25
Nov
2010

2. Fortsetzung 1784

Was zuvor geschah

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Anhängig wurde auch dieser Prozess gemacht, fortgeführt durch lange Jahre, aber ausgefochten haben ihn – die Franzosen, wie wir später sehen werden. Nun kam noch der fatale Umstand hinzu, dass der reiche Richter vielen Häuslern Geld geliehen, daher Niemand den, dem Herrn Feuerle verhassten Leuten Obdacht geben wollte, um nicht das Kapital gekündigt zu sehen; diese rafften demnach ihr Letztes zusammen, kauften (natürlich mit Schulden) eine kleine Hütte ausser dem Dorfe, und lebten hier kümmerlich. Dabei ware sie so herabgekommen, dass auf einen Erwerb gedacht werden musste.
Schon während ihres Wirthsbetriebes kam einmal ein Reisender mit Nahmen Leutnant in die Krone, nachdem er die Wirthin um Verschiedenes befragte und erfuhr, dass die im Durchschnitte sehr arme Bevölkerung fast ohne andere Erwerbsquellen und Beschäftigung sei, als die Bearbeitung des Feldes, liess er einen Dreher (Drechsler) kommen, zeichnete mit Kreide auf den Tisch ein Spinnrad sammt Bestandtheilen, und lehrte dann von dem ganz gut verfertigten Rocken dem jungen, unternehmendem Weibe das Spinnen, worin sie es bald zur Meisterschaft bracht, und diese Kunst auch den übrigen Weibern beibringen konnte.
Der Fremde kam dann oft in’s Ort, brachte Wolle mit, welche er an die Frauen vertheilte, die es ihm gesponnen zurückerstatten mussten, wofür er ihnen annehmbaren Spinnerlohn bezahlte.
Auf diese humane Art brachte Leutnant diesen Industriezweig in jene Gegenden, wodurch die Weiber und kleinsten Kinder im Stande waren, sich den Winter über angenehmen und leichten Verdienst zu verschaffen.
Ein Glück nun war es für das arme herabgekommene Weib, sich und ihre Kinder durch’s fleissige Drehen des Spinnrädchens, wohl kümmerlich ernähren zu können, während der Mann seine Reisen nach Wien auf fremden Schiffen fortsetzte, wobei er durch die anstrengende Handhabung des Steuers seinen Unterhalt erlangte.
In dieser Hütte nun lebten sie mehrere Jahre und bekamen sechs Kinder, die kam fünf Jahre alt, des Sommers Kühe auf fremden Weiden hüthen, des Winters aber neben schwachem Schulbesuche fleissig spinnen mussten. Die Kleinen erhielten in der Taufe dort übliche Namen: Amandus, Crescenzia, Machares, Hieronimus, Judith, Barbara, Willibald bis auf das zuletzt geborne Mädchen Josefa, der eigentlichen Heldin unserer Geschichte, der wir ein neues Kapitel widmen wollen.

II.

S E F E R L E

Unter Donner und Blitz, unter den ungünstigsten Aussichten erblickte Seferle das Licht dieser Welt, und erhielt nebst der wenig nährenden Brust der Muter den unabweisbaren Zulp, den jedoch die Philosophie der letzteren nicht etwas mit Kandis oder Marzipan, sondern einfach mit Kartoffeln füllte, der aber nichts desto weniger dazu beitrug, den kleinen Schreihals zum Schweigen zu bringen. In erster dunkler Erinnerung des Kindes schwebt die Abreise der beiden ältesten Brüder Amandus und Hieronimus, die ihrer Militärpflicht Genüge leisten mussten. Der Vater begleitete beide nach Wien. Sie neigten sich zu gleicher Zeit über das armselige Bettchen ihres Schwesterchens, und zwei heisse Thränen fielen zu gleicher Zeit auf beide Wangen des Mädchens.
Hieronimus fand bald in Belgrad im Spital seinen Tod, während Amandus nach dreizehnjähriger Dienstzeit, mit der silbernen und goldenen Tapferkeits-Medaille geschmückt, in der Schlacht bei Genua, in welcher er als Offizier freiwillig statt eines Kameraden ging, von einer Kanonenkugel mitten entzwei gerissen wurde.
Die zweite Erinnerung des Kindes umfasst die Erscheinung zweier Herren des Gerichtes, die die Pfändung der Hütte vorzunehmen hatten, da Stasel die Interessen für das ihr zu deren Ankauf vorgestreckte Kapital nicht aufzutreiben vermochte. „Jetzt ist’s Ernst, Stasel, „ meinten die Organe des Gerichtes, und unter bittern Thränen nahm diese Abschied von ihrem liebgewordenem Häuschen. Erstaunt erblickte Seferle, das sich zur Schürze der Mutter geflüchtet hatte, dem Treiben der beiden Männer zu, und fühlte die Zähren der Mutter tropfenweise auf den Scheitel fallen.
Gegen Abend wandert nun die von ihrem Herde gestossene Familie weiter, und findet bei einer mitleidigen Frau in einem Schoppen Unterstand. Nachts jedoch kommt halbbetrunken der Herr des Hauses, ein Hauptschuldner des inzwischen durch Stasels Umtriebe abgesetzten Richters, und tobt fürchterlich, als er von der neuen Einquartirung hört.
Vergebens war das Flehen der Armen, noch in der Nacht musste Stasel mit ihren Kindern den Wanderstab ergreifen und planlos weiter ziehen.
Wie bitter musste ein solches Leben der einstmal so angesehenen Brauerstochter erscheinen, wie viele Thränen kostete ihr in mütterlicher Selbstvergessenheit das Schicksal ihrer geliebten Kinder, das sie sich vielleicht früher glänzend ausgemalt haben mochte.
Nach langem Herumirren gelang es endlich des andern Tages der Armen, eine Wohnung in Premaried, eine halbe Stunde von Weiler entfernt, zu finden.
Sie bestand aus einem Dachstübchen; zu ebener Erde wohnten die Hausleute, und hier unten stand der grosse Ofen; ober diesem war ein Schieber angebracht, durch den die Wärme im Winter in die obern Regionen dringen sollte, die Leute unten liessen jedoch beständig den Schieber zu, und so verbrachte die arme Familie vor Hunger, Frost und Entkräftung einen förmlichen Winterschlaf, das Spinnen wollte mit den starren Fingern nicht recht vor sich gehen, bis das dort späte Frühjahr mit seinen erwärmenden Strahlen ersehnte Erlösung brachte. Die Kinder mussten sich jetzt bei Bauern verdingen und Vieh auf die Weiden treiben, die Mutter machte mit ihrme Gespunste kleine Reisen in die Umgegend, und hatte wenigstens nur für sich allein zu sorgen.
Auch unser winziges, kaum etwas über vier Jahre altes Sputele, musste die Aufsicht über eine fremde Kuh übernehmen, und sonderbar genug nahm sich die kleine Gebietherin aus, wenn sie mit ihrem Peitschchen das grosse Thier abzuhalten bemüht war, über den Zaun zu springen, um sich mit einer Nachbarin zu unterhalten.

III.

Das erste Jahr diente Seferle bei einem Schuhmacher, der sich in seinen Mussestunden mit Fangen der Mäuse beschäftifgte, daher ihm die Gewohnheit des Ortes mit dem Spitznahmen „Muser“ beehrte. Seinen eigentlichen Nahmen hörte man nie aussprechen.
Bei dieser Gelegenheit sei erlaubt, einer sonderbaren Art von Umschreibungen der Nahmen zu erwähnen, mit der sich die Leute bezeichneten. So wurde z.B. eine Frau Nahmens Barbara allgemein „Bärbele’s Man Wib,“ (Das Weib von Bärbels Mann) genannt, Murer’s Hans Hansjörgele war der Sohn eines Maurers, der seinen Familiennahmen vielleicht selbst nicht wusste.
Bease Josef wurde so genannt, weil er vom Besenbinden lebte. Dieser ein blödsinniger Bursche, wohnte eine Stunde ausser dem Dorfe. Einst war der Vater schwer krank, Josef lud ihn auf den Schlitten um ihn in die Kirche zu Weiler mit den Sterbesakramente versehen zu lassen; als er jedoch zur Pforte kam, bemerkte er zu seinem Schrecken, dass er den Vater verloren hatte; er kehrte sogleich zurück, und fand den armen alten Mann eine Strecke weit halbtodt im Schnee liegen; leider erzählt die Chronik nicht ,ob er dabei zu Grunde ging oder ob nicht etwa diese unfreiwillige Kaltkur eine Reaction in seiner Krankheit herbeigeführt habe.
I ndem Hause, in welchem der Böde seinen luftigen Wohnsitz auf hohen Dachfirste aufgeschlagen, diente Judith, die älteste Schwester Seferle’s, und wurde von den Mitbewohnern scherzweise stets das Bräutle Bease Josefles genannt, in welchem Scherz sie auch wacker einstimmte, den aber der Arme in seiner unglücklichen Einfalt für bare Münze nahm. Eines Sonntags jedoch kam dieser aufgeregt und verstört aus der Vesper nach Hause, warf ingrimmig Jacke und Hut auf den Tisch, und setzte sich schmollend in den entferntesten Winkel des Zimmers. Befragt von den Anwesen über sein sonderbares Benehmen, lalllte er mit stotternder Zunge: „Ju – Ju – Judithle, mit uns Zwei ist’s nichts!“ „Ja warum das?“ frugen ihn alle mit verstelltem Staunen und verbissenem Lachen, Judith mit scheinbarer Traurigkeit. „Ich ging heute hinter Dir aus der Kirche,“ erklärte nun Josef, „und sah Dich über einen groossen Hufnagel steigen, ohne dass Du ihn aufhobst, das gibt keine gute Wirtschaftlerin!“
Ein Glück, dass er nach diesen Worten das Zimmer verliess, denn das Gelächter brach nun los, und Judith hatte noch lange Zeit Witze und Sticheleien zu ertragen. Bease Josef aber lachte nie wieder.
Wenden wir uns wieder unserer Geschichte zu.


Fortsetzung
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ConAlma - 25. Nov, 23:12

Die spinnen, die Vorarlberger! - und daraus wurde ein blühender Wirtschaftszweig, der erst seit nicht allzu langer Zeit darbt.

steppenhund - 26. Nov, 00:23

Schon lustig, wie die Dinge zusammenhängen.
Mittlerweile glaube ich ja, dass das zwei verschiedene Swoboda-Linien bei meinen Vorfahren sind, die nichts miteinander zu tun haben.
Vorarlberg und Böhmen, doch wir werden sehen. Mit der Malerin geht es sich nicht aus, die ist ers 3-4 Generationen später...
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Meine Kommentare

wenn Sie der Lehrer meiner...
würde ich mich wundern, dass Sie nicht auf meinen Kommentar...
abohn - 7. Mai, 09:56
Gut gewagt!
Ein sehr ansprechender Text! So etwas würde ich auch...
abohn - 25. Apr, 15:30
Eigentlich habe ich deinen...
Eigentlich habe ich deinen Sohn erkannt. Der ist ja...
lamamma - 27. Mär, 12:44
Überrascht
Ich bin wirkliich überrascht, dass gerade Du lamentierst....
lamamma - 26. Mär, 15:30
Wobei nähen sich ja viel...
Wobei nähen sich ja viel direkter geboten hätte.
Schwallhalla - 26. Feb, 10:30

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