27
Jun
2015

Auswendig

Es gibt Klavierlehrer, welche behaupten, dass man etwas nur richtig spielen kann, wenn man es auswendig kann. Ich stimme dem nicht zu, weil für mich die Noten einfach ein Konzentrationsfokus sind, der mich zwingt, ausschließlich an die Musik zu denken. Wenn ich auswendig spiele, können meine Gedanken viel leichter abschweifen.
Aber natürlich heißt das nicht, das ich jede Note von den Noten ablesen muss. Manchmal muss ich vielleicht nur eine Zusatzbemerkung lesen oder erkennen, in welcher Tonart ich gerade spiele.
Momentan über ich ein vergleichsweise schweres Werk und ich möchte das auswendig spielen können. (Beethoven opus 109)
Die erste Seite ging in einem Tag. Für zwei Zeilen der zweiten Seite habe ich ebenfalls einen ganzen Tag benötigt.
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Wenn ich aber jetzt versuche, die erste Seite auswendig zu spielen, geht das. Aber immer wieder mache ich Fehler, die aufgrund mangelnder Konzentrationsfähigkeit entstehen. Ich bin auch momentan nicht besonders leistungsfähig.
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Mein Klavierlehrer hat vo 50 Jahren gemeint, dass etwas auswendig Können bedeutet, dass man die Noten einfach aus dem Gedächtnis notieren kann. Ich weiß nicht, ob ich das schon könnte. Aber ich stimme dem zu. Aber ich glaube, in Wirklichkeit geht es nur um Konzentration.

Ich füge den Link zu einer Aufnahme von Claudio Arrau bei. Das ist ein Pianist, den ich erst spät zu schätzen gelernt habe. Aber der "taugt" mir.

Sonate #30
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bonanzaMARGOT - 29. Jun, 18:23

ich kenne mich so gut wie gar nicht mit musik aus... es gibt super musiker, die ganz ohne noten spielen - wie machen die das?

steppenhund - 29. Jun, 19:55

Das ist ein sehr interessante Frage, mit der ich schon öfters konfrontiert war.
a) Es ist möglich, ohne Noten auch professionell durchs Leben zu kommen. Ein berühmter Pianist auf den Philippinen konnte oder kann keine Noten lesen. Ich habe ihn aber in seiner Wohnung fantastisch spielen gehört. Da gibt es viele wie ihn, allerdings vielleicht nicht so viele Klavierspieler. Bei anderen Instrumenten ist oft auch die Notation nicht in Noten sondern in Buchstabenkodierung. Man kann sich vorstellen, dass man sich leicht sechs bis acht Akkorde merken kann. Der Rest wird improvisiert.
b) Wenn man Kompositionen anderer Komponisten spielen will, wird es schwer ohne Noten gehen. Das trifft vor allem dann zu, wenn man die Zusatzinformationen berücksichtigen will, die neben den Noten noch Dynamik und Tempoänderungen angeben.
b1) Es gab und gibt Musiker, die ein Stück nur hören müssen, um es danach selbst auswendig spielen zu können. Max Reger gehörte zu denen und auch einige sehr gute Pianisten.
b2) Es gab und gibt manche Pianisten, die sich die Noten nur einmal durchlesen müssen, um danach das Stück verinnerlicht zu haben.
c) Es gibt Situationen, in denen man ohne Noten nicht auskommt. Das ist bei Kammermusik der Fall und natürlich auch beim großen Orchester. Als Toscanini Opern auswendig dirigierte, traute sich kaum ein Dirigent nach ihm, Noten zu verwenden. Ich glaube es war Bruno Walter, der mit dem Unsinn aufhörte. Während Dirigenten vor ihm immer demonstrativ die Partitur zuschlugen, ließ er sie offen und wandte sich kurz an das Publikum. "Ich kann nämlich Noten lesen."
d) Thomas Mann hat in seinem Dr. Faustus auf bestimmte Schönheiten in der Musik hingewiesen, die man nur mit Kenntnis der Noten erfassen kann.
e) Es gibt Menschen, die unmittelbar von den Noten etwas spielen können, die sie zum ersten Mal gesehen haben, falls die technischen Schwierigkeiten nicht zu groß sind. (Dazu gehöre ich: warum sollte ich etwas auswendig lernen, wenn ich es einfach so spielen kann.)
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Man überlege sich, wie das mit Kochrezepten aussieht. Manche kochen ohne Rezept, manche halten sich immer an das Rezept. Und ich habe einmal einer Besprechung zugehört, bei dem der Menüplan inklusive der Rezepte durchgegangen wurde. Und es war ganz klar, dass der Koch das Rezept auch auswendig gewusst hätte. Um aber gleichbleibende Qualität zu erreichen, ist es notwendig, sich an das Rezept zu halten.
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Beim Klavier ist es so, dass bestimmte Stück nur auswendig gespielt werden können. Man muss bereits mindestens ein paar Sekunden, manchmal aber auch länger das zu Spielende im Kopf haben.
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Die generelle Antwort ist also von mir folgende: man kann ohne Noten spielen. Ob man überhaupt ohne Noten zu kennen auf höchstem Niveau spielen kann, hängt von der Art der Musik ab. Dabei ist allerdings keine Wertung zu treffen.

Beispiel für ein Stück, welches man nur auswendig spielen kann:)
Islamey Es ist eines der absolut schwersten Stücke in der Klavierliteratur. Ich wollte hier eigentlich eine Frau auswählen, aber durch Zufall habe ich den Pianisten entdeckt, der das nach meinem Dafürhalten am musikalischsten spielt. Er spielt das etwas langsamer als viele seiner Kollegen, aber das erlaubt eine wesentlich höhere musikalische Interpretation.
bonanzaMARGOT - 3. Jul, 15:00

ich denke, dass es jeder so machen muss, wie er es am besten kann, ohne die lust daran zu verlieren - also neben der mühe ausserdem genuss an der sache zu empfinden.
das publikum honoriert, glaube ich, alles, was seele hat und zeigt, dass man sich ehrlich bemüht. die fachwelt freilich hat ihre eigenen kriterien.
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Meine Kommentare

wenn Sie der Lehrer meiner...
würde ich mich wundern, dass Sie nicht auf meinen Kommentar...
abohn - 7. Mai, 09:56
Gut gewagt!
Ein sehr ansprechender Text! So etwas würde ich auch...
abohn - 25. Apr, 15:30
Eigentlich habe ich deinen...
Eigentlich habe ich deinen Sohn erkannt. Der ist ja...
lamamma - 27. Mär, 12:44
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