedenfalls sollte Chen wissen, dass da etwas vollkommen Unerhörtes passiert war.
"Mr. Liu. Wenn wir Sie richtig eingeschätzt haben, wird Mr. Chen bald erscheinen. Sie werden ihn nicht wegschicken. Doch es ist in Ihrem eigenen Interesse, wenn er nicht hört, was ich Ihnen jetzt sagen werde. Ich werde Sie nämlich erpressen. Sie wissen, wie das geht. Und Sie werden nicht wollen, dass irgendjemand weiß, dass Sie erpressbar sind." In dem Moment trat Chen ein. Wei Liu winkte ihm ab. "Es hat sich erledigt. Vielen Dank, ich brauche Sie nicht mehr." Chen verschwand, ohne sich besonders zu wundern. Wei Liu pflegte manchmal solche Kontrollrufe zu tätigen, es gehörte zu seinem Sicherheitsritual.
Wei Liu war interessiert. Er konnte sich nicht vorstellen, dass jemand ihn erpressen könnte. Man hatte schon versucht ihm oder Mitarbeitern in seinem Imperium zu drohen. Das war aber bisher immer sehr schlecht für die Angreifer ausgegangen.
"Mr. Liu. Sie sind ein sehr effizienter Mann. Wir bewundern die Art, wie Sie ihre Leute im Griff haben. Wir wollen daher, dass Sie mit uns zusammenarbeiten." Wei Liu runzelte die Stirn. "Wer sind Sie? Was bedeutet zusammenarbeiten?" - "Nun, lassen Sie mich das kurz erläutern oder sollte ich sagen demonstrieren."
Der unbekannte Sprecher fuhr fort: "Sehen Sie, wir denken, dass sie Kyu Wang exekutieren lassen wollen, was angesichts seiner Loyalitätsvergehen durchaus angebracht ist. Sie haben aber noch keinen Befehl dazu gegeben. Wir werden diese Exekution für Sie durchführen, damit Sie sehen, dass wir keine leeren Aussagen machen. Wir beenden jetzt dieses Gespräch. In der nächsten halbe Stunde wird Mr. Chen zu Ihnen kommen und Ihnen vom Ableben von Kyu Wang berichten. Danach werde ich Sie wieder anrufen."
Die Verbindung wurde unterbrochen.
Wei Liu fühlte sich plötzlich unwohl. Obwohl er bequem in seinem Schreibtischsessel saß, fühlte er plötzlich so, als hätte er keinen Boden unter den Füßen. Er zwang sich zu ein paar Yoga-Atemübungen, als er durch einen Anruf von Chen unterbrochen wurde. "Ja, was gibt es?" -"Mr. Liu, Kyu Wang ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Sein Fahrer verlor die Kontrolle. Wang und alle Insassen des Fahrzeugs sind tot. Wer wird sein Nachfolger sein?" - Obwohl Wei Liu vorgewarnt war, hatte er Mühe, die übliche Ruhe zu bewahren. "Wir klären das morgen früh. Danke für die Mitteilung."
Kaum hatte er aufgelegt, läutete erneut das Telefon. Wei Liu zwang sich, es lange läuten zu lassen. Doch schließlich hob er ab.
"Nochmals guten Tag, Mr. Liu. Sie haben vermutlich nachgedacht, ob es sich um einen Zufall handeln könnte. Schließlich könnte sich der Unfall ja bereits vor unserem Telefonat zugetragen haben. Aber Sie sind wohl zur Überzeugung gelangt, dass wir uns nicht mit billigen Tricks abgeben würden.
Wir wissen, dass wir nicht unmittelbar an Sie herankommen können. Wir können Sie also nicht direkt bedrohen und das wollen wir auch gar nicht. Aber Sie wissen auch, dass wir über das Leben Ihrer Enkelkinder entscheiden können. Niemand weiß von ihrer Verbindung zu Ihnen. Sie wollen Sie geschützt und unbeeinträchtigt aufwachsen sehen."
Wei Liu begann seine Ruhe und Geduld zu verlieren: "Was wollen Sie denn von mir?"
"Wie Sie sich vorstellen können, Mr. Liu, wollen wir kein Geld. Wir wollen auch nicht, dass Sie etwas in Ihrem Leben ändern. Mit einer kleinen Ausnahme. Sie werden nur mehr Leute umbringen lassen, die wir Ihnen nennen werden. Es werden nicht zu viele sein. Und sie werden die armen Leute in Ruhe lassen. Sie werden das Glückspiel behalten und Teile der Prostitution, allerdings werden Sie den Mädchenhandel einstellen.
Sie werden nach wie vor die Polizei bestechen, doch das wird vermutlich gar nicht mehr notwendig sein. Es wird eine kleine Weile dauern, bis ein Gesetz zur Legalisierung der Prostitution in geschützten Häusern eingerichtet wird. Sie werden die Einnahmen davon für soziale Zwecke verwenden. Es bleibt Ihnen genug vom Glückspiel."
Wei Liu war fassungslos. Das klang so, als hätte er schlagartig jede Kontrolle verloren.
"Mr. Liu, noch etwas. Das klingt jetzt für Sie so, als hätten Sie keine Kontrolle mehr. Vielleicht würde der geänderte Führungsstil Verdacht bei Ihren Mitarbeitern erwecken und Sie könnten Macht verlieren. Das wird nicht passieren. Wir werden Sie mit Informationen ausstatten, die Ihnen erlauben, ganz gezielte Massnahmen anzuordnen. Ihre Mitarbeiter werden sich wundern, wieso Sie immer die richtigen Entscheidungen treffen."
Wei Liu schüttelte ungläubig den Kopf.
"Darf ich Ihnen noch einen kleinen Bonus nachreichen. Es werden sich Ihnen sämtliche andere Gruppen in China, Taiwan, Hongkong und Singapur unterordnen. Das wird nicht heute passieren, aber in einer Zeit, die Sie davon überzeugen wird, dass unsere Macht sehr weit reicht."
Schweigen.
"Mr. Liu, sind Sie einverstanden?"
Wei Liu antwortete müde: "Ich scheine keine andere Wahl zu haben. Dürfte ich wenigstens wissen, mit wem ich es zu tun habe?"
"Ich bedauere, das ist eine Information, die ich Ihnen vorenthalten muss. Ich kann Ihnen aber versichern, dass wir Ihnen nicht schaden werden. Und wir wünschen ausdrücklich, dass Sie mit niemandem darüber sprechen, dass Sie auf Anweisung handeln. Wenn wir Sie aber richtig einschätzen, würden Sie das selber nicht gerne zugeben wollen. Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Tag."
Wei Liu bezweifelte, dass er einen angenehmen Tag haben würde. Er bestellte sich einen Tee und dachte nach. Dann machte er sich an die Arbeit. Er musste seine gesamte Organisation neu ausrichten. Wen könnte er da zur Hilfe nehmen. Er verwunderte sich, dass er auf ein nächstes Telefonat wartete.
Er versuchte die Nummer zurück zu rufen. Eine freundliche Frauenstimme auf Band sagte: "Guten Tag Mr. Liu. Wir werden uns mit Ihnen in Verbindung setzen. Warten Sie jeden Tag um sechs Uhr auf unseren Anruf. Auf Wiederhören."
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abohn - 7. Mai, 09:56
Gut gewagt!
Ein sehr ansprechender Text! So etwas würde ich auch...
abohn - 25. Apr, 15:30
Eigentlich habe ich deinen...
Eigentlich habe ich deinen Sohn erkannt. Der ist ja...
lamamma - 27. Mär, 12:44
Überrascht
Ich bin wirkliich überrascht, dass gerade Du lamentierst....
lamamma - 26. Mär, 15:30
Wobei nähen sich ja viel...
Wobei nähen sich ja viel direkter geboten hätte.
Schwallhalla - 26. Feb, 10:30

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