18
Apr
2014

aus 2041 / 9

Ein Faden, der scheinbar beendet ist.

Für den Moment hatte Pete Wilson aufgeatmet. Das war gerade noch glimpflich abgegangen. Der Vorstand hatte ihm die Selbstzerstörungshypothese abgenommen. Allerdings war er vom Dienst suspendiert worde. Aus Gründen der Geheimhaltung durfte er sich nicht vom Gelände bewegen. Sein Zugang zu den Computersystemen war gesperrt. Eigentlich war es wie ein Gefängnis. Seine Arbeitskollegen mieden ihn. Natalia war freundlich zu ihm, hütete sich aber, sich einen zu nahen Kontakt nachsagen zu lassen. Das hätte ihre Karriere in gleicher Weise beeinträchtigt.
Es war eine ungeklärte Situation: Haft auf Lebenszeit mit all dem Komfort, der den Mitarbeitern geboten wurden.
Als Pete seine Lage nach ein paar Wochen bewusst wurde, fiel er in eine Depression. Was sollte er mit seinem Leben anfangen? Er musste eine Möglichkeit finden, sich innerhalb der beschränkten Möglichkeiten nützlich machen. Er hatte noch einen Laptop, der allerdings keinen Netzwerkanschluss zu Orten außerhalb der UNA hatte. Die interessanten Inhalte des UNA-Netzes waren ebenfalls gesperrt. Er konnte das Menü der Kantine abrufen und Unterhaltungsfilme. Aus Langeweile begann er, den Fortgang seiner Forschungstätigkeit nieder zu schreiben, soweit er es sich aus dem Gedächtnis zusammen reimen könnte. Dabei stellte er fest, wie sehr er vom Computer abhängig war. Er sprach zwar immer vom Rechner, doch jetzt hatte sich bei ihm eine Veränderung der Sichtweise eingestellt.
Er erinnerte sich, was Natalia zu ihm gesagt hatte. Möglicherweise kann ein ziemlich kleines Kernprogramm aus den Prämissen, die er dem Programm gegeben hatte, einen neuen großen Programmkomplex errichten. Er versuchte, auf seinem kleinen Laptop seine ursprüngliche Forschung nachzustellen. Das heisst, was das Programm anging, dass Unzerstörbarkeit bewerkstelligen sollte.
Nach mehreren Wochen entdeckte er, dass sich die ursprünglichen Prämissen beziehungsweise Prädikate verändert hatten. Wenn er das Programm startete, waren die Ausgangsdaten nicht mehr dieselben, die er zu Beginn eingegeben hatte. Es waren weniger geworden und sie schienen etwas genauer geworden zu sein. Er entdeckte etwas anderes, was ihn noch mehr erschreckte. Eine der vom Programm neu errechneten Vorgaben hieß in etwa: eine Aufgabe besteht darin, sich unentdeckbar zu machen. Eine weitere Vorgabe betraf die Selbstreplikation. Pete versuchte ein bisschen im Code zu lesen und machte eine weitere Entdeckung. Das Programm hatte ein Unterprogramm generiert, welches ganz im Sinne eines Virus aufgebaut war. Die Zielsetzung des Virus war, weitere gleichartige Viren zu erzeugen, wobei jeder Virus eine Adresse als Datenwert aufbaute. Pete konnte sich nicht vorstellen, dass aus einem Programm, dass rein auf Deklarationen aufbaute, ein funktioneller Code entstehen konnte, der für sich allein lauffähig war.
Seine Situation war unerträglich. Eingesperrt in einem silbernen Käfig hatte er die Entdeckung gemacht, dass er vermutlich einen Virus erschaffen hatte, der aus dem Umkreis der UNA "entkommen" war. Er besaß keine Kraft mehr, mit dieser Information weiter zu leben. Er dachte über Selbstmord nach. Doch dann beschloss er die Flucht nach vorne. Er würde dem Vorstand reinen Wein einschenken müssen. Es hatte wohl keine Selbstzerstörung gegeben.
Es war nicht einfach für ihn einen Termin zu bekommen. Er war zur Unperson geworden. Doch angesichts seiner früheren Leistungen räumte im Mr. Smith, einer aus dem Vorstand, einen Gesprächstermin ein.
Er schüttete sein Herz aus: "Es war höchstwahrscheinlich keine Selbstzerstörung." Er erzählte, dass er mit den beschränkten Mitteln seines Laptops einen ziemlich leistungsfähigen Virus erzeugt hatte, ohne das im Geringsten beabsichtigt zu haben. "Eigentlich wollte ich nur eine Parallele zum Internet schaffen, ein Programm, welches unzerstörbar ist. Und wie es aussieht, ist eine Strategie des Programmes, sich unsichtbar zu machen."
Der Gesichtsausdruck von Mr. Smith, der zuerst eine geduldige Zuhörermiene aufgesetzt hatte, veränderte sich zu einer steinernen Maske. "Ist Ihnen bewusst, was das bedeuten kann? Was für Zielsetzungen haben sie dem Programm sonst noch gegeben?" - "Keine." beeilte sich Pete zu antworten. "Es ging mir lediglich um das Prinzip der Unverletzlichkeit."
"Das Militär wird sich sicher dafür interessieren. Sie haben eine grenzenlose Kompetenzüberschreitung begangen." Pete nickte kläglich. "Allerdings ehrt es Sie, uns davon informiert zu haben. Ich werde mit meinen Kollegen sprechen und beratschlagen, wie wir weiter vorgehen werden."
Nach drei Wochen wurde Pete erneut vor den Vorstand zitiert. "Wir haben gehört, was Sie Mr. Smith erzählt haben. Wir schätzen die Situation als ernst aber nicht bedrohlich an. Inzwischen hätten wir es erfahren, wenn Ihr 290140 böse Auswirkungen hätte. Möglicherweise hat es sich selbst 'zur Ruhe begeben'."
Pete nickte.
"Sie sind der Einzige außer uns, der von 290140 und seinen Möglichkeiten weiß. Wir haben daher beschlossen, ein gewisses Risiko einzugehen und Ihre Ausgangsbeschränkung aufzuheben. Sie werden einen Job in New York bei einer Bank annehmen - es ist alles vorbereitet. Sie werden dort nicht viel zu tun haben. Sie können nachforschen, ob Sie 290140 ausfindig machen können. Wir sind überzeugt, dass es noch vorhanden ist. Sie werden uns monatlich berichten. Keine Unterredungen mit Ihren alten Kollegen hier bei der UNA. Sollten Sie sich etwas zu Schulden kommen lassen, werden wir Sie vor ein Gericht stellen.
Sollten Sie von der Notwendigkeit überzeugt sein, in ein anderes Land zu reisen, muss eine Ausreise von uns vorher genehmigt worden sein.
Aufgrund Ihres Geständnisses an Mr. Smith sind wir zu der Auffassung gelangt, dass Sie selbst Schuldgefühle haben. Daher halten wir das Risiko, Sie mit der Außenwelt in Kontakt treten zu lassen, für akzeptabel. Sind Sie einverstanden?"
Er war einverstanden, immerhin bekam er auf diese Weise seine Freiheit zurück. Er war sehr interessiert bei der Aufklärung zu helfen. Der Kontakt mit den Unaten war sowieso bereits fast bei null, daher bedeutete die diesbezügliche Regelung keine Einschränkung für ihn.
"Wir raten Ihnen, sich eine Frau zu suchen und ein möglichst unverdächtiges Privatleben aufzubauen. Wir erwarten nicht, dass Sie bei den Untersuchungen sofort fündig werden. Wir erwarten, dass es Jahre dauern wird, bis wir Klarheit erlangen."
Pete wartete, ob da noch etwas käme.
"Sie haben eine Stunde Zeit zum Packen. Ihren Laptop können Sie mitnehmen. Anschließend wird Sie ein Taxi in die Stadt führen. Im Kuvert finden Sie Ihre Wohnadresse und die Adresse Ihres zukünftigen Arbeitgebers. Der Direktor der Bank und ein weiterer Mitarbeiter, den sie nicht kennen werden, sind eingeweiht und werden Ihnen bei Anfangsschwierigkeiten helfen. Guten Tag."
"Vielen Dank, vielen Dank. Auf Wiedersehen, vielen Dank!" er beeilte sich, aus dem Zimmer zu kommen.
Im Zimmer schauten sich die Mitglieder des Vorstandes ernst an. "Wird er uns schaden können?" Mr. Smith antwortete: "Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass es das letzte ist, was er möchte. Doch 290140 kann uns schaden. Ich weiß nicht wie, doch der Gedanke, dass es ein freilaufendes Programm gibt, von dem wir nicht wissen, wofür es da ist und was es tut, ist beängstigend. Und wenn ich sage 'beängstigend', ist das eine Untertreibung. Ich habe eine Heidenangst."
"Wir werden es erfahren, auf die eine oder andere Weise." bemerkte Mr. Robertson. "Was haben wir als nächstes auf der Agenda?"
Niemand aus der Gruppe des Vorstands erfuhr, was los war. Zu einem Zeitpunkt, an dem man Auswirkungen des Programmes hätte erkennen können, war der Vorgang um 290140 aus dem Gedächtnis entschwunden, nachdem es zehn Jahre lang zu keinem Ergebnis gekommen war. Pete hatte regelmäßig Berichte geliefert, die alle vom Ergebnis her negativ waren. Nachdem er sieben Jahre lang berichtet hatte, bekam er ein Schreiben, dass seine Berichte nicht mehr erforderlich waren. Gleichzeitig erteilte man ihm eine Ausreiseerlaubnis. Die nutzte er, um mit seiner Frau, die er vor vier Jahren geheiratet hatte, eine Europareise zu unternehmen. Bei dieser Reise saßen sie in dem Flugzeug von Rom nach London, welches kurz vor London abgestürzt war. Keine Überlebenden. Eine Splittergruppe der Al Kaida hatte die Verantwortung übernommen.
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abohn - 7. Mai, 09:56
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abohn - 25. Apr, 15:30
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lamamma - 27. Mär, 12:44
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lamamma - 26. Mär, 15:30
Wobei nähen sich ja viel...
Wobei nähen sich ja viel direkter geboten hätte.
Schwallhalla - 26. Feb, 10:30

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