27
Nov
2010

3. Fortsetzung 1784

Was zuvor geschah

Seite 7,8,9 von 33


Wenn Seferle während des kurzen Sommers, der sich in aller Pracht entfaltete, täglich auf ihrer Weide sass, nahte sich alsbald ein würdiger alter Geistlicher, Herr Pritz, der Kaplan des Dorfes, mit einem Gebethbuche in der linken, einer Peitsche in der rechten Hand, der, nachdem er die Messe gelesen, seine einzige Kuh auf die Weide führte. Er stellte sich dann gewöhnlich an den Zahn, der beide Plätze trennte, und sagte zur Kleinen mit salbungsvoller Stimme: „Alle’t beathe, all’t beathe, Sputele! (Alle Zeit bethen, Kind), es kimmt a lange, lange Ewigkeit!“ Dann öffnete er sein Buch und vertiefte sich in seine Lektüre, das Kind staunte ihn von der Seite an, und bethete wie ihr geheissen wurde; die Kühe schlossen halb die Augen, und besorgten ihre Wiederkäuungs-Geschäfte.
Die geneigten Leser werden sich noch des Fremden erinnern, der die Kunst des Spinnens in die dortigen Gegenden pflanzte, und sich nach Erreichung seines edlen Zweckes in andere begab, um sein schönes Wert der Barmherzigkeit auf die uneigennützigste Art im wahren christlichen Sinne fortzusetzen. Bald nahm nun ein unternehmender Mann diesen Geschäftszweig in grösserem Masstabe auf, liess in Weiler und in der Umgebung die Weiber den Winter hindurch fleissig spinnjen, und errichtete eine kleine Niederlage in einer Kammer des Schusterhauses, zufällig gerade neben der, in welcher das Kind jener Frau schlief, die den Impuls dazu gegeben! Hier war oft des Sommers hindurch ein grosser Vorrath aufgespeichert, den Herr Rädler, so hiess der Industrielle, bis auf Winterszeit fast gänzlich ausverkaufte, um dann wieder frische Wolle spinnen zu lassen, und sich auf diese Art ein immer beträchtlicheres Vermögen zu sammeln. Noch sind seine Nachkommen die Träger mehrer reellen und grossartigen Spinnerei-Firmen in Oesterreich.
IV.

Um ein Jahr älter, um keinen ganzen Zoll grösser, diente unser Sputele bei Murer Hans, dessen Häuschen auf einem Hügel des Nazaberges stand. Die Familie bestand aus Mann und Weib, ruhige, alte, ernste Leute, deren Thun und Lassen sich seit dem Tode ihres Sohnes Hansjörgele immer im selben Geleise fortbewegte, bis ein Ereigniss geheimnissvoller und romantischer Art die Ruhe der Wirtschaft auf kurze Zeit störte.
Die Leute erhielten einen Brief von unbekannter Hand, und da ein solcher etwas Unerhörtes war, trugen sie lange Bedenken, ihn zu erbrechen. Endlich that sich der Mann Gewalt an, das Siegel war gelöset, und - niegesehene Hierogliphen starrten die Verwunderten an. Nach einer verlegenen Pause fiel dem Weibe ein: „Kuhsputeles Mutter kann lesen!“ Kuhsputeles Mutter war flugs herbeigeholt, und entzifferte bald das kurze Schreiben.
Darinnen stand, dass sich kommende Nacht, Schlag 12 Uhr, die beiden Alten auf dem Kreuzwege im Wald bei Scheidegg einfinden sollten, um aus der Hand einer verschleierten, in einer Kutsche sitzenden Dame ein lebendes Kind zu empfangen. Hiebei sollten sie sich jedes Fragens oder Sprechens entschlagen.
Da noch dabei bemerkt war, es solle nicht ihr Schade sein, sich pünktlich einzustellen, entschlossen sich nach langem Zaudern die Bauersleute, dieser Weisung Folge zu leisten.
Sie machten sich auch, als die Glocke elf schlug, auf den Weg; mit Zittern und Bangen sah das auf dem Dachstübchen in dem einsamen Häuschen ganz allein gelassene Kind die alten Leute sich in der Richtung gegen den nahen Wald entfernen. Hell schien der Mond, lange konnte Seferle die beiden Gestalten mit den Augen verfolgen, bis sie zwischen den hohen Bäumen verschwanden.
Nach Verlauf von drei Stunden kamen die beiden Alten mit dem schreienden Beweis, dass der Brief wahr gesprochen, nebst einem Bündel feiner Wäsche zu Hause, dabei fand sich nebst einem Zettel, laut welchem das drei Monat alte Kind noch nicht getauft war, ein ansehnlicher Geldbetrag, der Pfarrer wurde in die Mitwissenschaft gezogen, das Kindlein Fundus getauft, und nun hatte Seferle die Aufsicht über ein zweites Wesen zu übernehmen.
Es war ein wunderschönes Kind, dessen Züge von edler Abkunft zeigten. Später wurde es, vielleicht schon an mildere Sorge oder an milderes Klima gewühnt, kränklich, und starb nach langem Leiden, ohne dass sich irgend wer jemals mehr darum bekümmert hätte.
In einer finsteren Nacht wurde plötzlich das ärmliche Dachzimmer, worin Seferle von schönen Dingen träumte, durch hellen Schein erleuchtet; diese sprang erscheckt mit beiden Füsschen zugleich aus ihrem Bette.
Da vereinte sich das Läuten der Sturmglocke mit anderm verworrenen Lärm, kein Zweifel, es brantte im Dorfe! Seferle eit an’s Fenster, und siehe, einie 1000 Schritte vom Hause stand die Mühle zu Rothach in hellen Flammen.
Sie neigte sich so tief als möglich aus dem Fenster und rief mit zarter Stimme, um die Leute nicht zu sehr zu erschrecken, hinab: „Hans Jörgerle, Hans Jörgerle! In der Mühle z’Rothach brinnt’s!“ Bald hörte sie unten murmelnde Stimmen, die Alten standen auf, zogen sich an, und wieder sah Seferle die Leute bei Nacht aus dem Hause gehen, die beiden Kinder sich allein überlassend. Doch hatte das fremde Schauspiel etwas Anziehendes für Seferle, das sie von der eigenen, gefahrvollen Lage abwandte. Bald krachte das obere Stockwerk der Mühle und stürzte mit fürchterlichem Getöse zusammen. Sprang eine Gans oder ein Schwein, vom Feuer angezogen, in dasselbe hinein, da prasselte es frisch und lustig von neuem empor, die Brunst verzehrte das ganzeGebäude bis auf den Grund nebst allen Vieh, aller Einrichtung, das im Keller verwahrte Silber lag des anderen Morgens in wenig geschmolzenen Klumpen herum.
Gleich bei Beginn des Feuers bemerkte Seferle einen Mann beim Hause vorbei der Mühle zu fliegen, die Hände schlug er oftmals über den Kopf zusammen, und jammerte: Jesus Maria, Jesus Maria.
Es war der reiche Müller selbst, der einige Stunden vorher im Wirthshause äusserte: „Wenn mir heute Haus und Hof verbrinnt, bin ich doch noch reicher als Ihr Wilhoimer All‘!“
Als aber darauf die Wirthin mit den Worten in’s Gastzimmer trat: „He Müller, in Deiner Gegend brinnts, „ entgegnete der Prahlhans: „Es wird wohl so a Beattler Hütte sein, mein Alewise (Alis) hat mir schon oft versprochen, alle anzünden z’wollen.“ Es standen nämlich um seine Mühle fünf oder sechs arme Keuschen.
Als aber dann die Kunde kam, diese selbst brenne, da stand der zum Tode erschrockenen Mann auf, und schlich ohne ein Wort mehr zu verlieren zur Thüre hinaus. Draussen jedoch eilte er seinem bedrohten Eigenthum mit schnelleren Schritten zu, und stürzte beim Anblick der rauchenden Trümmer überwätigt zusammen.
Vieles hätte gerettet werden können, viel hätte dem Brande Einhalt gethan werden können, aber der Müller war theils seines Reichthums, theils seiner Prahlsucht wegen verhasst, und so umstanden die Weilheimer plaudern die brennende Stätte, und zündeten lachend ihre Pfeifen mit den glühenden Kohlen an, ohne eine Hand zum Retten zu heben.
Des andern Morgens war der Müller ein Bettler.
Der Brand war in Folge der Unvorsichtigkeit eben desselben Alwise ausgebrochen, der so frech sich brüstete, andern eine Grube graben zu wollen. In der Hütte nebenan wohnte nämlich eine arme Familie, deren Oberhaupt diesen Abend betrunken nach Hause kam, und aus Gewohnheit seine Ehehälfte arg durchprügelte. Alewise hatte gerade im Stalle die Pferde gefüttert, als das Geschrei des Weibes herübertönte. Er hing die Laterne an einen Nagel, und schlich sich zum Nachbarfenster, und sah eine Zeitlang dem Kosen der Eheleute zu. Mittlerweile war die Kerze herabgebrannt, fiel auf’s Stroh und im Nu stand der Stall in hellen Flammen, nicht ein Pferd konnte mehr gerettet werden.
Wir leissen unser armes Sputele allein.
Bald nach dem Fortgehen des Maurers und seines Weibes, hörte es unter an der Thür heftig rütteln, als ob Jemand diese mit Gewalt öffnen wollte, da kletterte Seferle in fürchterlicher Angst, da sie der Finsterniss wegen unten nichts unterscheiden konnte, auf das Fensterchen, fest Willens, bei einem Eindringen eines Räubers in ihre nur durch das Strumpfbändle zugehaltene Behausung auf den Klafter tief unten liegenden Düngerhaufen hinabzuspringen. Nach einigen peinlichen Minuten hörte sie mit erleichtertem Herzen deutlich den Störenfried sich entfernen.
Erst des andern Tages klärte sich der Vorfall auf, das Weib kehrte auf halben Wege um, um etwas Vergessenes zu holen, konnte aber nicht hinein, da der Mann die Schalle abgezogen und zu sich gesteckt hatte, versuchte sich aber dennoch durch vielles Rütteln an der Thüre Eingang zu verschaffen, was ihr jedoch, wie wir gesehen haben, nicht gelang, und was vielleicht ein Menschenleben gekostet hätte. –

V.
Zwei Sommer diente Seferle bei Maurer Hans Jörgerle, das nächste Jahr beim Küfer.
Hier war es schon etwas schwieriger. Der Küfer war ein vermöglicher Bauer, dessen Kuhsputele 6 Stück Vieh unter Aufsicht halten musste.
Er war ein kleiner heiterer Mann, sein Weib eine grosse ernste Frau, von unheimlichem Benehmen.
Eines Morgens sagte Sirene, die Tochter zu Seferle: „Treib heute die Kühe auf die Weide am Littebiehl.“
„Am Nazaberg!“ entgegnete hastig die Mutter, „nein, am Littebiehl, „wiederholte die Tochter, und „am Nazaberg“ wollte die Alte.
So stritten die beiden Frauen, und Sputele wusste nicht, wem folgen.
Plötzlich stiess die Mutter einen gellenden Schrei aus, der Schaum trat ihr auf die blutigen Lippen, mit entsetzlichen Geberden wand sie sich auf der Erde.
Das Kind floh erschreckt aus der Stube, und trieb die Kühe auf neutralen Boden, als es Abends mit seinen gehörnten Unterthanen nach Hause kam, war Alles wieder in seinem gewohnten Gange, nur sah die Frau noch bleicher, noch ernster aus. Öftere Male wiederholte sich dieser grässliche Zustand, ein qualvoller Anblick für das gunge Geschöpf.
Die Mutter wohnte jetzt in einer Hütte des Thales, die Hafnerhütte genannt. Zu beiden Seiten des Thales erhoben sich die Berge, auf denen sich die Weiden ihrer jüngsten Kinder Seferle und Wilibald befanden.
Alle Samstage erhielten beide Kinder von ihren betreffend Herren Butterbrot. Da liefen die braven Kleinen auf ihre Weiden, von wo sie einander sehen konnten und die frischen Stimmer johlten: „Jopahleh! Hast schon z’Morge ‚gesse?“ Zurück kam die Antwort: „Jopahleh! Grad hab i’s g’schmalz’ne Brödle kriegt!“ Worauf hinüber telegrafirt wurde: „Jopaleh! D’vorig Woch hast Du’s gschmalzne Brödle dem Muatterle bracht, heut‘ bring‘ ich’s!“ „Jopahleh,“ tönte es von drüben als Einwilligung, und etgegen flogen sich die Geschwister, das eine Kind, an dem heute die Reihe war, nahm des andern Butterbrot, klebte beide zusammen, und lief, was die Füsschen konnten, den Berg hinab zur theuern Mutter. Die nahm eine Schale, kratzte mit einem Messer die Butter ab, mit welcher sie sich die ganze kommende Woche die Wassersuppe fett machte, gab das Brot dem Kinde zurück, und nach einem herzlichen Abschied lief dasselbe wieder dem Dienstorte zu. Auf dem Wege dahin verzehrte es mit wahrer Wollust das noch immer fette Brötchen.
Gottes reichster Segen überschütte Euch, theure Kinder, dachte die gerührte Mutter, dem Kinde so lange nachsehend, bis es verschwunden war, dann blickte sie stolz und dankbar gegen Himmel.

Fortsetzung
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Nachtgezwitscher - 29. Nov, 06:01

Danke für die Abschrift, und ein paar ermutigende Worte zum Weitermachen! Ich hatte mir mal vorgenommen, die Geschichte meines Großvaters aufzuschreiben. Wenn es so weit ist, sage ich Ihnen Bescheid.

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abohn - 7. Mai, 09:56
Gut gewagt!
Ein sehr ansprechender Text! So etwas würde ich auch...
abohn - 25. Apr, 15:30
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lamamma - 27. Mär, 12:44
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Wobei nähen sich ja viel...
Wobei nähen sich ja viel direkter geboten hätte.
Schwallhalla - 26. Feb, 10:30

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