29
Feb
2016

50 Jahre

Vor 50 Jahren ist Anna Achmatowa gestorben

Sie schreibt über ihre Begegnung mit Robert Frost zu einem Zeitpunkt,als sie wieder "fast" präsentabel war.

„Bei mir zu Hause durfte ich ihn doch nicht empfangen. Das Potjomkinsche Dorf wurde in der Datscha des Akademiemitglieds Alexejew errichtet. Ich weiß nicht mehr, woher man diese feine Tischdecke, das Kristall geholt hatte. Ich wurde festlich frisiert, elegant gekleidet... Und dann erscheint ein alter Mann. Ein amerikanischer Opa, aber so einer, wissen Sie, der schon langsam zu einer Oma wird: rötliche Backen, weiße Haare, sehr munter. Wir sitzen nebeneinander in Korbsesseln, man legt uns allerlei Leckerbissen vor, schenkt uns verschiedene Weine ein. Wir unterhalten uns in aller Ruhe. Aber ich denke immerzu: Du, mein Lieber, bist also ein Nationaldichter, jedes Jahr, jedes Jahr bringt man deine Bücher heraus, und natürlich gibt es bei dir keine Gedichte, die nur „für die Schublade“ geschrieben wurden. Alle Zeitungen und Zeitschriften rühmen dich, in den Schulen hören die Schüler von dir, der Präsident empfängt dich als Ehrengast. Dir sind alle denkbaren Ehrungen, Reichtum und Ruhm zuteil geworden. Und ich? Welche Hunde hat man nicht auf mich gehetzt! In welchen Dreck hat man mich nicht getreten?!
Alles gab es – Armut, Elendsschlangen vor den Gefängnissen, Angst, Gedichte, die man nur auswendig kannte, nur im Kopf hatte, und verbrannte Gedichte. Demütigungen und Leid, immer wieder Leid… Nichts von all dem weißt du und würdest es auch nicht verstehen, wenn ich davon erzählte... Aber nun sitzen wir nebeneinander, zwei alte Menschen in Korbsesseln. So als ob es keine Unterschied gäbe. Und das Ende wird für uns beide das gleiche sein. Aber vielleicht ist der Unterschied auch nicht so groß?"

Und zwei Gedichte:

Der nicht gegangene Weg

Zwei Wege trennten sich im fahlen Wald
und, weil ich nicht auf beiden konnte gehn
und einer bleiben, macht' ich lange Halt
und schaute auf des einen Wegs Gestalt,
soweit ich durch die Büsche konnte sehn.

Ging dann den andern - der, genauso schön,
den größer'n Anspruch hatte auf Gebrauch,
denn Gras wuchs drauf und brauchte Drübergehn -
obgleich die Wand'rer, muß ich schon gestehn,
gebrauchten einen wie den andern auch.

Sie lagen vor mir, beide gleich, zuhauf
mit Blättern, die kein Tritt noch aufgestört.
Ich hob mir einen Weg für später auf!
Doch Wege führ'n zu and'rer Wege Lauf:
Ich wußte wohl, daß keiner wiederkehrt.

Und seufzend werd' ich einmal sicherlich
es dort erzählen, wo die Zeit verweht:
Zwei Waldeswege trennten sich und ich -
ich ging und wählt' den stilleren für mich -
und das hat all mein Leben umgedreht.

[nicht von Achmatowa und den Übersetzer kenne ich nicht :) ]
Aber das Gedicht ist eines der berühmtesten, welche die Studenten bestimmter Studienrichtungen einfach auswendig kennen müssen.

Und ein ganz anderes:

Die Rauhnächte waren von Feuern erwärmt,
Es rollten die Kutschen dicht über die Brücken.
Die in Trauer gekleidete Stadt
Schwamm mit unbekannter Bestimmung
Die Newá hinab oder gegen den Strom, −
Nur fort von den Gräbern.
Es dunkelte der Galernaja Bogen,
Im Sommergarten die Wetterfahne
Sang im Falsett, und der silberne Mond
Fror hell überm Silber der Zeit.
Und weil sich auf allen Wegen
Und bis zu allen Schwellen hin
Zu langsam der Schatten genähert,
Riß der Wind von der Wand die Plakate,
Tanzte der Wind auf dem Dach Kasatschok,
Roch der Flieder nach Friedhof.
Und, verflucht von der Zarin Awdotja,
Versank in ihrem Nebel die Stadt,
Das dämonische Petersburg Dostojewskis.
Und aus der Finsternis sah
Wieder der alte versoffene Piter,
Wie vor der Hinrichtung schlug eine Trommel…
Und in der frostigen Schwüle des Vorkriegs,
In der verbuhlten und drohenden, hörte
Man immer ein künftiges Grollen.
Doch damals wars dumpfer zu hören,
Obwohl: die Seelen hats kaum gestört,
Es versank in den Schneewächten an der Newá.
Aber so wie ein Mensch im Spiegel der Nacht
Wie ein Besessener tobt und sich nicht
Wiedererkennt, näherte sich auf dem Kai,
Dem legendären, das nicht reguläre −
Das wirkliche neue Jahrhundert.

[Übersetzt von Heinz Czechowski]
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