20
Apr
2012

Musik

Vor einigen Wochen hatten wir schon geplant, uns die "neue" Einspielung des Boris Godunov in der Wiener Staatsoper anzusehen. (Hoffentlich klappt das noch mit den Karten, denn ich kann erst montags mich darum kümmern.) Als ich heute etwas früher als gewohnt nach Hause komme, sitzt Frau Columbo in der Küche und liest - und hört Musik. Ich meine, die Musik zu erkennen und frage, ob sie weiß, was sie hört. "Boris, glaube ich" sagt sie. Ja, es ist der Boris, allerdings in einer ungewohnten Form. Die Ur-, ur-, ur-Fassung, wirklich die erste, wo es noch nicht einmal eine Marina gibt.
Während ich das schreibe, geht die Oper gerade zu Ende, das Publikum jubelt. Viel kürzer als gewohnt.
Ich mag diese Fassung. Leider konnte ich nur zuhören, meinen Klavierauszug habe ich nicht gefunden. Aber die Musik ist in dieser Fassung noch überzeugender.

Weil ich mich wunderte, dass ich keine Marina gehört hatte, schlug ich in Wikipedia nach und fand folgendes Zitat:

„Nächst Richard Wagners Tristan und Isolde hat kaum ein anders Werk so zukunftweisend und anregend auf die Entwicklung der Oper gewirkt wie Boris Godunow. Mussorgskij ist eine ebenso elementare musikalische wie dramatische Begabung. Im Grunde wurzelt er in der russischen Volksweise mit ihren mannigfachen Beziehungen zur asiatischen Musik und deren Harmonik. Aber das Geheimnis seiner Tonsprache und ihrer faszinierenden Wirkung wird damit noch nicht völlig erklärt. Es kommt etwas Eigenstes hinzu, das sich rein verstandesmäßiger Deutung entzieht. Staunenswert ist die Spannweite dieser Musik, die von der naiven Kinderweise bis zu wildester Leidenschaft, vom derbsten Humor bis zu keuschester Verinnerlichung, vom Dämonischen bis zu himmlischer Verklärung reicht und für alles den natürlichsten, treffendsten Ausdruck findet“ (Wilhelm Zentner in: Reclams Opernführer. 32. Aufl. 1988, S. 333)

Ich kannte diese Beschreibung nicht und kann sie auch nicht genau nachvollzienen. Aber es reicht mir, dass durch das Anhören des Boris eine ganz wesentliche Lebensentscheidung beeinflusst wurde. Ich spreche nicht vom heutigen Zuhören sondern von dem Zuhören, dass ich als Kind erlebte, als mein Vater den Boris studierte und unzählige Male abspielte. Ich mochte die Musik und ich mochte den Klang der Sprache.
Zwanzig Jahre später nahm ich ein Stellenangebot an, dass mich als Exportmanager nach Russland führen sollte. Damals wurde die Bereitschaft, beruflich in der Sovjetunion zu tun zu haben, noch mit einem Gehaltsplus von ungefähr 1000 € belohnt, was mich sehr reizte. Aber noch mehr reizte mich die Möglichkeit, die Sprache im Original, in High Fidelity, hören zu können. Ich war von dem Satz: "Achtung, die Türen schließen sich. Nächste Station [z.B.] Prospekt Mira" so begeistert, dass ich ihn jederzeit im Schlaf aufsagen könnte. Ich habe dann ja auch Russisch gelernt und manchmal sogar im Traum russisch geträumt.
Aber der Boris war letzlich der Auslöser gewesen.
-
Jetzt momentan wird die verbleibende Zeit noch mit einer orchestrierten Fassung der "Bilder einer Ausstellung" aufgefüllt. Sehr schön. Ist aber nicht mein Ding. Und einige, die bei meiner Geburtstagsfeier dabei waren, können vielleicht bezeugen, dass die originale Klavierfassung eines Moussorgski besser ist, selbst wenn sie nur von einem Dilletanten geklimpert wird.
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Wobei nähen sich ja viel...
Wobei nähen sich ja viel direkter geboten hätte.
Schwallhalla - 26. Feb, 10:30

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