Gott
Das gehört eigentlich ins andere Blog, aber weil Geschichten moniert wurden, fange ich jetzt einmal hier ein. Achtung: nur für Verrückte zu lesen.
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“Jetzt besteht nur mehr die Gefahr, dass ich zu früh sterbe!” dachte der seit einem Tag in Pension befindliche Fünfundsechziger, als er andächtig einen Schluck vom A’bunadh-Single-Malt verkostete und etwas andächtig auf seine letzte Erwerbung sah. Diese war etwas zwei Meter hoch, schwarz mit den üblichen Verzierungen durch Lämpchen und Schaltern versehen und hatte ihn seine gesamte Abfertigung gekostet. Er hätte auch noch länger gearbeitet, wenn es sich mit dem Anschaffungspreis nicht ausgegangen wäre. Doch jetzt war er in Besitz einer Maschine, wie sie sonst nur große Unternehmungen für ihre gesamte EDV verwendeten. Die Maschine war ein sogenanntes Mainframe, ein Großrechner, der in seiner handlichen Bauform gar nicht vermuten ließ, welche Rechenleistung in ihm steckte.
Alexander hatte sich etwas Ähnliches schon lange gewünscht. Er war aber recht froh, dass er bis heute gewartet hatte, denn nun war zu vermuten, dass er alles damit machen könnte, was er sich von Rechenmaschinen erwartete. Und die Rechenleistung war vielleicht eintausendmal größer, als sie das MIT in Boston im Jahr 2000 zur Verfügung hatte. Damals, oder etwas früher, verließ Phil Agre das MIT, nachdem er sich dort zwanzig Jahre mit Forschung auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz beschäftigt hatte. „Was für ein Blödsinn?“ hatte er in einem Artikel geschrieben „Sich zu fragen, welcher Würfel vor oder hinter einem Zylinder steht. Man muss den Computer dazu bringen, die wirklich interessanten Fragen zu beantworten. Zum Beispiel, wer oder was Gott ist. Offensichtlich sind wir nicht imstande, diese Frage zu beantworten. Aber vielleicht kann das eine künstliche Intelligenz.“
Auf Alexander hatte dieser Artikel einen großen Eindruck gemacht. Er hatte ihm hundertprozentig zugestimmt, obwohl die Frage nach Gott ihn weniger beschäftigt hätte. Doch eine Sache war klar: es wurden in diesem Bereich der Forschung die falschen Fragen gestellt. Er selbst würde die richtigen Fragen stellen. Wenn er einmal Zeit hätte. Wenn er einmal die richtige Maschine hätte. Wenn …
Der Zeitpunkt war jetzt gekommen. Doch Alexander wusste, dass er seine Fragen noch lange nicht stellen konnte. Zuerst musste er dem Rechner Zeit zum Lernen geben. Er musste auch entscheiden, welche Sinnesorgane dem Rechner zur Verfügung stehen sollten. Hören war notwendig, damit er sich mit seinen Lehrpersonen unterhalten konnte. Sehen schien ursprünglich nicht so wichtig, weil die meisten optischen Eindrücke in Form von Dateien zugebracht werden konnten. Doch Alexander entschied sich auch für Augen, damit die unmittelbaren Reaktionen der Lehrpersonen erkannt und analysiert werden konnten. Für Riechen gab es keine wirkliche Begründung, allerdings waren die notwendigen Sensoren relativ leicht zu beschaffen und daher sollten sie eingebaut werden. Haptik und Geschmack wurden als ein Eingangskanal betrachtet. Dieses Problem musste erst gelöst werden. Wie kann man einer Maschine Lust bereiten? Rein rechentechnisch läuft das auf ein Optimierungsprogramm hinaus, welches als kleiner Dämon kontinuierlich in Betrieb gehalten wird. Aber welches Kriterium sollte als Optimierungsmerkmal herhalten? Alexander gab sich für die Festlegung dieses Verhaltens noch zwei Jahre Zeit. Er hatte dies von Anfang an eingeplant. Zu Beginn würde es ein einfacher Neugier-Modul sein. Die Neugier würde vom Informationsinhalt neuer erworbener Wissensgebiete gespeist werden. Das neue Wissen würde nach bestimmten Merkmalen wie Neuheit und Komplexität bewertet werden und das dabei entstehende Resultat würde den Statuswert des Neugier-Moduls erhöhen.
Alexander war bewusst, dass er dem Rechner eine Möglichkeit zur Rückkopplung geben musste. Wissenszuwachs musste nach aufzuwendendem Zeitaufwand gewichtet werden. Dafür setzte er den Ausdruck Wissensdichte ein. Diese Möglichkeit musste als Programm vorgesehen werden. Alexander war sicher, dass ab einer gewissen Stufe der Rechner selbst ein solches Programm erstellen können würde. Das wäre ein erster Schritt in Richtung künstlicher „Künstlicher Intelligenz“, den viele Menschen mit Bewusstsein verwechseln würden.
Noch war es nicht so weit. Noch lange nicht. Doch die sogenannte „road map“ hatte Alexander bereits auf eine lange Strecke vorausgedacht. Er durfte nur nicht zu früh sterben.
Seine Frau trat ins Zimmer.
(c) steppenhund 2012
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“Jetzt besteht nur mehr die Gefahr, dass ich zu früh sterbe!” dachte der seit einem Tag in Pension befindliche Fünfundsechziger, als er andächtig einen Schluck vom A’bunadh-Single-Malt verkostete und etwas andächtig auf seine letzte Erwerbung sah. Diese war etwas zwei Meter hoch, schwarz mit den üblichen Verzierungen durch Lämpchen und Schaltern versehen und hatte ihn seine gesamte Abfertigung gekostet. Er hätte auch noch länger gearbeitet, wenn es sich mit dem Anschaffungspreis nicht ausgegangen wäre. Doch jetzt war er in Besitz einer Maschine, wie sie sonst nur große Unternehmungen für ihre gesamte EDV verwendeten. Die Maschine war ein sogenanntes Mainframe, ein Großrechner, der in seiner handlichen Bauform gar nicht vermuten ließ, welche Rechenleistung in ihm steckte.
Alexander hatte sich etwas Ähnliches schon lange gewünscht. Er war aber recht froh, dass er bis heute gewartet hatte, denn nun war zu vermuten, dass er alles damit machen könnte, was er sich von Rechenmaschinen erwartete. Und die Rechenleistung war vielleicht eintausendmal größer, als sie das MIT in Boston im Jahr 2000 zur Verfügung hatte. Damals, oder etwas früher, verließ Phil Agre das MIT, nachdem er sich dort zwanzig Jahre mit Forschung auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz beschäftigt hatte. „Was für ein Blödsinn?“ hatte er in einem Artikel geschrieben „Sich zu fragen, welcher Würfel vor oder hinter einem Zylinder steht. Man muss den Computer dazu bringen, die wirklich interessanten Fragen zu beantworten. Zum Beispiel, wer oder was Gott ist. Offensichtlich sind wir nicht imstande, diese Frage zu beantworten. Aber vielleicht kann das eine künstliche Intelligenz.“
Auf Alexander hatte dieser Artikel einen großen Eindruck gemacht. Er hatte ihm hundertprozentig zugestimmt, obwohl die Frage nach Gott ihn weniger beschäftigt hätte. Doch eine Sache war klar: es wurden in diesem Bereich der Forschung die falschen Fragen gestellt. Er selbst würde die richtigen Fragen stellen. Wenn er einmal Zeit hätte. Wenn er einmal die richtige Maschine hätte. Wenn …
Der Zeitpunkt war jetzt gekommen. Doch Alexander wusste, dass er seine Fragen noch lange nicht stellen konnte. Zuerst musste er dem Rechner Zeit zum Lernen geben. Er musste auch entscheiden, welche Sinnesorgane dem Rechner zur Verfügung stehen sollten. Hören war notwendig, damit er sich mit seinen Lehrpersonen unterhalten konnte. Sehen schien ursprünglich nicht so wichtig, weil die meisten optischen Eindrücke in Form von Dateien zugebracht werden konnten. Doch Alexander entschied sich auch für Augen, damit die unmittelbaren Reaktionen der Lehrpersonen erkannt und analysiert werden konnten. Für Riechen gab es keine wirkliche Begründung, allerdings waren die notwendigen Sensoren relativ leicht zu beschaffen und daher sollten sie eingebaut werden. Haptik und Geschmack wurden als ein Eingangskanal betrachtet. Dieses Problem musste erst gelöst werden. Wie kann man einer Maschine Lust bereiten? Rein rechentechnisch läuft das auf ein Optimierungsprogramm hinaus, welches als kleiner Dämon kontinuierlich in Betrieb gehalten wird. Aber welches Kriterium sollte als Optimierungsmerkmal herhalten? Alexander gab sich für die Festlegung dieses Verhaltens noch zwei Jahre Zeit. Er hatte dies von Anfang an eingeplant. Zu Beginn würde es ein einfacher Neugier-Modul sein. Die Neugier würde vom Informationsinhalt neuer erworbener Wissensgebiete gespeist werden. Das neue Wissen würde nach bestimmten Merkmalen wie Neuheit und Komplexität bewertet werden und das dabei entstehende Resultat würde den Statuswert des Neugier-Moduls erhöhen.
Alexander war bewusst, dass er dem Rechner eine Möglichkeit zur Rückkopplung geben musste. Wissenszuwachs musste nach aufzuwendendem Zeitaufwand gewichtet werden. Dafür setzte er den Ausdruck Wissensdichte ein. Diese Möglichkeit musste als Programm vorgesehen werden. Alexander war sicher, dass ab einer gewissen Stufe der Rechner selbst ein solches Programm erstellen können würde. Das wäre ein erster Schritt in Richtung künstlicher „Künstlicher Intelligenz“, den viele Menschen mit Bewusstsein verwechseln würden.
Noch war es nicht so weit. Noch lange nicht. Doch die sogenannte „road map“ hatte Alexander bereits auf eine lange Strecke vorausgedacht. Er durfte nur nicht zu früh sterben.
Seine Frau trat ins Zimmer.
(c) steppenhund 2012
steppenhund - 9. Jun, 14:08
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