Ursprünglich hieß diese Geschichte
Mitschrift einer Abenteuerreise war illustriert und ist bereits 9 Jahre alt. Ich stelle sie hier aufgrund einer Anregung bei
triebfeder hinein.
Wenige Wochen nach dem Besuch in Anderswelt wurde ich von einem Bekannten zu einer kleineren Forschungstour mitgenommen, die nur einige Tage dauern sollte. Ziel der Wanderung, um eine solche handelte es sich eigentlich, war eine bisher unbekannte Höhle, die sich im Hochmoor befand. Eine Höhle im Hochmoor ist eigentlich nicht vorstellbar. Tatsächlich gab es sie aber, nur hätte man sie nie entdeckt, wenn nicht durch die Überschwemmungskatastrophen des vorigen Jahres einige Eingriffe in die Natur notwendig geworden waren. Diese Eingriffe, die Haus und Hof einiger entfernter Anrainer schützen sollten und normalerweise aus Naturschutzgründen nie hätten stattfinden dürfen, bewirkten, dass ein Teil des Hochmoors in der Dürre des heurigen Jahres ausgetrocknet war und die Sicht auf die obere Begrenzung eines Höhleneinganges frei ließ.
Dieses kleine Naturwunder zog die Aufmerksamkeit einiger Wissenschafter nach sich, die sich nicht einigen konnten, ob sie die Höhle untersuchen wollten oder nicht. Eine Untersuchung bedingte nämlich einen zusätzlichen Eingriff in die Naturlandschaft und galt daher unter den militanteren Naturschützern als absolutes Tabu.
Ungeachtet der Diskussionen gelang es aber einer kleineren Gruppe, ohne großes Aufsehen zu erregen, einen kleinen Holzzubringer zu der Höhle zu bauen. Da das Moor noch immer niedrig stand, konnte die Höhle ausgepumpt werden. Das ermöglichte weiterhin die Begehung.
Ein bisschen mulmig war mir schon dabei zumute. Als Kind hatte ich schreckliche Angst davor, mich einmal in einem Moor zu verirren und darin gefangen zu werden. Ich konnte mich noch gut an Erlebnisse im Schwarzsee bei Kitzbühel erinnern, der zwar ungefährlich war aber bereits dieses Gefühl des unentrinnbaren Einsinkens vermitteln konnte.
Höhlen zählen für mich auch gerade nicht zu den vertrauenerweckenden Unterkünften. Trotzdem ließ ich mich von meinem Bekannten überreden und begleitete ihn.
Als wir den Holzsteg verlassen hatten und bereits in der Höhle auf einem rutschigen Boden versuchten, feste Tritte zu finden, wurde der Strahl seiner Kopflaterne etwas nach oben gelenkt und wir sahen, dass sich hier ein moosähnlicher Bewuchs gebildet hatte, der ockerfarben melierte.
Der Bewuchs war ziemlich dicht und wirkte fast trocken. Irgendwie stimmte aber die Farbe nicht ganz zu den mir bis dato bekannten Flechten, die ich einmal am Grossglockner im dortigen Naturpaarmuseum gesehen hatte. Mein Bekannter, der sich in den natürlichen Dingen wesentlich besser auskennt, überraschte mich durch eine sehr zweifelnd erscheinende Handbewegung. Offensichtlich hatte er diese Pflanzenform auch noch nicht gesehen. Einerseits war es kein Wunder, da die ganze Höhle schon ein wenig unmöglich gewirkt hatte.
Wir sahen uns um, in dem wir unsere Köpfe zielstrebig herumkreisen ließen. Es muss ganz lustig ausgesehen haben, als wir mit kreisenden Köpfen da standen. Bewegen trauten wir uns sonst noch nicht, da die Lichtkegel nach oben gerichtet werden mussten und wir daher überhaupt nicht sahen, was unter uns oder vor uns lag. Es fiel uns eine gewisse Regelmäßigkeit des Musters auf. Nach ungefähr fünf Minuten hatten wir erkannt, dass das daran lag, dass eine bestimmte Anordnung der – sagen wir einmal – Flechten in regelmäßigen Abständen wiederkehrte.
Mit einer Kamera, die extrem lichtempfindlich war, gelang es meinem Bekannten, das Muster aufzunehmen. Ich bemerkte scherzhaft, dass ich in dem Muster zwei Personen ausnehmen könnte. Eine Stellung, ähnlich wie im Klimt’schen Kuss, wobei der Mann mit kurzen Beinen aber einem umso mächtigeren Geschlecht ausgerüstet sei. Mein Bekannter lachte und meinte, dass wir erst erforschen müssten, wer die wahren Künstler dieser Abbildung seien. Den Pflanzen würden wir es wohl beide nicht zutrauen.
Eine einfache Erklärung erschien uns die Möglichkeit, dass es auf den Höhlenfelsen einmal Zeichnungen gegeben hätten, welche als Untergrund für die Pflanzen einen selektiven Wuchs bewirkt hätten. Eine biologische Konservierung des natürlichen Museums. Mit dem Herunterkratzen einer kleinen Stelle konnten wir aber feststellen, dass die Gesteinsstruktur darunter keine Unregelmäßigkeiten oder Bearbeitungsnachweise aufwies.
Wir beschlossen, die Klärung der Angelegenheit solange aufzuschieben, bis wir aufgrund der Aufnahmen einige bildanalytische Hintergründe kennen würden, und machten uns auf den Weg, ins Innere der Höhle weiter vorzudringen.
Im weiteren Verlauf des Weges gab es keinen Bewuchs mehr. Doch wir konnten eine zunehmende Menge von runden Steinen ausmachen, die am Boden lagen und ungefähr so groß wie eine kleine Faust waren.
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Sie waren nett anzusehen und ich steckte mir einen davon in die Tasche. Ich habe ein gewisses Faible für Steine und die Formen sprachen mich an.
Wir gingen weiter und kamen durch einen engen und niedrigen Durchlass in einen Thronsaal. Man kann das nicht anders nennen. Die Wände schienen ausgeschlagen zu sein. Einige Wände wirkten glatt poliert. In der Mitte des Raumes stand ein Thron aus Stein. Ebenfalls glatt poliert.
Auch hier gab es vereinzelt noch die grünen Steine, aber sie hatten ein etwas verzerrtes Muster, so als wären sie gequetscht worden.
Trotzdem wirkten sie im Muster verwandt und plötzlich erschien mir die Zeichnung auf den Steinen auch mit dem Flechtenbewuchs am Eingang verwandt.
Wir blieben einige Minuten andächtig stehen. Es gab sonst nichts zu untersuchen. Keine Ritzen, keine weiteren Durchgänge. Es gab nur einen Ausgang. Das war der, durch den wir hereingekommen waren.
Mein Bekannter schaute auf die Uhr und deutete mir, dass wir umkehren müssten. Die Pumpen müssten in wenigen Minuten ausgeschaltet werden und dann würde wieder Wasser in die Höhle dringen.
Wir machten uns also auf den Weg und gingen hinaus. Auf dem Rückweg befiel mich ein merkwürdiges Gefühl. Ich schien schwerer zu werden. Fast unmerklich schien ich Gewicht anzusammeln. Es dauerte eine Weile, bis ich erkannte, dass die Steine, die ich vorhin eingesteckt hatte, an Gewicht zugenommen hatten. Obwohl ich mir das nicht erklären konnte, beschloss ich, alle Steine bis auf einen in der Höhle zu lassen. Ich legte sie vorsichtig auf den Boden der Höhle in einer Anordnung, dass man sie zwar sehen konnte, aber nicht über sie stolpern musste, wenn man die Höhle erneut betrat. Es hatte mich eine gewisse Scheu vor den Steinen überkommen. Einerseits trennte ich mich ungern von ihnen. Andererseits wurden sie ziemlich schwer. Ich konnte es jetzt deutlich ausnehmen. Der eine Stein, der noch in meiner Tasche war, wog jetzt vielleicht bereits zwölf Kilogramm.
Er wurde warm. Ich bekam Angst. War das etwas radioaktives Material, was da in der Höhle gelagert war? Konnte das Strahlungswärme sein? Ich nahm den Stein aus meiner Tasche und wollte noch einen letzten Blick auf ihn werfen. Die Angelegenheit erschien mir plötzlich zu riskant.
Als ich den Stein betrachtete, und das war jetzt bereits im Freien, nicht mehr in der Höhle, erstaunte ich noch mehr. Er hatte sich verfärbt und zu leuchten begonnen.
Er schien wie von einem Bildhauer oder einem Juwelier bearbeitet. Es gab deutliche Verwitterungsspuren. Man konnte aber sehen, dass da eine ganz definierte Struktur auszumachen war. Die rote Farbe schien auf Eisen hinzudeuten. Das zarte Rosa hatte aber gar keinen mineralischen Anstrich. Vielleicht musste man den Stein anschleifen und konnte ihn dann als Halbedelstein behandeln.
Ich steckte den Stein trotz des Gewichts wieder in meine Tasche und begab mich auf den Weg über den Holzsteg aus dem Moor heraus.
Als ich festen Boden betrat, geschah etwas Sonderbares und Unerwartetes. Der Stein fiel aus meiner Hosentasche heraus. Ganz gegen die Gesetze der Schwerkraft schien er aus der Tasche heraushüpfen zu wollen. Als ich versuchte, den Aufprallpunkt festzustellen, konnte ich weder eine Delle im Boden noch den Stein selbst erkennen.
Er schien wie vom Erdboden verschluckt.
Man winkte mir, ich möge doch nachkommen. Man kannte den Grund für mein Trödeln nicht und hatte Angst, dass ich die zeitlichen Grenzen unseres Moorbesuchs aus den Augen verloren hatte.
Noch einmal schaute ich um mich und da sah ich ein Stück Holz liegen, welches wie einer der polierten Spazierstockknäufe wirkte.
Auch dieses Stück Holz wies eine Zeichnung auf, die mit den bereits bekannten Mustern verwandt schien.
Ich stutze. Das sah jetzt nicht mehr nach den verwandten Mustern aus. Diese Form und Ausprägung kannte ich. Das war – wenn man so sagen will – eine geschnitzte Möse. Unglaublich lebensecht wirkte sie in der Gestalt dieses Stück Holzes. Ich geriet ein bisschen in Trance. Sollte zwischen den Steinen, der Höhle und diesem Holzknauf ein Zusammenhang bestehen? Hatten die Muster in der Höhle mit dem gleichen Inhalt zu tun? Ich nahm mir vor, dies anhand der Fotografien noch zu untersuchen.
Am nächsten Tag spazierte ich allein über die Wiesen. Ich war nachdenklich, weil mich die Angelegenheit mit den Steinen und dem unsittlichen Knopf noch beschäftigte. Als ich gedankenverloren plötzlich aufblickte, erblickte ich eine Frauengestalt im Gras, die Übungen zu machen schien.
Ich fühlte mich ein bisschen verlegen, da sie ganz nackt war. Ihr schien das aber nichts auszumachen.
Sie lachte mir zu und fuhr fort, sich zu dehnen und zu strecken. Ich wurde mutiger und begann sie eingehend zu betrachten, was sie nicht zu stören schien. Als ich so frech wurde, dass ich direkt auf ihre Möse schaute, sah sie mich mutwillig, aber nicht spöttisch an und ihr Blick schien etwas zu fragen. Ich wusste plötzlich, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Jetzt und dem gestrigen Tag geben musste. Ich hatte eine ganz phantastische Vermutung. Hatte sie etwas mit der Höhle zu tun? Sie konnte offensichtlich Gedanken lesen, denn in genau dem Moment, als ich die Frage gedacht hatte, fing sie an zu sprechen: „Aber natürlich. Das hättest du doch längst bemerken können. Oder gibt es einen anderen Grund, warum du mir so unverhohlen auf meine Weiblichkeit geschaut hast.“ Ich schaute sie verständnislos an. Wahrscheinlich war auch mein Mund offen geblieben.
„Nun sieh doch genauer hin!“ Sie stellte sich vor mich hin und zog mit ihren schlanken Händen ihre Schamlippen etwas auseinander. „Ich muss dir ja noch danken, dass du mich zum Leben erweckt hast. Aber wahrscheinlich hast du gar nicht gewusst, was du gemacht hast, indem du mich mitgenommen hast.“ Eine Vermutung begann sich breit zu machen. Aber diese Vermutung stammte aus dem Reich der Feen und Märchen.
Diese Vermutung hatte keinen Anspruch auf Wirklichkeit oder Wahrheit. Ich brachte keinen Ton heraus.
„Nun sieh mal. Sieh mich genau an!“
Mit diesen Worten beugte sie sich noch ein bisschen zurück und ich konnte jetzt mitten in sie sehen.
„Du hast mich zum Leben erweckt.“ „Indem du mich mitgenommen hast, hast du den Mechanismus ausgelöst, der meine Lebensphase, wie sie Menschen verstehen, eingeleitet hat. Das Moor konserviert, aber es bedroht auch. Wir müssen versteinern, damit wir so lange überleben können, bis es lebenswürdige Umgebung gibt. Dazu müssen wir aber die Höhle verlassen können. Das kann aber nur so geschehen, indem einer uns mitnimmt und auch dann nicht fallen lässt, wenn wir schwerer und schwerer werden. Du hast doch den Übergang in die belebte Materie aus nächster Nähe sehen können. Holz lebt!“
- „Das ist einfach unglaublich. Soll ich das denn glauben? Was wirst du machen? Musst du essen? Trinken? Wovon wirst du leben? Was kannst du?“
Sie legte den Finger an den Mund.
„Ich werde – “ sie zögerte. „Ich werde – für dich da sein. Ich werde dir unendlichen Genuss schenken. Was ich dir anbiete ist ewige Feuchte. Bin ich dir zu feucht, kann ich trocken wie ein Stück Moos in der Mittagssonne werden. Bin ich dir zu viel, steckst du mich in deine Tasche.“
„Doch lass mich bei dir sein, denn ich liebe dich.“ Mit diesen Worten kam sie aus ihrer Lage zu mir hoch und küsste mich auf den Mund. Ich verstand, was sie mit ewiger Feuchte gemeint hatte.
„Niemals werde ich dich in die Tasche stecken.“
Juli 2003 (c) steppenhund